Auswahlkriterien zum ambulanten Operieren

Weitgehender Konsens auf internationaler Ebene

2009 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: internist. Prax. 49, 237-242 (2009)

Im deutschsprachigen Raum wurden die Auswahlkriterien zum Ambulanten Operieren schon vor über 20 Jahren lehrbuchmäßig festgelegt (Brug und Fritz 1985). Kürzlich erschien das "IAAS-Handbuch" der International Association for Ambulatory Surgery (Lemos et al. 2006), in dem auf internationaler Ebene ein weitgehender Konsensus zu den Fragen des Ambulanten Operierens, u. a. auch der sog. Auswahlkriterien, gefunden wurde.

Dabei gilt zu berücksichtigen, dass in den letzten 20 Jahren immer größere Operationen ambulant durchgeführt wurden. Ein vorläufiger Höhepunkt war der Bericht über den ambulanten Hüftersatz (Ärzte Zeitung 2004).

Die nachfolgende Diskussion um Auswahlkriterien zum Ambulanten Operieren betrifft das Ambulante Operieren in Narkose oder Sedierung. Nicht berücksichtigt wird das Operieren in Lokalanästhesie, da dieses schon immer praktiziert wurde.

Auswahlkriterien oder Kontraindikationen?
In Ländern mit niedriger Rate ambulanter Operationen spricht man von Auswahlkriterien, in Ländern mit hoher ambulanter Operationsrate von Kontraindikationen zum Ambulanten Operieren, weil es nur relativ wenige Kontraindikationen gibt (Gudimetla et al. 2006). Deutschland gehört zu den Ländern mit niedriger Operationsrate, die Rate beträgt nur 37 % (Brökelmann, Reydelet 2005). Mehrere Industrieländer haben Operationsraten von über 80%, z. B. USA, Kanada. Die Häufigkeit von Leistenbruchoperationen in den Industrieländern demonstriert gut die unterschiedlichen Operationsraten in den einzelnen Ländern (Abb. 1).

Auswahlkriterien
Bei den Auswahlkriterien für das Ambulante Operieren erscheinen folgende Gesichtspunkte wichtig:

1. Auswahl anhand der Anamnese

Die wichtigsten Auswahlkriterien können durch einen Patientenfragebogen, der gemeinsam von Operateuren und Anästhesisten erstellt wurde, abgefragt und für die präoperative Organisation benutzt werden (Tab. 1).

2. Auswahl aus Sicht des überweisenden Facharztes [1]

3. Auswahl aus Sicht der Patienten

4. Auswahl aus Sicht des Operateurs: Qualität der operativen Einheit

5. Auswahl aus volkswirtschaftlicher Sicht: Kosten-Nutzen-Analyse

Diskussion
Früher lag die Verantwortung für die Überprüfung der Indikation und Auswahl der geeigneten Operationsumstände (stationär/ambulant) hauptsächlich bei den leitenden Krankenhausärzten. Die Versuchung war groß, dass sich die Krankenhausärzte im Zweifelsfall für die stationäre bzw. die größere Operation entschieden, weil diese dem Krankenhaus förderlich war.

Heute liegt diese Verantwortung in zunehmendem Maße bei niedergelassenen Ärzten, wobei sich niedergelassene Fachärzte, Operations-Einheiten (Praxisklinik, Tagesklinik, ambulantes OP-Zentrum, Medizinisches Versorgungszentrum) und in der Regel ein oder mehrere Krankenhäuser zu einem virtuellen oder offiziellen Netz zusammenschließen. Diese Verlagerung der Verantwortung ändert jedoch nichts an den Auswahlkriterien für das Operieren, welche gleichermaßen für das Krankenhaus wie für die Praxis gelten.

Ziel jeder Operation sollte ein günstiges Operationsergebnis, eine baldige Wiedereingliederung in den Alltag und eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit sein.

Am wichtigsten ist die Indikation für oder gegen eine Operation. Die Frage "Ist die Operation überhaupt notwendig?" muss eingehend mit dem Patienten besprochen werden, da Patienten heute mündige Bürger sind.

Die Frage "Wo soll die Operation durchgeführt werden?" sollte der überweisende Arzt im Gespräch mit dem Patienten verantworten. Grundlage für dieses Gespräch sollten in zunehmendem Maße veröffentlichte Erfahrungsberichte der Op-Einheiten über Komplikationsraten und Arbeitsunfähigkeitszeiten werden.

Ein Patienten-Fragebogen hilft, diejenigen Patienten herauszufinden, die ein präoperatives Gespräch mit dem Operateur und dem Anästhesisten und ggf. weiteren Fachärzten unbedingt benötigen. Aus eigener Erfahrung ist die Frage "Wie viele Stockwerke können Sie steigen?" eine der wichtigsten für die Einschätzung der Belastbarkeit eines Menschen und damit für die Eignung zu einer ambulanten Operation. Im Zweifelsfall sollten Operateur, Anästhesist und Hausarzt die Eignung für eine Operation mit dem Patienten besprechen.

Prinzipiell sollten wir Deutsche uns bewusst sein, dass ausweislich der internationalen Statistiken ca. 80 % aller Operationen ambulant durchgeführt werden können. Die in Deutschland noch weit verbreitete stationäre Durchführung von Operationen hat nicht so sehr medizinische, sondern vielmehr systemimmanente Gründe.

Prof. Dr. Jost Brökelmann
Bundesverband für Ambulantes Operieren BAO
Sterntorbrücke 1
53111 Bonn

Literatur:

Ärzte Zeitung vom 7.12.2004. Hüftgelenk-Op minimal invasiv und ambulant. BAO-MAO-Aktuell; Nr. 45, vom 8. Dezember 2004
Bartholomeusz, H., J. Brökelmann, J. Reydelet, P. Jarrett: Office-based Surgery. In: Lemos, P., P. Jarrett, B. Philip, eds.  Day Surgery -- Development and Practice. International Association for Ambulatory Surgery 2006, 299-318
Brökelmann, J.: Leistungsberichte einer Gynäkologischen Tagesklinik. ambulant operieren 1/2003, 44 ff.
Brökelmann, J. (2005a): Wirtschaftliche Praxisführung: Beispiel einer operativen Praxisklinik. In: Wirtschaftlich erfolgreich in der Arztpraxis. Das Einmaleins der Betriebswirtschaft für Ärzte. Hrsg.: R-R Riedel, ML Hansis, W Wehrmann, A Schlesinger. Deutscher Ärzte-Verlag Köln 2005, 23-50
Brökelmann, J.(2005b): Praxiskosten der Operationen nach der Op-Blockierungszeit-Methode. ambulant operieren 2/2005, 93-95
Brökelmann, J.(2005c): Operationen werden im EBM 2000plus unter Kostendeckung vergütet - Vergleich mit Schweizer Gebührenordnung TARMED. BAO-Depesche Februar 2005, 3-5
Brökelmann, J., J. Reydelet: Zahl der Operationen in Deutschland 2003 - eine Annäherung. ambulant operieren 2/2005, 93-95
Brug, E., Fritz, K., Hrsg. (1985): Ambulantes Operieren in der Chirurgie. Deutscher Ärzte-Verlag 1985
Castoro, C., C. Drace. Patient information, assessment and preparation of day cases. In: Lemos, P., P. Jarrett, B. Philip, eds.: Day Surgery -- Development and Practice. International Association for Ambulatory Surgery 2006, 157-184
Eichhorn, S. und Eversmeyer 1999: Evaluierung endoskopischer Operationsverfahren im Krankenhaus und in der Praxis aus Sicht der Medizin, des Patienten und der Ökonomie. Thieme 1999
Gudimetla, V, I. Smith. Pre-operative screening and selection of adult day surgery patients. In: Lemos, P., P. Jarrett, B. Philip, eds.: Day Surgery --Development and Practice. International Association for Ambulatory Surgery 2006, 125-137
Lemos, P., P. Jarrett, B. Philip, eds.: Day Surgery -- Development and Practice. International Association for Ambulatory Surgery 2006
Rüggeberg, J.-A., J. Brökelmann: Qualitätssicherung AQS1 hat sich für das Ambulante Operieren bewährt. ambulant operieren 4/2004, 151-156
Toftgaard, C., G. Permentier (2006): International Terminology in Ambulatory Surgery and its Worldwide Practice. In: Lemos, P., P. Jarrett, B. Philip, eds.:  Day Surgery -- Development and Practice. International Association for Ambulatory Surgery 2006, 35-59

[1] Alle Bezeichnungen werden nachfolgend geschlechtsneutral benutzt.