Vermeidung von Wundinfektionen: Händehygiene vs. Operationstechnik?

Erfahrene Operateure in ambulanten und tagesklinischen Einrichtungen verzeichnen die bei Weitem niedrigsten Wundinfektionsraten

2009 +++ Jost Brökelmann, Jörg Hennefründ +++ Quelle: BAO-Depesche Nr. 19, Dez. 2009, 12-15

Kürzlich erschien im Deutschen Ärzteblatt eine Übersichtsarbeit „Händehygiene zur Prävention nosokomialer Infektionen“ [1] .  Darin wird als Vorbeugungsmaßnahme nosokomialer Infektionen lediglich die Händehygiene genannt, nicht aber weitere Einflussmöglichkeiten wie zum Beispiel die Verbesserung von Operationstechniken.

Der Artikel basiert unter anderem auf Keimzahlbestimmungen an den Händen und unterstellt einen Kausalzusammenhang zwischen Hautkeimen auf den Händen der betreuenden Personen (Ärzte, Pflegepersonal) und nosokomialen Infektionen bei Patienten, also eine Infektion durch exogene Keime. Ein solcher Zusammenhang wird jedoch weder belegt noch bewiesen.

Postoperative Wundinfektionsraten

Die postoperative Wundinfektionsrate in deutschen Krankenhäusern wird  von den Autoren mit 16 Prozent angegeben. Durch Intensivierung der Händedesinfektion könnten nach ihren Angaben die nosokomialen Infektionen um 40 bis 50 Prozent gesenkt werden. Das würde immer noch eine postoperative Wundinfektionsrate in Krankenhäusern von 8 bis 10 Prozent bedeuten. In Tageskliniken hingegen betrugen die postoperativen Wundinfektionsraten behandlungsbedürftiger, ambulanter Operationen gemäß  Qualitätssicherung AQS1in den Jahren 2004 bis 2008 nur 3,1 Prozent (Auswertung von 337.488 Arztfragebögen und 152.324 Patientenfragebögen) [2] , [3] . In einzelnen Praxen konnte die Wundinfektionsrate sogar auf 0,1 Prozent gesenkt werden - [4] - . Dabei -wurde keine ausgiebige Händehygiene durchgeführt, die Hände wurden häufig mit Seifenlösung gewaschen und die Handschuhe häufig gewechselt.

Angesichts der vorrangigen Bedeutung von Infektionsraten für die Patienten und die finanziellen Mehrbelastungen für das Gesundheitssystem bedarf diese Diskrepanz dringend einer Untersuchung.

Ursachen der Wundinfektionen

Wenn die Wundinfektionsrate besonders niedrig ist bei Ärzten, die nach eigenem Bekunden die Händedesinfektion eher nicht in dem geforderten Maße einhalten (persönliche Befragungen und Beobachtungen), muss es logischerweise weitere, noch bedeutsamere Einflussfaktoren für Wundinfektionen geben als die Händehygiene.

Operative Technik

Zu den Ursachen für Wundinfektionen und Wundheilungsstörungen führten Schumperlick et al. (2006) [5] am Beispiel der Narbenhernien folgendes an: „Die Wundinfektion beziehungsweise die Ausbildung eines postoperativen Seroms erhöhen das Narbenhernienrisiko signifikant. Ob diese Komplikationen als „individual response“ oder auch als Ausdruck einer zu traumatischen Operationstechnik zu werten sind, ist bislang weitgehend unklar.“

Wundinfektionen werden meist durch endogene Keime der Patienten hervorgerufen [6] . Eine evidenzbasierte Studie zum kausalen Zusammenhang zwischen Wundinfektionen oder Wundheilungsstörungen bei „gesunden“ Patienten ist nicht bekannt.

Prozessqualität

Unzählige Studien befassen sich mit der Frage, inwieweit mit Änderungen der Prozesse (Prozessqualität) eine Senkung der Infektionsrate erreicht werden kann. Sie diskutieren unter anderem das Für und Wider einer präoperativen Rasur, einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe und der Einlage von Wunddrainagen. Einige der Ergebnisse haben auch Eingang in Leitlinien gefunden, werden also als gesicherte Erkenntnisse betrachtet.

Unbestritten ist auch, dass das Infektionsrisiko für die Patienten steigt, je stärker sie mit multiresistenten und hochvirulenten Keimen konfrontiert werden. Diese Keime breiten sich zwar auch im Alltag aus, finden sich aber schwerpunktmäßig in Krankenhäusern und insbesondere im Bereich der Intensivmedizin. Prima vista sinkt daher das Infektionsrisiko für die Patienten, wenn sie in einer Umgebung operiert werden, die räumlich und personell von einem Krankenhaus getrennt ist, insbesondere wenn dieses eine Abteilung für Intensivmedizin betreibt.

Internationaler Vergleich

In Schwellenländern werden aus Kostengründen häufig keine Händedesinfektionsmittel eingesetzt, sondern zum Beispiel nur PVP-Jod-Lösung [7] . Angeblich erhöht dieser Umstand die Wundinfektionsrate nicht, wenngleich hierzu exakte Studien fehlen. Bei einer Internet-Recherche fällt auf, dass es offenbar kulturelle Unterschiede bei der Betrachtung der Infektionsursachen gibt. Während man im Ausland die Operationstechnik allgemein als wichtigen Einflussfaktor nosokomialer Infektionen akzeptiert, werden in Deutschland meist hygienische Faktioren als Ursachen angenommen (siehe Zitate).

Zitate

Die chirurgische Technik beeinflußt die Inzidenz postoperativer Wundinfektionen. Sie ist abhängig von der Erfahrung des Chirurgen. ...

Diese Annahme wird ebenfalls unterstützt durch eine Studie, die ein generell erhöhtes Komplikationsrisiko bei Assistenzärzten festgestellt hat. [8]

Der Chirurg ist in vielen Studien ein entscheidender Risikofaktor für eine Wundinfektion (Cuthbertson u.a., 1991). [9]

The most critical factors in the prevention of postoperative infections, although difficult to quantify, are the sound judgment and proper technique of the surgeon and surgical team, as well as the general health and disease state of the patient. [10]

The most important measure to prevent wound infections is operative technique. [11]

In der deutschsprachigen Literatur hingegen:

Für die Mehrheit der Wundinfektionen wird eine endogene Ursache angenommen, d. h. die Erreger waren bereits im Körper des Patienten vorhanden. Deshalb ist der Chirurg nur in Ausnahmefällen als Täter anzusehen, in den meisten Fällen ist er auch ein Opfer der postoperativen Wundinfektionen. [12]

Die Wahrscheinlichkeit einer Infektion wird durch eine saubere Operationstechnik mit Entfernung von nekrotischem Gewebe und Vermeidung eines großen bakteriellen Inokulums vermindert (Holzheimer et al. 1997). [13]

Diskussion

Selbstverständlich müssen die Patientenkollektive der verschiedenen Veröffentlichungen zu Wundinfektionsraten vergleichbar sein. Ambulant operierende Fachärzten verzeichnen niedrige Wundinfektionsraten  (3 Prozent gegenüber 16 Prozent im Krankenhaus) und niedrigste Infektionsraten (0,1 Prozent). Entscheidend für diese Erfolge ist die Einhaltung der in Folge  aufgeführten Prinzipien des Operierens. Diese Daten weisen darauf hin, dass das ambulante Operieren in Tageskliniken möglicherweise ein noch wichtigerer Einflussfaktor für niedrige postoperative Wundheilungsraten ist als die Händehygiene.

Prinzipien des Operierens (nach Brökelmann 1993 [14] )

Nosokomial bedeutet bezeichnenderweise „in Beziehung zum Krankenhaus stehend“ [15] . Nosokomiale Infektionen haben also etwas mit dem Krankenhaus zu tun. Ursachen können schlechte hygienische Verhältnisse beim Personal oder bei der Instrumentenaufarbeitung sein; es kann aber auch an den Operationstechniken des oder der Chirurgen liegen: wie das Gewebe durchtrennt wird, ob dies anatomisch angepasst geschieht, wie Blutungen gestillt werden, wie das Gewebe beim Wundverschluss adaptiert wird, welches Nahtmaterial verwendet wird, ob Hohlräume hinterlassen werden oder das Gewebe zu eng genäht wird, ob der Chirurg beim Operieren viel spricht und möglicherweise dadurch Keime verbreitet, ob der Operateur erfahren ist oder sich noch in der Ausbildung befindet. Deshalb muss auch die Güte der Operationstechniken als Ursache für Wundinfektionen genau geprüft werden.

Nach eigener Erfahrung4 ist der Operateur mit seinem Wissen und Können der wichtigste Faktor für eine komplikationslose Wundheilung, die Händehygiene hingegen spielt eine untergeordnete Rolle. Mit einer strengen Händehygiene lassen sich die Wundinfektionsraten möglicherweise auf 8 Prozent senken. Noch niedrigere Wundinfektionsraten können nach bisheriger Erfahrung nur durch „optimale“ Operationstechniken erzielt werden.

Somit ist die Vermeidung nosokomialer Infektionen primär ein Problem der Chirurgen und nicht der Hygieniker. Dieses folgt eigentlich auch aus der Aussage der Hygieniker10, dass es sich bei Wundheilungsstörungen meist um endogene Keime handelt - also Keime, die sich schon im Gewebe befinden. Was ermöglicht es diesen endogenen Keimen sich vermehren? Am ehesten eine schlechte lokale Durchblutung als Folge des chirurgischen Eingriffs. Diese Minderdurchblutung wiederum verhindert den Zutritt von Blutzellen und das Wirksamwerden der körpereigenen Abwehr, unter anderem durch Makrophagen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Studie über Hernienoperationen in einem Ausbildungszentrum in Belgien [16] : Von 350 ambulanten Hernienoperationen im Laufe von 2 Jahren wurden 73 von Ärzten in der Weiterbildung durchgeführt. Sie benötigten für die Operation durchschnittlich 26,6 Minuten, während die Fachärzte nur 15,4 Minuten gebrauchten. Das Vorkommen von Seromen und Hämatomen war in beiden Gruppen gleich. Die Fachärzte hatten 1,1 Prozent Rezidive, die Ausbildungsassistenten jedoch 2,7 Prozent. Eine Ausbildungsoperation kann also durchaus mit einer schlechteren Ergebnisqualität einhergehen.

Die überragende Bedeutung einer guten chirurgischen Ausbildung wird durch die Erhebungen von Koperna [17] verdeutlicht. Er verglich die Gesamtkosten zweier Operationsarten (laparoskopische Cholezystektomie und offene Leistenbruch-Operation) bei erfahrenen und weniger erfahrenen Chirurgen (Assistenzärzte, junge Fachärzte) anhand der Kriterien Operationszeit, Komplikationsrate und Gesamtkosten. Die Gesamtkosten von Operationen, die von weniger Geübten ausgeführt wurden, überstiegen bei weitem die Kosten, die entstehen, wenn geübte Chirurgen operieren oder zumindest den weniger Geübten zur Seite stehen.

Schlussfolgerungen

Offenbar fehlen evidenz-basierte Studien, die postoperative Wundinfektionen und Wundheilungsstörungen mit möglicherweise kausalen Faktoren wie chirurgischer Operationstechnik, postoperativer Wundbehandlung, ambulanter oder stationärer Behandlung, allgemeinem Gesundheitsstatus etc. korrelieren und auch kostenanalytische Aspekte berücksichtigen.

Wenn es zutrifft, dass Erfahrung und Können des Operateurs, die Patientenauswahl und die Operationsumgebung die wichtigsten Faktoren für eine primäre Wundheilung darstellen, ergibt sich eine Reihe neuer Perspektiven.

Konsequenzen für die Gesundheitspolitik

Praktische Konsequenzen für den Operateur

Praktische Konsequenzen für die Krankenhäuser

Statt nach vermehrter Händedesinfektion zu rufen, sollte in Deutschland zur Verbesserung der Ergebnisqualität das ambulante Operieren auch in den Krankenhäusern Priorität haben, und zwar auf Facharztniveau. Dieses betrifft ein Potential von zirka fünf Millionen Operationen pro Jahr [18] mit entsprechenden Kosteneinsparungen für die Krankenkassen und Versicherungen.

Zusammenfassung

Die Daten aus 337448 erfassten Operationen in  einer Qualitätssicherung ambulantes Operieren (AQS I) scheinen zu belegen, dass ambulantes Operieren in den deutschen Tageskliniken und bei Vertragsarztpraxen niedrige Raten an behandlungsbedürftigen Wundheilungsstörungen aufweisen. Diese liegen weit unter den publizierten Daten aus den Krankenhäusern.

Alle Einflussfaktoren angemessen gewichten

Wundheilungsstörungen sind für Patienten lästig und verursachen zum Teil erhebliche Kosten. Die Ursachen von Wundheilungsstörungen sollten in einer wissenschaftlichen Studie, die sowohl Krankenhäuser als auch Tageskliniken einschließt, evidenz-basiert untersucht werden.  Dabei käme es insbesondere darauf an, die zahlreichen Einflussfaktoren zu gewichten, anstatt immer nur Einzelfaktoren zu untersuchen.

Dieses ist  angesichts der zunehmenden Probleme der Finanzierung im Gesundheitssystem von vorrangiger Bedeutung.  Derzeit konzentriert man sich überwiegend auf Fragen der Hygieneprozesse. Möglicherweise bergen verbesserte Operationstechniken und persönliche ärztliche Qualifikationen  jedoch das größere Verbesserungspotential.

Literatur



[1] Kampf G, Löffler H, Gastmeier P: Übersichtsarbeit „Händehygiene zur Prävention nosokomialer Infektionen“. Dtsch Arztebl Int 2009; 106(40):649-55, http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?src=suche&p=H%E4ndehygiene&id=66142

[2] Bäcker K, medicaltex (persönliche Mitteilung). Auswertung von 337.488 Arztfragebögen und 152.324 Patientenfragebögen im Zeitraum 2004 bis 2008

[3] Für Komplikationsraten einzelner Operationsarten siehe www.patientenallee.de

[4] Brökelmann J, Bung P: Komplikationsraten in der ambulanten operativen Gynäkologie. Frauenarzt 43 (2002) 1046-1051 http://www.frauenarzt.de/1/2002PDF/02-09-pdf/2002-09-broekelmann.pdf

[5] Schumperlick V, Junge K, Klinge U, Conze J. Narbenhernie – Pathogenese,

Klinik und Therapie. Dtsch Arztebl 2006; 103(39): A 2553–8 http://aerzteblatt.lnsdata.de/pdf/103/39/a2553.pdf

[6] Gastmeier P, Brandt C, Sohr D, Rüden H. Postoperative Wundinfektionen. Der Chirurg als Täter oder Opfer? *Online publiziert: *17. Mai 2006 http://www.springerlink.com/content/62312g61q1142r07/

 

[7] Brökelmann J: Ärztliche Hilfe zur Selbsthilfe – über eine Mission in Ägypten 2007. BAO-Depesche 17 April 2007, 21-24

[8] Widmer AF, Francioli P: Postoperative Wundinfektionen: eine Übersicht. Swiss-NOSO Band 3, Nummer 1, März 1996 http://www.chuv.ch/swiss-noso/d31a1.htm

[9] http://www.urologielehrbuch.de/wundinfektion.html

[10] Nichols RL. Preventing Surgical Site Infections. http://www.clinmedres.org/cgi/content/full/2/2/115

[11] Garner JS, Guideline For Prevention of Surgical Wound Infections, 1985 http://wonder.cdc.gov/wonder/prevguid/p0000420/p0000420.asp

[12] Gastmeier P, Brandt C, Sohr D, Rüden H. Postoperative Wundinfektionen. Der Chirurg als Täter oder Opfer? *Online publiziert: *17. Mai 2006 http://www.springerlink.com/content/62312g61q1142r07/

[13] Harbarth SJ. Postoperative Wundinfektionen. In: Markus Dettenkofer, Franz Daschner, Hrsg. Praktische Krankenhaushygiene und Umweltschutz. 3. Auflage. Springer Verlag 2006

[14] Brökelmann J: Ambulantes Operieren – Der neue Weg in der Gynäkologie. Springer-Verlag Berlin 1993

[15] Zetkin/Schaldach. Lexikon der Medizin. Ullstein 1999

[16] Coenye, Kenneth (Belgium): effect of one-day setting on the training of young surgeons in inguinal hernia repair. Vortrag  auf dem 8. Internationalen Kongress für Ambulantes Operieren, Brisbane/Australia 2009. http://www.mao-bao.de/Aktuell_Extra/extra_13Aug09.html

[17] Koperna Th. How long do we need teaching in the operating room? The true costs of achieving surgical routine. Langenbeck´s Archives of Surgery vol 389, number 3/ Juni 2004, 204-208 http://www.springerlink.com/content/1ru862rcppxwtd1l/

[18] Brökelmann J: Über 5 Millionen stationäre Operationen in Deutschland auch ambulant möglich. Knapp 2 Milliarden Euro Einsparpotential durch ambulantes Operieren. ambulant operieren 1/2006, 36-38. http://www.arzt-in-europa.de/pages/2006JB_AmbOperieren.html