Staatsmedizin oder freie Praxis?

Vorschläge für einen Wettbewerb nach europäischem Muster

2005 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: BAO-MAO-Aktuell Extra 30.11.2005, ambulant operieren 4/2005, S. 193-195

Die Forderungen von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt nach Abschaffung des EBM2000plus und der GOÄ sowie Schaffung einer neuen, einheitlichen Gebührenordnung und zusätzlich einer Behandlungspflicht der Ärzte zu einheitlichen Preisen hat den Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK) veranlasst, von „Staatsmedizin“ zu sprechen (Hoppe 2005). Auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) wandte sich gegen diese Pläne. Doch welche Alternative schlagen beide Ärztefunktionäre vor? Eigentlich keine. Vielleicht dürfen sie auch keinen Alternativweg aufzeigen, denn sie sind Repräsentanten von Selbstverwaltungsorganen und damit Vertreter der mittelbaren Staatsgewalt. Sie dürfen nichts gegen den Staat aussagen, auch wenn sie dieses im Interesse ihrer Mitglieder vielleicht wollten.

Die niedergelassenen Ärzte auf der anderen Seite sind von ihrem Status und von der Geschichte her Freiberufler. Sie sind Zwangsmitglieder der Ärztekammern und zum größten Teil aus wirtschaftlichen Gründen auch Mitglieder der kassenärztlichen Vereinigungen, weil etwa 90% der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert sind und ein Überleben der Arztpraxen ohne Kassenpatienten in den meisten Gegenden Deutschlands nicht möglich ist. Sie haben sich u.a. in freien Verbänden wie Hartmannbund und NAV-Virchow-Bund organisiert. Ein gemeinsamer Gegenvorschlag der Privatverbände zu diesen Verstaatlichungstendenzen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziales (BMGS) steht noch aus. Deshalb soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, eine Alternative zu den Plänen der Gesundheitsministerin und der SPD aufzuzeigen.

Die Alternative zur Staatsmedizin  könnte „freie Praxis“ genannt werden. In Abb. 1 sind die unterschiedlichen Positionen aufgelistet.

Eine Alternative zur geplanten einheitlichen Gebührenordnung zu festen Preisen ist eine „flexible“ Gebührenordnung, die eine Preisgestaltung bezüglich Kosten und Qualität durch einen variablen Steigerungsfaktor ähnlich der alten Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zulässt, aber das Leistungsverzeichnis an internationale Kodierungen, z. B. OPS,  ständig anpasst. Die individuelle Rechnungsstellung wird im übrigen auch vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert, wenn es ausdrücklich einen höheren Steigerungssatz als den 3,5fachen für entsprechende Leistungen zulässt (Bundesverfassungsgericht 2005).

Die Alternative zu einer Behandlungspflicht für Ärzte ist eine freie Arztwahl für die Patienten und auch eine freie Behandlungswahl der Ärzte außer bei Notfällen.

Die Alternative zu einer vorgeschriebenen Qualität und zu möglicherweise staatlich vorgegebenen Leitlinien ist der freie Qualitätswettbewerb, wie er Grundlage des Europäischen Marktes ist. Der Wettbewerb erfordert eine Transparenz des Leistungsgeschehens für Arzt und Patienten.

Die Alternative zu Arzneimittelfestpreisen ist ein offener Markt, in dem der Patient letztlich entscheidet, welches Medikament er zu welchem Preis unter Berücksichtigung seiner Versicherungssituation kaufen möchte.

Die Alternative zu Staatsmedizin ist eine privatisierte Medizin, für welche die Regeln der Europäischen Union gelten, insbesondere der freie Dienstleistungsverkehr. Nach den Gesetzen der EU sind die niedergelassenen Ärzte Unternehmer, das entspricht auch dem Status des deutschen Freiberuflers (Brökelmann 2002).

Die Alternative zu einem alle Lebensbereiche durchsetzenden Sozialstaat mit unterschiedlichen, sozial adaptierten Beiträgen und Subventionen ist ein Sozialausgleich nur über Steuern.

Eine Alternative zu einer Staatsmedizin, welche immer eine Bevormundung der Bürger darstellt, ist die uneingeschränkte Mündigkeit und Eigenverantwortung der Bürger, wie es das deutsche Grundgesetz und die Charta der Grundrechte der Europäischen Union fordern. Damit Bürger eigenverantwortliche Entscheidungen fällen können, müssen sie jedoch Kostentransparenz haben. Diese ist in einem Kostenerstattungssystem  gegeben, nicht jedoch in einem Sachleistungssystem.

Das Ziel für die SPD war und ist eine „optimale“ Gesundheitsversorgung (Solidaritätsstärkungsgesetz - GKV-SolG 1998, Präambel). Da eine solche Vollversicherung offenbar nicht mehr zu finanzieren ist (u.a. Beske 2005, Klodt 2005), muss die Alternative eine „Basisversorgung“ sein, wie sie schon 2000 vom Europäischen Parlament beschlossen wurde (Brökelmann 2001). Da eine solche Basisversicherung in ganz Europa gelten muss, sollte sie sich in ihrem Leistungsangebot und in ihren Preisen an den wirtschaftlich schwächeren Mitgliedstaaten orientieren.

Für eine Privatisierung der Gesundheitsleistungen spricht, dass ein Großteil der Krankheiten durch gesundheitsbewusstes Handeln des Einzelnen vermieden werden kann und damit in den Privatbereich fällt (Wiesemann 2005). Dieser kann durch private Zusatzversicherungen zur Basisversicherung abgesichert werden.

Fazit

Die aufgezeigte Alternative „Freie Praxis“ orientiert sich an Zielen der Freiberuflichkeit, wie sie sich in Deutschland bei den freien Berufen herausgebildet haben, und an den Vorgaben, die in der Europäischen Union bestehen. Die von der SPD verfolgte Staatsmedizin verfolgt auf der anderen Seite eine Politik, die der europäischen entgegensteht und damit nicht zukunftsweisend ist.

Folgt man dieser Argumentation, ergeben sich folgende mittelfristige Strategien. Die ambulanten Operateure und Anästhesisten müssen sich in ihren Praxen und Praxiskliniken auf den Wettbewerb vorbereiten, d.h.

Literatur

Beske F (2005). Deutschland hat ein gutes Gesundheitssystem. Damit das so bleibt, ist eine ehrliche Analyse dringend erforderlich. Ärzte Zeitung 22.11.2005 http://www.arzt-in-europa.de/

Brökelmann J (2001). EU-Parlament beschliesst einheitliche Basisversicherung. http://www. arzt-in-europa.de/pages/2001JB_Basisversicherung.htm

Brökelmann J (2002). Der niedergelassene Facharzt zwischen deutschem Sozialstaat und Europa. http://www.arzt-in-europa.de/pages/2001JB_Facharzt.htm

Bundesverfassungsgericht (2005). Höherer als 3,5facher Satz ist zulässig. Quelle: AZ: 1 BvR 1437 http://www.mao-bao.de/artikel/2004BVG_Gebuehren.htm

Hoppe J-D (2005). Schmidt stellt Weichen auf Staatsmedizin. http://www.baek.de/25/15Reden/Aktuelles/68GOAE.html

Klodt H (2005). Jeder für sich. Interview mit Henning Klodt, Leiter des Referates Wachstum und Strukturwandel am IfW Kiel: kma 09/05,24 http://www.arzt-in-europa.de/pages/2005HK_Jederfuersich.html

Solidaritätsstärkungsgesetz - GKV-SolG vom 18.12.1998 (Präambel)

Wiesemann H-O(2005). Gesundheit, Gleichheit, Gerechtigkeit. Das Gesundheitswesen: In einem weiten Meer des Kapitalismus eine quasikommunistische Insel der Glückseligkeit. Versicherungsmedizin 57 (2005) Heft 2, 61-63 http://www.arzt-in-europa.de/pages/2005HOW_Gerechtigkeit.html

Abb. 1: Staatsmedizin im Gegensatz zu freiem Wettbewerb in Europa

Staatsmedizin

Ärzte

Einheitliche Gebührenordnung

Feste Behandlungspreise

Behandlungsverpflichtung der Ärzte

Vorgeschriebene Qualität nach Leitlinien

Arzneimittel

Festpreise für Arzneien

Hoheitliche Aufgaben

Regieren mittels Selbstverwaltungsorganen

  • Kassenärztliche Vereinigungen
  • Ärztekammern
  • Krankenkassen
  • Landes- und Kommunalverwaltungen

Sozialausgleich

Über alle Fazetten des Sozialstaates

  • u.a. Sozialbeiträge, Steuern

Bürger

Bevormundung des Bürgers

Mangelinformation bezüglich Kosten

  • Sachleistungsprinzip

Ziel

Vollversicherung der Bevölkerung durch eine gesetzliche Krankenversicherung

Freie Praxis

Ärzte

„Flexible“ GBO

Freie Preisgestaltung (Qualität, Kosten)

Freie Arzt- und Behandlungswahl

Qualitätswettbewerb, Transparenz

Arzneimittel

Freier Markt

Hoheitliche Aufgaben

Rahmenvorgaben der EU (Gesetze, Verträge)

  • Freier Waren- u. Dienstleistungsverkehr
  • Arzt = Unternehmer (Freiberuflichkeit)
  • Werbefreiheit
  • Freie Verbände

Sozialausgleich

nur über Steuern

Bürger

Mündigkeit (Eigenverantwortung) der Bürger

Kostentransparenz

  • Kostenerstattungsprinzip

Ziel

Privatisierung der Gesundheitsleistungen. Basisversicherung durch Pflichtversicherung. Sozialausgleich über Steuern.