Deutschland fehlt eine Operationsstatistik nach internationalem Standard

Bislang gibt es nur Statistiken einzelner Institutionen im Rahmen der jeweiligen Abrechnungssystematik - das ist eindeutig zu wenig

2011 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: BAO Depesche 22, April 2011, 10-11

Die International Association for Ambulatory Surgery (IAAS) hat bei ihren Mitgliedern - Deutschland ist hier durch den Bundesverband für Ambulantes Operieren (BAO) vertreten - erneut eine Umfrage zur Gesamtzahl der ambulanten und stationären Operationen sowie zu 37 gängigen Operationen der verschiedenen Fachgebiete gestartet.

Voraussetzung für die Erhebung ist eine Einteilung der Operationen nach dem internationalen "International Classification of Procedures in Medicine" (ICPM). Diese internationale Studie benutzt derzeit die Version ICD9CM. Die Anzahl der Operationen soll sich auf Operationsfälle beziehen (1 Fall = 1 Patient).

In Deutschland wurde aus dem ICPM der Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) entwickelt, der seither für die Abrechnung von Operationen und Prozeduren eingesetzt wird. Zur Zeit gilt der OPS-2009. Pro Krankenhausfall werden zwei bis drei OPS abgerechnet (Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2009)[1].

Bislang gibt es keine Gesamtstatistik der Eingriffe in Deutschland, nur Statistiken einzelner Institutionen im Rahmen der jeweiligen Abrechnungssystematik.

Quellen für Operationsstatistiken sind:

Statistisches Bundesamt (Destatis): Veröffentlichte eine "DRG-Statistik 2009 – Vollstationäre Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern. Operationen und Prozeduren (OPS Version 2009)". Die Statistik gilt für Bereiche, die durch drei OPS-Stellen charakterisiert sind.

Gesundheitsberichterstattung des Bundes (gbe-bund): Veröffentlichte unter anderem den Bericht "Ambulante Operationen im Krankenhaus" über die Anzahl ambulant durchgeführter Operationen.[2]

Die kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV): Hat seit Einführung des neuen EBM keine Operationsstatistiken mehr veröffentlicht. Auf Anfrage des BAO hat sie die Gesamtzahl der ambulanten Operationen anhand der Abrechnungsziffern GOP des Kapitels 31.2 EBM (mit den Endziffern 1 bis 7) mit 4.000.218 angegeben.[3]

Gesetzliche Krankenversicherung: Veröffentlichte zuletzt 2008 "Ambulante Operationen im Krankenhaus bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung, Leistungsfälle (Anzahl)". Die Tabelle basiert auf der "KG 2-Statistik".

Private Krankenversicherung: Es ist keine zusammenfassende Darstellung bekannt.[4]

Schönheits-Operationen: Hier gibt es nur Pressestimmen, unter anderem Angaben von 500.000 bis 800.000 Operationen pro Jahr[5].

Bundesverband für Ambulantes Operieren: Die letzte zusammenfassende Darstellung aufgrund der damals noch vorhandenen Operations-Zuschlagsziffern des alten EBM erfolgte 2008[6]. Im Jahre 2006 wurden die Häufigkeiten verschiedener Eingriffe aufgrund der Angaben von etwa der Hälfte aller Kassenärztlichen Vereinigungen zusammengestellt[7].

Die gesammelten Zahlen zu ambulanten und stationären Operationen in Krankenhaus und Praxis für das Jahr 2009 sind in Tabelle 1 zusammengestellt.

Tab. 1: Daten zu Operationen und Prozeduren in Deutschland 2009

Stationäre Operationen und Prozeduren im Krankenhaus: 14.360.493
Ambulante Operationen im Krankenhaus: 1.813.727
Ambulante Operationen und Prozeduren im vertragsärztlichen Bereich (GKV): 4.000.218
Ambulante Operationen privatversicherter Patienten (PKV), geschätzt: 444.467
Summe der ambulanten Operationen und Prozeduren in Krankenhaus und Praxis: 6.258.412

Diskussion: Zahlen sind kaum verwertbar
Mit 14 Millionen stationären Operationen und Prozeduren im Krankenhaus ist die OP-Zahl für 2009 fast dreimal so hoch ist wie die für 2006 veröffentlichte Zahl von 5.389.936 Operationen. Vermutlich handelt es sich nicht nur um Operationsfälle, sondern um abgerechnete Operationen und Prozeduren, wobei zwei bis drei Leistungen auf einen Fall kommen können. Auf die Diskrepanz zwischen Operationen und Operationsfällen wurde schon 2008 hingewiesen. Damit sind diese Angaben für einen internationalen Vergleich nicht verwertbar.

Bei der "Anzahl von ambulanten Operationen" im Krankenhaus (1.813.727, Zeile 2) durch die Gesundheitsberichterstattung Bund (gbe-bund) fehlt der Hinweis, auf welcher Statistik diese Zahl beruht, ob es sich um Operationsfälle handelt und ob privatversicherte Patienten auch berücksichtigt wurden. Auf der Homepage des gbe-bund existiert eine weitere Statistik zu Leistungsfällen "Ambulante Operationen im Krankenhaus bei Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung", die auf der KG 2-Statistik beruht, aber Daten nur bis 2008 angibt. Dort werden für 2008 nur 1.340.766 Operationsfälle beschrieben, also bedeutend weniger als die für 2009 angegebenen 1.813.727 ambulanten Operationen.

Die Statistik der KBV gibt wahrscheinlich Operationsfälle wieder, was in der Systematik des EBM 2009 begründet liegt. Ob die KBV Statistiken für bestimmte OPS-Ziffern hat und also beantworten kann, wie viele Appendektomien oder Konisationen etc. in Deutschland durchgeführt wurden, ist ungewiss. Jedenfalls hat der BAO auf eine Anfrage vom 3. Februar 2011 bis heute keine Antwort von der KBV erhalten.

Die Private Krankenversicherung (PKV) verfügt offenbar über keine eigenen Operationszahlen ihrer Versicherten. Deren Anteil musste geschätzt werden.

Keine der Institutionen bestätigte, dass es sich bei den veröffentlichten Daten nur um Operationsfälle handelt. Die Daten können deshalb für einen internationalen Vergleich nicht herangezogen werden. Zudem würde eine Verwendung der offensichtlich überhöhten Zahlen von stationären Operationen und Prozeduren eine Herabsetzung des Anteils ambulanter Operationen auf 30 % aller Operationen und Prozeduren bedeuten und damit die Situation des Ambulanten Operierens in Deutschland verzerrt abbilden. Im Jahre 2006 betrug der Anteil nämlich noch 52 Prozent.

Auch wenn der OPS-Code aus dem ICPM hervorgegangen ist, gibt es offenbar kein Programm, das beide Kodices miteinander korreliert. Dieses ist aber notwendig, um beispielsweise deutsche OP-Zahlen international vergleichen zu können. Außerdem müsste gewährleistet sein, dass sich Op-Zahlen aus Deutschland auf Operationsfälle beziehen.

Fazit
Die Analyse der veröffentlichten Zahlen zu Operationen im Krankenhaus und in der Praxis zwingen zu folgendem Schluss: Es gibt in Deutschland

Hieraus ergibt sich die Forderung: Bund und Länder müssen für eine Institution sorgen, die eine Zusammenstellung von Operationsdaten nach internationalem Standard (ICPM) herstellt. Dazu muss als erstes eine offizielle Korrelation zwischen ICPM- und OPS-Codes erarbeitet werden.

Literatur

[1] Statistisches Bundesamt, siehe www.destatis.de
[2] Gesundheitsberichterstattung des Bundes, siehe www.gbe-bund.de
[3] Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Schreiben vom 16.8.2010. Tabelle GOP des EBM-Kapitels 31.2, Endziffer 1 bis 7
[4] Bei einem Privatversichertenanteil der Bevölkerung von zirka 10 Prozent, ohne Schönheitsoperationen
[5] Borkenhagen, A. Der Natur nachgeholfen. Gehirn & Geist Nr.1-2/2011, S. 30-36
[6] Brökelmann, J. Zahl der Operations-Fälle 2006 - es fehlen exakte Daten. Bundesweite Statistik von Operationen und Prozeduren wünschenswert. ambulant operieren 3/2008, 141-145
[7] Brökelmann, J. Zahl der Operationen in Deutschland – im Krankenhaus und in der Praxis. ambulant operieren 3/2006, 127-130