Wie verteidigen wir niedergelassenen Ärzte unsere Rechte?

Ärztliche Leistungen in der GKV müssen nur ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein

2006 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: ambulant operieren 3/2006, 131-132

In letzter Zeit stürmt vieles auf die niedergelassenen Ärzte ein. Sie fühlen sich von mehreren Seiten angegriffen und müssen einen "Mehrfrontenkrieg" führen.

Angriffe von Seiten des Staates
Von den niedergelassenen Ärzten fordert der Staat - besonders in seinem neuesten Entwurf für eine Gesundheitsreform -, dass sie de facto im Rahmen einer Gesamtvergütung, d. h. eines Budgets, eine "optimale" Medizin leisten, obwohl das Geld nur für eine "notwendige" Behandlung, also eine Behandlung "zweiter Klasse", ausreicht. Das heißt, GKV-Versicherte sollen auf Kosten der Ärzte wie Privatpatienten behandelt werden.

Angriffe von Seiten der Kassen
Am liebsten würden die Kassen mit Ärzten Einzelverträge zu Billigpreisen abschließen. Niedergelassene Ärzte fürchten zu Recht einen solchen Dumping-Wettbewerb.

Angriffe von Seiten der privaten Krankenversicherungen
Mit ihren neuen Softwareprogrammen fischen die privaten Krankenversicherungen alle tatsächlichen und auch vermeintlichen Unstimmigkeiten in Abrechnungen heraus und starten eine Kampagne gegen die "Abrechnungsoptimierung".

"Angriffe" von Seiten der Patienten
Patienten treten immer wieder an ihre Ärzte heran, damit diese die von den Beihilfestellen oder Krankenversicherungen nicht vergüteten Leistungen zurücknehmen sollen.

Argument Solidarität
Im Namen der Solidarität wird starker moralischer Druck auf die Ärzte ausgeübt, sie mögen alle Patienten gleichbehandeln und  - im Rahmen eines innerbetrieblichen Solidaraustausches - bei den Privatpatienten das Geld liquidieren, das sie von den GKV-Versicherten nicht erhalten.

Dieser Ruf nach Solidarität zieht nicht mehr. Die Bevölkerung verhält sich bezüglich des Solidargedankens auffallend unsolidarisch. So haben nach der BiB-Studie 64 % der 30-39jährigen Männer und Frauen in Deutschland keinen Kinderwunsch. Damit haben die Deutschen den geringsten Kinderwunsch in ganz Europa (FRAUENARZT 2006). Dieses bedeutet aber auch, dass die Deutschen den Generationenvertrag, welcher die Grundlage des bisherigen Solidarsystems war, aufgekündigt haben. Die Konsequenz ist, dass die Menschen für ihr eigenes Leben und für ihre eigene Zukunft selbst vorsorgen müssen (Eigenverantwortung), denn es gibt nicht genügend Kinder, die für die ältere Generation sorgen können.

Was die Ärzte betrifft, so sind sie nicht Teil der Solidargemeinschaft der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV); sie sind Freiberufler. Trotzdem sollen sie finanziell und zeitlich die Solidargemeinschaft unterstützen. Das heißt, die Ärzte sollen billige Fremdarbeiter für die Solidargemeinschaft der GKV sein. Oder anders ausgedrückt: Die im Grunde marode Solidargemeinschaft der GKV soll noch auf Kosten der freiberuflich tätigen Ärzte weiter existieren.

Für die Ärzte gibt es in dieser Situation nur eine Konsequenz: Sie müssen ihre Unterstützung der Solidargemeinschaft auf ein Niveau reduzieren, welches sie finanziell noch überleben lässt und eine noch einigermaßen gute, medizinische Behandlung erlaubt. Wir müssen uns also auf diejenigen "Verteidigungslinien" zurückziehen, die uns vertraglich (noch) binden.

Rechte der Ärzte
Für die GKV müssen wir im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nur diejenigen Leistungen erbringen, die "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sind" und "das Maß des Notwendigen nicht überschreiten" (Wirtschaftlichkeitsgebot §12 Abs.1 SGB V). Darauf hat schon vor Jahren der damalige Geschäftsführer der KBV Dr. Hess hingewiesen (Hess 2002).

Privatbehandlung
Bei der Privatbehandlung haben die Ärzte gemäß der staatlichen Gebührenordnung GOÄ ein Recht, den 2,3fachen Satz als Regelsatz anzusetzen und auch bis zum 3,5fachen Satz mit Begründung zu steigern. Dieses Recht besteht unabhängig vom Versichertenstatus der Patienten. Der Arzt entscheidet also selbst, was er für notwendig erachtet und ob er den einfachen oder den 2,3fachen Satz berechnet - dieses ist eine individuelle Entscheidung zwischen Arzt und Patient. Eine Minderung des Steigerungssatzes kann nicht durch Unterversicherte gefordert oder vom Staat oktroyiert werden.

Aktionen
Weder der Staat noch die KVen können uns im Kampf um unsere Rechte, nämlich bei der Einschränkung der Leistungen für die GKV-Versicherten auf das Notwendige sowie bei der Erstellung einer "normalen" GOÄ-Rechnung für Privatversicherte unterstützen. Hier sind die Ärzte auf sich selbst gestellt.

1. Aktion: GKV-Patienten erhalten nur ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Behandlung. Sie erhalten überwiegend Kurztermine in speziell eingerichteten Sprechstunden für GKV-Versicherte.
2. Aktion: Alle Privatversicherten unterschreiben eine Honorarvereinbarung für eine Rechnung nach GOÄ (Tabelle 1). Diese Aktion macht allen Privatversicherten, die Billigtarife oder Beihilfetarife haben, deutlich, dass die Arztkosten wegen des von ihnen gewählten Versichertenstatus nicht voll erstattet werden müssen.


Tab. 1: Honorarvereinbarung

Zwischen ... (Arzt/Ärztin der Gemeinschaftspraxis/ Partnerschaft )
und ... (Patient, ggf. gesetzlicher Vertreter)

wird folgende Honorarvereinbarung getroffen:

Die Leistungsabrechnung erfolgt auf Grundlage der GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte) in der Regel mit einem Steigerungsfaktor bis 2,3 des jeweiligen Gebührensatzes, bei Regelabweichungen (z. B. hinsichtlich Schwierigkeit / Zeitaufwand / Ausführungsumständen der Leistung) mit einem Steigerungsfaktor bis 3,5 des jeweiligen Gebührensatzes.

Eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen (private Krankenversicherung, Beihilfestelle) ist möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet.

Von dieser Vereinbarung habe ich ein Exemplar erhalten.


Solche Honorarvereinbarungen oder Begründungen für nicht voll erstattete Rechnungen können durch folgende Erklärungen ergänzt werden:
- "Der Vergütungsanspruch des Arztes kommt durch einen ausschließlich mit den Patienten geschlossenen Behandlungsvertrag zustande und kann nicht durch Versicherungsbedingungen einer Krankenkasse oder Beihilfestelle reduziert werden. Der Vergütungsanspruch ist also unabhängig vom Versichertenstatus der Patientin."
- "Je nach Versichertenstatus kann eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet sein. Dies liegt bei Billigtarifen von privaten Krankenkassen oder Beihilfetarifen ggf. daran, dass die Kasse bzw. Beihilfestelle zu Lasten der Patienten deren Erstattungsanspruch mindert."

Beide Aktionen sind Signale an die Politik, dass die Ärzte sich nicht als Sklaven einer Staatsmedizin einbinden lassen, sondern eine leistungsgerechte Vergütung einfordern. Die Verteidigung dieser Rechte verlangt von den Ärzten Standvermögen, und zwar vor Ort in der Praxis des einzelnen Arztes. Die Standfesten unter den Ärzten werden durchkommen - so ist das nun einmal im täglichen Leben, das stark durch Wettbewerb geprägt ist.

Prof. Dr. Jost Brökelmann

Literatur
Hess R (2002): Handlungskonzept der KBV. "Dienst nach Vorschrift" statt Selbstausbeutung.
http://www.arzt-in-europa.de/pages/2002RH_Handlungskonzept.html

Kinderwunsch im europäischen Vergleich. FRAUENARZT 47 (2006) Nr. 8, 684
http://www.arzt-in-europa.de/