Auf dem Weg zu einer Europäisierung des Gesundheitswesens?

Die Gesundheitspolitik im Spannungsfeld nationaler und europäischer Interessen

2009 +++ Roger Jaeckel +++ Quelle: gpk GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 6/09 (Juni 2009), S. 19 (Vollständiger Artikel im Internet)

Auszüge:

Die Rechtsprechungspraxis des EuGH

Insbesondere zu Fragen der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung hat der EuGH vor über einem Jahrzehnt begonnen, mangels klarer europarechtlicher Regelungen sukzessive einen EU-weiten Ordnungsrahmen zu schaffen. Die bis heute bekannten Grundsatzurteile haben wegen ihres Harmonisierungseffektes teilweise zu einer schleichenden Europäisierung des Gesundheitswesens geführt. Diese Entwicklung wurde in der Literatur dann auch als "Euro-creep" bezeichnet.

Dem EuGH wird daher zunehmend die Rolle eines Schiedsrichters zuteil, nicht zuletzt auch in Ermangelung teilweise eigener, national klarer gesetzlicher Regelungen.

Der wachsende länderübergreifende Abstimmungsbedarf in Sachen Gesundheitsversorgung, Gesundheitsschutz und Gesundheitsvorsorge

Der wichtigste Treiber in Sachen Europäisierungsprozess des Gesundheitswesens wird durch die gesundheits- und versorgungspolitisch relevanten Themen selbst bestimmt. Dabei kommt der EU zugute, dass sie Versorgungslücken abdecken muss, die durch die Mitgliedstaaten alleine nur unzureichend oder überhaupt nicht beseitigt werden können. Diese versorgungspolitische Komplementärfunktion ist in Art. 152 EGV geregelt und zielt dabei ausschließlich auf folgende Maßnahmen und Handlungsfelder ab: ·           

Bekämpfung von Infektionskrankheiten als neue europäische Aufgabe

Zu diesem Zweck wurde eigens das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) eingerichtet.

In Zusammenarbeit mit den nationalen Gesundheitsbehörden werden europaweite Gesundheitsüberwachungssysteme und Frühwarnsysteme eingerichtet und unterstützt.

Fazit und Ausblick

Schließlich unterliegt die EU nach Art. 152 EGV generell der Verpflichtung, bei der Festlegung und Durchführung aller Gemeinschaftspolitiken und –maßnahmen die Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus zu gewährleisten.

Es mag nun Zufall oder auch Schicksal sein. Es bleibt jedenfalls zu konstatieren, dass der Bedarf an solchen übergeordneten versorgungspolitischen Koordinationsaufgaben enorm angestiegen ist und die EU eine hohe Motivationsbereitschaft erkennen lässt, dieser Aufgabe auch tatsächlich gerecht zu werden. Als große und zukunftsgewandte Themen werden bereits schon in 2009 die onkologische Versorgung im Sinne von "good practice" in der Krebsversorgung sowie zukunftsweisende Präventionsmaßnahmen ins Visier der europäischen Gesundheitspolitik geraten.

Das Schlagwort von der Europäisierung des Gesundheitswesens wandelt sich von einem doch überwiegend unbegründeten Schreckgespenst zu einem mehrdimensionalen und zielorientierten politischen Lösungsansatz. Die tendenzielle Sorge um eine europäische Vereinheitlichung der national geprägten Gesundheitssysteme rückt daher in weite Ferne.

Das aktuelle EuGH-Urteil in Sachen "Fremdbesitzverbot" unterstreicht im Ergebnis den Anspruch auf strukturelle Vielfalt auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips anstelle einer europäisch dominierten Gleichmacherei im Bereich der Gesundheitsversorgung.