Ambulantes Operieren - eine Beurteilung aus wirtschaftlicher Sicht

Ein wichtiges, aber bislang kein lukratives Geschäft

2007 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: gynäkologie + geburtshilfe 4/2007, 43-45

In Deutschland wurden im Jahre 2003 nur 37 % aller Operationen ambulant durchgeführt, obwohl in anderen Ländern eine Quote von 80 % und darüber erreicht wurde [1] . Ein Grund dafür ist sicherlich die recht schlechte Honorierung. Dennoch kann mit der richtigen Strategie das ambulante Operieren trotz der aktuellen Rahmenbedingungen rentable sein, eine gehörige Portion Enthusiasmus vorausgesetzt.

Im Jahr 1992 lag der Punktwert (PW) für das Ambulante Operieren bei einigen Krankenkassen um 12 Pfennig, das entspricht heute ohne Inflationsausgleich 6,25 Cts/PW. Nach der Gesundheitsreform von Seehofer im Jahre 1993 ging die Bezahlung der ambulanten Operationen stark zurück. Dies führte zu einer eklatanten Unterbezahlung der ambulanten Operationen sowohl in den Praxen als auch im Krankenhaus. Heute bewegen sich die Punktwerte zwischen 2 und 4.5 Cts./PW.

Der Hauptgrund für die Unterbezahlung der ambulanten Operationen und Anästhesien ist wohl darin zu sehen, dass die ambulanten Operateure und Anästhesisten leider nur eine Minderheit in den Vertreterversammlungen der KVen darstellen und deshalb keine kostendeckende Punktwerte durchsetzen können. Aus diesem Grund versuchten die ambulanten Operateure und Anästhesisten 1996, als die Möglichkeit der Kostenerstattung legalisiert wurde, über diesen Weg kostendeckende Honorare zu erhalten. Durch massive Intervention von Krankenkassen, staatlicher Behörden und Sozialgerichten wurde dieser Weg versperrt, um eine Veränderung des Vertragsarztsystems in Richtung Kostenerstattung zu versperren. Dieses führte sogar zum Entzug der Kassenzulassung von beteiligten Operateuren [2] .

Auch nach Einführung des angeblich betriebswirtschaftlich berechneten EBM 2000plus sind Operationen in Deutschland im internationalen Vergleich nach wie vor unterbezahlt [3] , was in Einzelfällen zu Praxisschließungen geführt hat [4] .

Überleben trotz Unterbezahlung

Sparen, sparen und nochmals sparen

– Das war und ist die Devise für ambulante Operateure und Anästhesisten seit 1993. Die Strategie war, alles Nichtnotwendige in den täglichen Abläufen wegzulassen, die Qualität der Leistung jedoch hoch zu halten, wenn nicht gar zu verbessern. Beispiele für solche Sparstrategien sind:

Trotz oder gerade wegen dieser Sparmaßnahmen waren die Komplikationsraten niedrig; über einen Zehn-Jahresablauf lag die Rate bei regelmäßigen Patientenbefragungen mittels Fragebogen um oder unter 1 % [5] .

Kompensatorische Einnahmen

Mögliche Einnahmequellen waren je nach Fachgruppe:

Kostenermittlung der einzelnen Operationen

Die Kenntnis der tatsächlichen Kosten einzelner Operationen ist von grundlegender Bedeutung für die Beurteilung einer Vergütung und für das Praxismanagement, besonders unter oben skizzierten Sparbedingungen.

Alter EBM: Damals gab es keine Kostenermittlung; die Gebühren wurden vom Abteilungsleiter der KBV, zum Teil nach Rücksprache mit den Verbänden, festgelegt.

EBM 2000plus: Der neue EBM sollte betriebswirtschaftlich berechnet sein, ist es aber nicht durchgehend: Das Arztgehalt wurde z.B. aus politischen Gründen auf 47 Euro pro Stunde [6] festgelegt und es wurde nicht das Oberarztgehalt [7] eines Krankenhausarztes zur Grundlage genommen. Die Produktivität der Arztarbeit wurde nicht berücksichtigt [8] , sie beträgt bei Operateur und Anästhesist etwa 50 % [9] . Die Assistenzgebühr wurde nach den Löhnen von Ärzten-im-Praktikum berechnet; dieses müsste jedoch eine Facharztgebühr sein, da in der Regel Fachärzte assistieren und der Arzt-im-Praktikum abgeschafft ist. Des Weiteren wurden die aktuellen Sachkosten bei der Erstellung dieser Gebührenordnung nicht ermittelt und berücksichtigt.

GOÄ: Auch die amtliche Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist nicht betriebswirtschaftlich berechnet. Sie erlaubt jedoch, die Sachkosten separat in Rechnung zu stellen und für gesteigerte Qualität, Inflationsausgleich und erhöhte Schwierigkeit beim Operieren mit einem entsprechenden Steigerungsfaktor zu arbeiten.

Totale Fallkosten: Eine groß angelegte Studie von Eichhorn und Eversmeyer berechnete die totalen Fallkosten für Beispiel-Operationen [10] . Dieses ist aus volkswirtschaftlicher Sicht am sinnvollsten, für die routinemäßige Erfassung der Kosten jedoch nicht praktikabel. Die Studie zeigte, das endoskopische Verfahren günstiger als konventionell chirurgische Verfahren sind und dass ambulante Operationen in den Arztpraxen die niedrigsten totalen Fallkosten haben.

OP-Blockierungszeitmethode: Mit der OP-Blockierungszeitmethode [11] werden alle Leistungen, die im Zusammenhang mit einer bestimmten Operation stehen, auf die Nutzungszeit im Operationsraum (OP) zurückgeführt. Diese Nutzungszeit wird im OP-Bereich OP-Blockierungszeit (OBZ) genannt. Die OBZ wird nochmals in a) vorgehaltene und b) tatsächliche OBZ eingeteilt. Für die Betriebskosten der OP-Abteilung ist die vorgehaltene OBZ die entsprechende Bezugsgröße; für die Kosten der Einzeloperationen ist es die tatsächliche OBZ. Das Verhältnis von tatsächlicher zu vorgehaltener OBZ ergibt die Auslastung der OP-Räume.

Die Kosten für die Praxis- und OP-Abteilung einer Tagesklinik müssen getrennt dokumentiert werden (2 Kostenstellen). Bei einer solchen Aufteilung der Praxis berechneten sich im Jahre 2006 die Betriebskosten pro vorgehaltener Nutzungsstunde (NS) in der Gynäkologischen Tagesklinik Bonn folgendermaßen:

Zur Ermittlung der Praxiskosten (PK) muss der kalkulatorische Unternehmerlohn zu den Betriebskosten addiert werden. Die PK entsprechen den Kosten in Industrieunternehmen, bei denen die Gehälter der leitenden Angestellten auch enthalten sind. Bei einem kalkulatorischen Unternehmerlohn von 130 Euro pro Stunde [12] berechneten sich die Praxiskosten 2006 pro Arzt auf:

Bei mehreren Ärzten muss der Arztanteil entsprechend ihrer Arbeitszeit erhöht werden.

Mit der durchschnittlichen OBZ, gemessen in der Tagesklinik oder im Gesamtkollektiv des Qualitätssicherungssystems AQS1,  können dann die durchschnittlichen Praxis-Kosten der einzelnen Operationen berechnet werden.

DRG: International gesehen werden Operationen in zunehmendem Maße nach DRGs (Diagnosis Related Groups = diagnosebezogene Fallgruppen) abgerechnet - auch die ambulanten Operationen. Die DRGs werden betriebswirtschaftlich berechnet. In Australien ist die Vergütung für eine Operation unabhängig davon, ob die Operation stationär oder ambulant durchgeführt wird. In anderen Ländern werden 10 bis 20% von der Vergütung wegen des Wegfalls der Pflegekosten bei ambulanter Durchführung abgezogen.

Zwischenfazit

Im GKV-Bereich liegen die Vergütungen sowohl in der Praxis-Abteilung als auch in der OP-Abteilung einer Tagesklinik seit Jahren unterhalb der Praxiskosten (PK). Die im Vergleich zur „normalen“ Praxis höheren Vergütungen für Operationen werden durch die höheren Betriebskosten der OP-Abteilungen „aufgewogen“. Bei gut gehender Privatpraxis kann im Praxisbereich mehr verdient werden als mit Ambulantem Operieren. Ambulantes Operieren erfordert nach wie vor engagierte Operateure (Ärzte und Ärztinnen), die ärztliche Tätigkeit kann trotz der GKV-Unterbezahlung sehr befriedigend sein.

Zukunft

Deutschland hat beim Ambulanten Operieren einen großen Nachholbedarf [13] . Die Zahl der ambulanten Operationen kann und wird hierzulande langfristig verdoppelt werden müssen. Die Krankenhäuser holen beim Ambulanten Operieren langsam auf und operieren nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit etwa 14 % der ambulanten Operationen [14] . Der Umwandlungsprozess von stationärer zu ambulanter Durchführung der Operationen wäre wesentlich schneller, wenn – wie in Australien – die Operationen nach DRG bezahlt werden, unabhängig davon, ob die Operationen ambulant oder stationär erfolgen. Eine Einführung von DRGs für ambulante Operationen trifft in Deutschland bislang noch auf erhebliche Widerstände.

Überlebensstrategien für deutsche Tageskliniken

  1. Verbesserung des Praxismanagements: Betriebskosten müssen niedrig gehalten werden, dazu hilft eine monatliche Finanzwirtschaftlicher Auswertung (FiWA). Bei den Mitarbeiter/innen muss das Kostenbewusstsein geschärft werden. Jede(r) Mitarbeiter(in) muss wissen, was dem Betrieb eine OP-Minute kostet.
  2. Die Kostendeckung der einzelnen Leistungen müssen ständig im Auge behalten werden, damit „Leistungen in roten Zahlen“ vermieden werden können.
  3. Kompensatorische Einnahmen (s. oben) müssen gesucht werden, z.B. durch Integrierte Verträge.
  4. Eine Zusammenarbeit von Operateuren und Anästhesisten in Praxen und Krankenhäusern sollte darauf zielen, DRGs für ambulante Operationen zu erhalten.
  5. Lokale und nationale Qualitäts-Netzwerke für Ambulantes Operieren müssen gebildet bzw. ausgebaut werden.

Warum Netzwerke?

Mögliche Aufgaben der Netzwerke

  1. Verhandlungen mit Krankenkassen um kostendeckende Honorare auf der Basis von DRGs und tatsächlichen Operationskosten führen.
  2. Darstellen der Qualität der Leistungen in der Öffentlichkeit, wobei alle Tageskliniken verpflichtet sind, an einem Qualitätssicherungssystem, z.B. AQS1, teilzunehmen.
  3. Die Qualität innerhalb des Netzes sollte über Benchmarking von Leistungen gestärkt werden.
  4. Gemeinsamer Einkauf von Gütern
  5. Gemeinsames Auftreten in der Öffentlichkeit (Corporate Identity)
  6. Gemeinsame Fortbildungen, z.B. Durchführung von Kongressen, Seminaren
  7. Konzepte für den Nachwuchs beim Ambulanten Operieren entwickeln, u. a. Tageskliniken für die Weiterbildung öffnen.
  8. Konzepte für die Ausbildung der Ärzte aktiv mitgestalten [17] . Ausbildung sollte dort stattfinden, wo Medizin betrieben wird – und dieses findet hauptsächlich in Praxen und Tageskliniken statt. Krankenhäuser werden für High-Tech-Medizin zuständig sein und die Weiterbildung auf diesem Gebiet abdecken.
  9. Netzwerke werden hilfreich sein in der Abwehr von „Dumpingpreisen“ einzelner Anbieter, wie sie jetzt im Rahmen von Verhandlungen zu Integrierten Verträgen auftauchen.  „Dumping bezeichnet den Verkauf von Waren oder Leistungen unter den Herstellungskosten bzw. den eigenen Kosten“ [18] . Dumping bezieht sich also auf die Herstellungskosten der einzelnen Leistungen, nicht auf die Kosten des Gesamtunternehmens. Solche Dumping-Preise können von Tageskliniken in der Regel nur angeboten werden, wenn kompensatorische Einnahmen (s. oben) bestehen und die Wirtschaftlichkeit des Gesamtunternehmens statt diejenige der Einzelleistungen berücksichtigt wird. Solange in Deutschland kein absolut freier Markt für die Medizin eingeführt wird und Gebührenordnungen (GOÄ, EBM 2000plus, DRG) maßgeblich sind, müssen die tatsächlichen Kosten der Leistungen auch die Basis für diese Gebührenordnungen und für Verhandlungen über Preise sein. Wer einen völlig freien Markt mit Dumping-Preisen haben will, muss die Gebührenordnungen abschaffen: Gebührenordnungen und ein völlig freier Markt schließen sich aus. Auch in den USA mit einem angeblich freien Markt gibt es Gebührenordnungen. Dort hat sich seit 1992 die RBRVS, eine Gebührenordnung aufgrund einer Relativwertskala, als praktikables Instrument zur Vergütung ärztlicher Leistungen bewährt.

Zusammenfassung

Ambulantes Operieren, besonders in der Gynäkologie, kann wirtschaftlich erfolgreich sein, wenn kompensatorische Einnahmen für den leider durchgehend unterbezahlten GKV-Bereich bestehen. Die Zukunft des Ambulanten Operierens ist vielversprechend, da die Quote des ambulanten Operierens in Deutschland verdoppelt werden muss, um die Quoten der internationalen Vorreiter-Länder zu erreichen. Zu letzterem Zweck ist eine adäquate Vergütung der Ambulanten Operationen vonnöten. Hierfür sind die tatsächlichen Betriebs- und Praxiskosten zu ermitteln und bei den bestehenden Gebührenordnungen zu berücksichtigen. In Hinblick auf die internationale Entwicklung sollten sowohl ambulant als auch stationär durchgeführte Operationen nach DRGs vergütet werden.

Literatur


[1] Toftgaard C, Parmentier G. International Terminology in Ambulatory Surgery and its Worldwide Practice. In: Day Surgery. Development and Practice. P. Lemos, P. Jarrett, B. Philip, eds. International Association for Ambulatory Surgery (IAAS) 2006, 35-59

[2] Brökelmann J. Krankenkassen und Sozialgerichte werfen Freiberufler aus dem System. Zulassungsentzug wegen Information der Patientinnen über Kostenerstattung http://www.arzt-in-europa.de/pages/2003JB_Zulassungsentzug.html

[3] Brökelmann J. Vergleich EBM 2000plus mit den Gebührenordnungen RBRVS (USA) und TARMED (Schweiz). Bis zu siebenfache Vergütung in den USA http://www.arzt-in-europa.de/pages/2005JB_TARMED-RBRVS.html

[4] Aus für Opladener OP-Zentrum http://www.mao-bao.de/Aktuell21_06.html

[5] Brökelmann, J., P. Bung: Komplikationsraten in der ambulanten operativen Gynäkologie, Frauenarzt 43 (2002), 1046-1051

[6] http://www.kbv.de//8455.html

[7] Billstein G. Der Unternehmerlohn in der Arztpraxis. Stundenlohn für Ambulante Operateure sollte 129 Euro betragen. http://www.operieren.de/content/e3472/e5372/e5775/e5794/index_ger.html

[8] Brökelmann J. Beim kalkulatorischen Arztlohn muss die Produktivität berücksichtigt werden. Ambulante Operateure benötigen danach eine Vergütung von 126 Euro pro produktiver Arbeitsstunde. http://www.arzt-in-europa.de/pages/2003JB_Produktivitaet.html

[9] Hennefründ J. Arbeitskapazität des Operateurs einer Tagesklinik. Betriebswirtschaftliche Berechnungen. http://www.arzt-in-europa.de/pages/2003JB_Produktivitaet.html

[10] Eichhorn S, Eversmeyer H. Evaluierung endoskopischer Operationsverfahren im Krankenhaus und in der Praxis aus Sicht der Medizin, des Patienten und der Ökonomie. Thieme 1999

[11] Brökelmann J. Praxiskosten der Operationen nach der Op-Blockierungszeit-Methode http://www.mao-bao.de/artikel/2005JB_Praxiskosten.htm

[12] Billstein G. http://www.mao-bao.de/artikel/2006GB_Unternehmerlohn.htm

[13] Brökelmann J, Reydelet J. Zahl der Operationen in Deutschland 2003 – eine Annäherung
http://www.mao-bao.de/artikel/2005JB_ZahlOperationen.htm

[14] Brökelmann J, Reydelet J. (2006) Zahl der Operationen in Deutschland - im Krankenhaus und in der Praxis. http://www.operieren.de/content/e3472/e3675/e11937/e11938/index_ger.html

[15] Brökelmann J. Das deutsche Gesundheitswesen muss sich nach Europa orientieren. Offener Brief an Bundeskanzlerin Merkel: Warum deutsche Ärzte sich ihre Berufsfreiheit nicht nehmen lassen. http://www.arzt-in-europa.de/pages/2006JB_OffBf-Merkel.html

[16] Hovermann E. 2007 http://www.mao-bao.de/newsletter.html

[17] Brökelmann J. Thesen zu einer Europa-tauglichen Ausbildung deutscher Ärzte http://www.arzt-in-europa.de/pages/2004JB_Thesen.html

[18] http://de.wikipedia.org/wiki/Dumping