EU-Projekt Netc@rds: Gesundheitsleistungen barrierefrei nutzen

Ein Projekt zur grenzüberschreitenden Inanspruchnahme medizinischer Leistungen

2007 +++ Tavakolian, Ramin; Brenner, Gerhard; Rothe, Sebastian +++ Quelle: Deutsches Ärzteblatt 104, Ausgabe 14 vom 06.04.2007, Seite A-938

Auszüge:

Am Projekt zur grenzüberschreitenden Inanspruchnahme medizinischer Leistungen beteiligen sich inzwischen 15 europäische Länder. 2007 soll die Ersteinführung des Dienstes beginnen.

Die Europäische Union (EU) will den Zugang ihrer Bürger zu medizinischen Einrichtungen außerhalb ihres Heimatlandes vereinfachen und dafür sorgen, dass die Mobilität innerhalb Europas so wenig wie möglich durch Barrieren in den nationalen Gesundheitssystemen behindert wird. Technische Lösungen – insbesondere der Telematik – können hierzu erheblich beitragen. Das EU-Projekt Netc@rds zielt deshalb darauf ab, die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen zu erleichtern. In Versuchsregionen werden zwei Varianten getestet:
1. Die elektronische Umsetzung der europäischen Krankenversichertenkarte (EHIC), die zunächst nur als Sichtausweis im Juni 2004 für circa 420 Millionen EU-Bürger eingeführt wurde.
2. Die Nutzung vorhandener nationaler Krankenversichertenchipkarten als grenzüberschreitender Anspruchsnachweis.

Zur Nutzung der elektronischen Zugangsverfahren wird zeitgleich eine europäische Telematikplattform aufgebaut, die Schnittstellen zu den nationalen Kommunikationssystemen hat. In Deutschland beispielsweise richtet zurzeit die Betriebsgesellschaft gematik für die neue Gesundheitskarte eine entsprechende Telematikinfrastruktur ein.

Kernelement der europäischen Netc@rds-Architektur ist der Aufbau von nationalen Servern, die die Datenübertragung zwischen den EU-Ländern sicherstellen. Nationale Aufgabe ist die Weiterleitung an die kostenübernahmepflichtige Krankenkasse. Mit der Online-Verifikation über diese europäischen Portale wird die Kartengültigkeit geprüft. Netc@rds erprobt damit ein zukunftsweisendes Sicherheitsmerkmal, das im derzeitigen Abstimmungsprozess für ein künftiges europäisches Routineverfahren eingebracht wird. Eine wesentliche Voraussetzung ist die Interoperabilität von Gesundheitskarten und Telematiknetzen in Europa, um die Entstehung von neuen technischen Barrieren zu vermeiden.

Mit der Einführung der europäischen Krankenversichertenkarte (Beschlüsse Nr. 189–191 der Verwaltungskommission, 18. Juni 2003) wurde nicht nur das Trägermedium des Anspruchsberechtigungsnachweises ersetzt, sondern auch eine grundsätzliche Verfahrensänderung mit Direktzugang beim ausländischen Leistungserbringer vorgenommen.

Die Hauptmerkmale des Verfahrens der EHIC sind:
- Ausstellung durch die heimische Krankenkasse, häufig auf der Rückseite der nationalen Krankenversichertenkarte,
- mehrmals einsetzbar, zeitraumgebunden,
- direkter Zugang zum ausländischen Leistungserbringer,
- Identitätsprüfung durch den Leistungserbringer.

Elektronisches EHIC-Verfahren
Die EHIC als Sichtausweis stellt nach Auffassung der Europäischen Kommission lediglich einen Zwischenschritt dar. Ab 2008 (mit bereits absehbarer Verzögerung) soll eine elektronische Kartenvariante eingeführt werden, die durch die technische Kommission der Verwaltungskommission für die Mobilität von Wanderarbeitnehmern spezifiziert wird. Die elektronische EHIC soll aber keine neue Chipkarte sein, sondern als europäischer Datensatz in interoperable vorhandene oder künftige nationale Krankenversichertenkarten integriert werden.
Um diese Prozesse voranzutreiben, werden in den Netc@rds-Pilotbehandlungszentren bereits Krankenversichertenkarten aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Slowenien und der oberitalienischen Region Lombardei auslesbar gemacht.

In Deutschland koordiniert die AOK-Baden-Württemberg das Projekt mit den Landes-AOKen und bereitet gemeinsam mit der AOK-Systems die Anbindung von Netc@rds an den Verifikationsdienst vor. In einer nationalen Arbeitsgemeinschaft unter Leitung des Zentralinstituts wird die Projektaktivität mit der Gesamtheit der gesetzlichen Krankenversicherung sowie dem Bundesgesundheitsministerium abgestimmt – mit dem Ziel einer grundsätzlichen Öffnung für alle Krankenkassen. Die grenzüberschreitende Nutzung von Krankenversichertenkarten berücksichtigt bereits die Infrastruktur der neuen Gesundheitskarte, die zurzeit entwickelt wird.

Fazit und Ausblick
Das Projekt Netc@rds:
- fördert die Mobilität europäischer Bürger,
- leistet einen wesentlichen Beitrag, um die EHIC in der elektronischen Form zu etablieren,
- ist die technische Antwort auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Recht von Versicherten der sozialen  Krankenversicherung, Gesundheitsleistungen auch im europäischen Ausland nachzufragen,
- rationalisiert das interne Datenmanagement von ausländischen Versicherten bei den Leistungserbringern und Krankenkassen,
- leistet einen Beitrag zur europaweiten Interoperabilität der Telematikinfrastrukturen in den verschiedenen Ländern,
- kann eine Basis darstellen, um künftig über die europaweite Portalstruktur auch Abrechnungsdaten sowie medizinische Diagnose- und Befunddaten elektronisch in einer sicheren Umgebung zu kommunizieren.

Ramin Tavakolian, Gerhard Brenner, Sebastian Rothe
Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung, Herbert-Lewin-Platz 3, 10623 Berlin
Netc@rds-Pilotregionen
Deutschland 30 Behandlungszentren, bundesweit
Frankreich Paris
Österreich Vorarlberg, Oberösterreich, Tirol
Griechenland Athen, Thessaloniki
Italien Lombardei, Venezien
Finnland Turku
Tschechische Republik Prag, Znojmo, Hodonin
Slowakei Bratislava, Zámky
Slowenien Pomurje
Ungarn Budapest, Balaton, Györ