Gesetzliche Krankenversicherung: Durch Evolution zur Revolution

"go 360" plädiert für die Einführung individueller Gesundheits-Sparkonten

2007 Manfred Richter-Reichhelm +++ Quelle: Deutsches Ärzteblatt 104, Ausgabe 41 vom 12.10.2007, Seite A-2764. Vollständiger Text: Webseite

Die Arbeitsgruppe "go 360" plädiert für die Einführung individueller Gesundheits-Sparkonten. Mehr Eigenverantwortung, ein höheres Kostenbewusstsein und eine bessere Compliance seien zu erwarten.

Das Konzept ist angelehnt an außereuropäische Lösungen

Hier setzt die Arbeitsgruppe "go 360" mit ihrem Vorschlag an, in die deutsche GKV ein persönliches Gesundheits-Sparkonto (GSK) einzuführen. Dieses Konzept lehnt sich an die außereuropäischen Lösungen der Medical Savings Accounts (MSA) an, die schon in Singapur und China, in Südafrika und den USA eingeführt sind und in Kanada, Australien und Malaysia vor der Tür stehen. Insbesondere können MSA einen Anreiz bieten zu mehr Eigenverantwortung sowie zu einem kostenbewussteren Umgang mit den Gesundheitsleistungen und zu einer höheren Compliance der Patienten führen. Sind doch als GKV-Systemschwächen ausgemacht: das "Vollkaskosystem", das inverse Nachfrageverhalten, die fehlende Kostensouveränität der Patienten, die fehlende Transparenz, eine oft noch zu paternalistische Beziehung zwischen Arzt und Patient, eine arztinduzierte Nachfrage sowie die fehlende Compliance der Patienten.

In Abweichung von den eingeführten außereuropäischen MSA-Systemen schlägt die Gruppe "go 360" eine modifizierte MSA-Lösung für Deutschland vor, die evolutionär und schrittweise in das bestehende GKV-System eingeführt werden kann und die die vom Gesetzgeber beschlossenen Neuerungen proaktiv nutzt. Der Deutsche Bundestag hat in der letzten Reform beschlossen, dass in der GKV der Patient durch Selbstbeteiligungs-Wahltarife an seinem Krankheitsrisiko beteiligt werden soll, um so die Versicherungsbeiträge senken zu können. Als Rahmenkonzept für die Selbstbeteiligung empfiehlt "go 360" das "Gesundheits-Sparkonto 360" (GSK 360). Im Krankheitsfall wäre der zu zahlende Selbstbehalt von diesem Konto zu bezahlen. Der Aufbau des für die Finanzierung benötigten Guthabens kann ohne Mehrbelastung des bestehenden Gesundheitssystems erfolgen.

Die Arbeitsgruppe empfiehlt ein zwei-säuliges Ansparkonzept

- Erste Finanzierungssäule: freiwilliges Ansparprogramm. Der GKV-Versicherte wählt einen Selbstbeteiligungstarif. Die Beitragseinsparungen zahlt er zum Teil oder ganz auf sein persönliches Gesundheits-Sparkonto ein. Die Guthabenhöhe wird von Jahr zu Jahr durch die Wahl immer höherer Selbstbehalte optimal.

Nach wie vor zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Beitrag in die GKV ein. Die Prämie für den Selbstbehalttarif fließt an den Arbeitnehmer zurück, der sie auf sein Gesundheits-Sparkonto einzahlt. Solidarisch werden seine Gesundheitsausgaben jenseits der Selbstbeteiligungsgrenze aus der GKV finanziert. Abhängig von der Inanspruchnahme wächst sein persönliches Konto im Lauf der Jahre als Grundstock einer Kapitaldeckung stetig an.

- Zweite Finanzierungssäule: Nachwuchsförderung als demografische Rückstellung. Die zweite Säule entsteht aus einem staatlichen Förderungsprogramm für die nachwachsende Generation. Die vom Bund zugesagten finanziellen Mittel zur Förderung der Kinder werden im Gesundheitssystem gebunden. Alle Kinder - sowohl jene von gesetzlich als auch jene von privat krankenversicherten Eltern - erhalten jährlich staatliche Zahlungen auf ihr individuelles Gesundheitskonto. So steht jedem Kind des aktuellen Geburtenjahrgangs bei Vollendung des 18. Lebensjahres eine Basis für die Wahl einer hohen Eigenbeteiligung zur Verfügung. Das GSK 360 erhält so den Charakter einer demografischen Rückstellung und federt die finanziellen Effekte der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft ab.

Der Staat ist vor die Frage gestellt, ob er die Beitragssatzsubventionierung für die Erwachsenen bevorzugt oder Gesundheitssparkonten für die Kinder einführt. Er kann beispielsweise im Jahr 15 Milliarden Euro an Erwachsene zur Senkung ihres Beitragssatzes für die GKV transferieren oder jedem Kind 1 000 Euro im Jahr auf ein Gesundheitssparkonto einzahlen. Die erste Variante entlastet die aktiven Beitragszahler jetzt, die zweite die kommende Generation.

Das Gesundheits-Sparkonto 360 ist ein individuelles Sparbuch, das ähnlich einem herkömmlichen Bankkonto funktioniert. Das Konto wird von der Krankenkasse verwaltet, verzinst und kann vererbt werden. Ist eine bestimmte Guthabenhöhe erreicht, werden dem Versicherten die Überschüsse ausgezahlt.

Fazit: Das jetzige Gesundheitssystem kann schrittweise von der Überbeanspruchung der Solidarität zur Eigenverantwortung transformiert werden. Wo der Bürger seine Gesundheit selbst beeinflussen kann, verantwortet und finanziert er sie. Für hohe Risiken steht die Solidargemeinschaft in der Verantwortung. Die Generationengerechtigkeit wird erhöht.