Für die Europäische Krankenversichertenkarte (EHIC) und gegen die elektronische Gesundheitskarte (eGK)

Ärzte haben Urheberrechte an den von ihnen erhobenen Daten

2007 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: ambulant operieren 2/2007, 97-99

Seit Jahren versucht das Bundesministerium für Gesundheit (BMG), eine elektronische Gesundheitskarte flächendeckend einzusetzen – und bekommt deshalb Streit mit den Ärzten (Brökelmann 2004). Jetzt hat der Ärztetag die eGK in der bisher vorgeschlagenen Form abgelehnt und fordert eine Neubesinnung (Deutsches Ärzteblatt vom 25. Mai 2007, A 1520). Der Ärztetag hat also der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (BMG) den Fehdehandschuh vor die Füße geworfen. Eine Woche nach diesem Beschluss ist noch keine Reaktion aus dem BMG veröffentlicht worden. Ist dieses ein Zeichen dafür, dass das BMG sich seiner Sache nicht mehr so sicher ist?

Europäische Vorgaben müssen befolgt werden

Die Europäische Krankenversichertenkarte EHIC wurde als Sichtausweis seit 2004 für ca. 420 Millionen EU-Bürger eingeführt (Tavakolian et al. 2007). Dieses ist eine reine Krankenversichertenkarte für den europäischen Raum. Alle Nationalstaaten sind verpflichtet, nationale Server für diese Krankenversichertenkarten aufzubauen und sie innerhalb von Europa zu vernetzen. Dieses ist die europäische Vorgabe, die auch die Bundesrepublik Deutschland erfüllen muss. Der Aufbau von nationalen Servern für Krankenversichertenkarten ist also eine europäische Aktion, zu deren Durchführung sich die Bundesregierung verpflichtet hat und die auch wegen der angestrebten Freizügigkeit für die EU-Bürger notwendig ist.

BMG will die Krankenversichertenkarte EHIC um medizinische Daten erweitern

Den beschlossenen Aufbau von nationalen Servern für die EHIC will das BMG nun dazu benutzen, um auf der EHIC auch medizinische Daten zu speichern. Sie nennt diesen deutschen Sonderweg "Elektronische Gesundheitskarte" und veröffentlicht dazu im Internet folgende Beschreibung (BMG 2007):

"Gesundheitskarte AKTUELL

Schrittweise wird die elektronische Gesundheitskarte eingeführt und die bisherige Krankenversichertenkarte abgelöst. Für die 80 Millionen Versicherten verbessert sich dadurch vor allem die Behandlungsqualität. Denn die neue elektronische Gesundheitskarte unterscheidet sich nicht nur äußerlich durch das Lichtbild des Inhabers von der alten Krankenversichertenkarte: Insbesondere ihr Funktionsumfang wurde erweitert. Die Versicherten haben die Möglichkeit, persönliche Gesundheitsdaten mit der Karte zu verwalten und einzelnen Leistungserbringern zur Verfügung zu stellen."

Zu obigen Aussagen ist im Einzelnen folgendes zu bemerken:

  1. Das Wort "elektronische Gesundheitskarte (eGK)" ist eine neue Wortschöpfung, die Assoziationen zu der Bezeichnung "Gesundheitskasse" einer gesetzlichen Krankenkasse weckt. Sie hat weniger mit der Gesundheit als vielmehr mit den Krankheitsdaten der Versicherten zu tun. Denn zusätzlich zu den Versicherungsdaten soll diese Karte Krankheitsdaten enthalten, die in einem elektronischen System von nationalen Servern verwaltet, d. h. überwacht werden.
  2. Wenn die Gesundheitsministerin von 80 Mio. Versicherten spricht, nimmt sie vorweg, dass alle gesetzlich Krankenversicherten und alle Privatversicherten diese neue Gesundheitskarte haben müssen, sie also eine große Zwangs-Einheitsversicherung plant.
  3. Die Behauptung des BMG, dass die Behandlungsqualität von 80 Millionen Versicherten durch diese neue "Kombi-Karte" verbessert wird, ist unbewiesen - und damit politischer Natur. Wie hat der Staat die Behandlungsqualität, d. h. die Qualität der Behandlung durch Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger gemessen?
  4. Nicht der Versicherte verwaltet seine persönlichen Gesundheitsdaten, wie das BMG behauptet, sondern das System der zentralen Rechner! Hier findet eine verbale Verneblungstaktik statt.
  5. Da alle gesetzliche Krankenkassen jetzt zu einer einzigen staatlichen Behörde zusammengeschlossen werden, ist es im Sinne des BMG nur folgerichtig, wenn auch alle Krankheitsdaten der Bevölkerung zentral gespeichert und verwaltet werden. Dieses ist der unverhohlene Versuch der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, eine elektronisch gesteuerte Staatsmedizin in Deutschland einzuführen (Brökelmann 2004).

Dokumentierte medizinische Daten sind ärztliche Leistungen

In der Diskussion um die Speicherung von Krankheitsdaten wurde bislang wenig beachtet, dass die Krankheitsdaten durch Ärzte erhoben und dokumentiert werden und die Ärzte deshalb Urheberrechte an diesen Krankheitsdaten haben. Die Ärzte sind außerdem die Hüter dieser Daten im Arzt-Patienten-Verhältnis. Sie müssen diese Daten an die betreffenden Patienten/Innen wegen des Informationsrechtes weitergeben; sie dürfen diese Daten jedoch nicht an Nicht-Ärzte weitergeben und an andere Ärzte nur mit ausdrücklicher Einwilligung der Patienten (Musterberufsordnung, Ratzel, Lippert 1998).

Folgerungen

  1. Die Europäische Krankenversichertenkarte EHIC sollte baldmöglichst in Deutschland eingeführt werden. Sie ist eine Abrechnungskarte, die den jeweiligen Bürger als krankenversichert ausweist und offenbar den Versicherten, insbesondere was die Freizügigkeit innerhalb von Europa betrifft, nutzt. Alle Kosten für die Einführung und Verwaltung dieser Versichertenkarte obliegen den Versicherungsträgern (Krankenversicherungen, Krankenkassen).
  2. Es muss ein Klares Nein zur Speicherung ärztlich erhobener Daten außerhalb des Verantwortungsbereiches der Ärzte, d.h. außerhalb von Praxis oder Klinik, ausgesprochen werden. Dieses Nein erfolgt aufgrund folgender Grundsätze:
    2.1. Ärzte dürfen medizinische Daten nicht an Nicht-Ärzte, unter anderem zentrale Rechner, laut ihrer Berufsordnung weitergeben (MBO).
    2.2. Wegen des Urheberrechtes dürfen medizinische Daten nicht vom Staat und seinen Behörden (u. a. der GKV) gegen den Willen der Ärzte eingefordert werden. Hier ist kein Allgemeinwohlinteresse erkennbar, welches die Individualrechte der Ärzte und Patienten aufwiegen könnte. "Das Urheberrecht ist ein absolutes, gegen Jedermann wirkendes Recht" (Creifelds Rechtswörterbuch 2000). Dieses Recht wirkt also auch gegen den Staat.
    2.3. Die Schweigepflicht ist "eine der zentralen Vorschriften des ärztlichen Standesrechts" (MBO, Ratzel, Lippert 2000). Wenn der Staat diese Schweigepflicht per Gesetz aushöhlt, verletzt er die Berufsfreiheit der Ärzte und handelt damit verfassungswidrig.

Für uns Ärzte ergeben sich nachstehende Folgerungen:

  1. Wir werden weiterhin Arztbriefe schreiben, am besten mit Hilfe elektronischer Medien. Als Hauptdatenträger wird weiterhin Papier benutzt werden, denn dieses hat große, patientenfreundliche Vorteile: Die Befunde/Arztbriefe können den Patienten innerhalb von Minuten nach einer Behandlung ausgehändigt werden; von dem Moment der Übergabe an hat der Patienten die Hoheit über die eigenen Daten (Brökelmann 2004).
  2. Wir Ärzte sollten den Streit um die Datenhoheit offensiv mit unseren Patienten besprechen, damit die Bürger erfahren, wer ihnen die Hoheit über ihre persönlichen Krankheitsdaten nehmen will. Dann können die Bürger bei den nächsten Wahlen entscheiden, ob sie Staatsmedizin oder individuelle Medizin wünschen.
  3. Bei dem Machtkampf um die Krankheitsdaten dürfte ein verfassungsrechtliches Gutachten etwa mit der Frage "Kann der Staat von den Ärzten verlangen, dass sie medizinische Diagnosen und Befunde in ein staatlich kontrolliertes System einspeisen müssen?" nützlich sein. Hier ist unter anderem die Bundesärztekammer gefordert, denn der 110. Deutsche Ärztetag hat diese Frage gerade indirekt verneint.
  4. Neben den verfassungsrechtlichen Bedenken wiegt noch ein weiteres Argument schwer: Der Nutzen einer elektronischen Gesundheitskarte ist in keiner Weise bewiesen. Allein deswegen muss sie abgelehnt werden.

Inhalte der Versichertenkarten beachten

In der Diskussion um die Versichertenkarte müssen die Inhalte sauber getrennt werden:

Die Krankenversichertenkarte ist ein Sichtausweis und spiegelt die Beziehung eines Bürgers zu einer Versicherung wieder.

Die elektronische Gesundheitskarte ist ein Sichtausweis plus ein Speicher mit Patientendaten. Letztere stammen aus einer Arzt-Patienten-Beziehung und haben mit der Krankenversicherung wenig zu tun. Diese beiden Beziehungsgeflechte – Versicherter-Krankenversicherung und Arzt-Patienten-Verhältnis – dürfen nicht vermengt werden. Wenn Patienten Daten aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis an ihre Krankenversicherer weitergeben, so ist das ihre persönliche Entscheidung, die das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht belastet. Wenn der Staat die persönlichen Krankendaten seiner Bürger einsehen und verwalten will, muss er diese Daten also von den Patienten einholen, nicht von den Ärzten.

Merke!

]     Krankenversichertenkarte (health insurance card): Diese so genannte Chipkarte ersetzt seit 1995 bundesweit den bis dato geltenden Krankenschein.
http://www.aok-bv.de/lexikon/k/index_02266.html

]     Europäische Krankenversichertenkarte (EHIC): Krankenversichertenkarte gilt für ganz Europa, benutzt nationale Server, die europaweit vernetzt sind

]     Elektronische Gesundheitskarte (eGK) – erweiterte Krankenversichertenkarte des BMG, die auch persönliche medizinische Daten enthält, die von Ärzten erhoben werden und die unter die ärztliche Schweigepflicht fallen.

Zusammenfassung:

Die vom Staat geförderte elektronische Gesundheitskarte stellt den Versuch dar, Staatsmedizin auf Kosten der Individualrechte der Ärzte und Patienten zu betreiben. Gegen diese Absicht ist Widerstand geboten.

Literatur

BMG (2007) http://www.die-gesundheitskarte.de/gesundheitskarte_aktuell/index.html?param=nav

Brökelmann J. (2004) Elektronische Gesundheitskarte - der Weg in die Staatsmedizin? "Deutscher Sonderweg" bedeutet Entmündigung des Patienten. Quelle: ambulant operieren 4/2004, 161-163 http://www.arzt-in-europa.de/pages/2004JB_Gesundheitskarte.html

Ratzel R, Lippert H-D. Kommentar zur Musterberufsordnung der Deutschen Ärzte (MBO). 2. Auflage Springer 1998

Tavakolian, R. et al. (2007): EU-Projekt Netc@rds: Gesundheitsleistungen barrierefrei nutzen. Ein Projekt zur grenzüberschreitenden Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Quelle: Deutsches Ärzteblatt 104, Ausgabe 14 vom 06.04.2007, Seite A-938 http://www.arzt-in-europa.de/pages/2007RT_Netcards.html