Amerikanische Verhältnisse - und wie sie wirklich sind

Überblick über das US-amerikanische Krankenversicherungssystem

2007 +++ Julia Bathelt +++ Quelle: Rheinisches Ärzteblatt 8/2007,13-14

Amerikanische Verhältnisse im deutschen Gesundheitswesen — ein Horrorszenario, das Politiker, Patientenvertreter und Ärzteverbände seit Jahren immer wieder heraufbeschwören. Von fehlendem Krankenversicherungsschutz ist die Rede, von immensen Gesundheitsausgaben und einer wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Gleichzeitig genießt die US-amerikanische Medizinforschung einen hervorragenden Ruf. Woran krankt es also, wenn ein Land zwar Spitzenforschung betreibt, zugleich aber große Defizite in der Patientenversorgung verzeichnen muss?

Dass es in den USA weder ein solidarisch finanziertes Krankenversicherungssystem noch eine Krankenversicherungspflicht gibt, spielt sicherlich eine große Rolle. Dieser Umstand führt dazu, dass viele Menschen aus Kostengründen unterversichert sind bzw. gänzlich auf Versicherungsschutz verzichten. Inzwischen gilt dies für mehr als 41 Millionen der rund 300 Millionen Amerikaner — also etwa jeden Siebten. Da Sozialhilfeempfänger staatlichen Versicherungsschutz genießen (Medicaid), sind vor allem die unteren Einkommensschichten massiv von diesem Problem betroffen. Hinzu kommt eine hohe Dunkelziffer an illegalen Einwanderern, die ebenfalls keine Krankenversicherung besitzen. 1993 versuchte der damalige US-Präsident Bill Clinton, eine umfassende Gesundheitsreform durchzusetzen, nach der alle Bürgerinnen und Bürger der USA einen staatlich garantierten Anspruch auf Krankenversicherung erhalten sollten. Das Projekt scheiterte jedoch am Widerstand der Versicherungen und Unternehmen, die einen Großteil der Krankenversicherungskosten ihrer Beschäftigten hätten tragen müssen. Clintons Ehefrau Hillary, die gute Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten hat, möchte dieses Ziel im Falle eines Wahlsiegs weiterverfolgen. Kürzlich erklärte sie, einer Krankenversicherung für alle Menschen in den USA weiterhin oberste Priorität einzuräumen.

Versicherungsmarkt hart umkämpft
Der amerikanische Versicherungsmarkt ist hart umkämpft, da die US-Bürger zwischen verschiedenen  Versicherungsoptionen frei wählen können. Neben gewinnorientierten privaten Versicherungsunternehmen bieten Betriebskrankenkassen sowie die „Health Maintenance Organizations“ (HMO) Versicherungsschutz an. Beiträge und Umfang der Policen unterscheiden sich erheblich, da es vom Ermessen und Geldbeutel des einzelnen Versicherten abhängt, ob er lediglich einen Basistarif oder ein Allinclusive-Paket wählt. Anders als in Deutschland sind zahnmedizinische Leistungen in der Regel nicht im Leistungskatalog enthalten und müssen separat versichert werden.

Ein Großteil der Arbeitnehmer ist durch Gruppenkrankenversicherungen abgesichert, denn Großunternehmen und andere Arbeitgeber mit hohem Personalaufkommen sind in der Lage, Gruppenverträge zu vergünstigten Preisen mit den  Krankenversicherungen abzuschließen. Vielfach teilen sich Angestellte und Arbeitgeber die Prämien. Einige Arbeitgeber, vor allem im öffentlichen Dienst, übernehmen für ihre Angestellten bis zu 100 Prozent der Kosten für eine  Basiskrankenversicherung. Wünschen die Arbeitnehmer Sonderleistungen, können sie diese im Bausteinsystem zusätzlich absichern.

Health Maintenance Organizations
Viele Amerikaner sind über „Health Maintenance Organizations“ (HMO) versichert. Diese Gesundheitskonzerne betreiben sowohl Versicherungen als auch Gesundheitseinrichtungen. Die Versicherten zahlen einen festen Beitrag, der weitgehend unabhängig von den individuell in Anspruch genommenen Leistungen ist. Allerdings steht das Prinzip der Wirtschaftlichkeit deutlich im Vordergrund. Die HMOs steuern das Verhalten von Ärzten und Patienten direkt, um die Kosten zu begrenzen. So wurden Zugangsbeschränkungen zu Spezialisten, Notaufnahmen und bestimmten medizinischen Leistungen sowie Selbstbeteiligungen eingeführt, um die Kosten zu kontrollieren. Zudem haben die Versicherungsträger Systeme erarbeitet, mit denen sie die Qualität der medizinischen Versorgung definieren und messen können. Dazu gehören u.a. Überprüfungen von Krankenakten sowie Patientenbefragungen. Die Ergebnisse der Qualitätskontrollen spielen für Ärzte und Krankenhäuser eine große Rolle, da sie Direktverträge mit den HMOs abschließen.

Die Patienten genießen den vollen Versicherungsschutz nur innerhalb des Netzwerkes, das ihre Krankenkasse mit bestimmten Leistungserbringern eingegangen ist.

Für Wahlleistungen außerhalb des Netzwerkes kommen die HMOs nur teilweise oder gar nicht auf. Werden Verträge seitens der Leistungserbringer oder der Versicherungen nicht verlängert, können Patienten ihre vertrauten Ärzte verlieren. Ein Umstand, der insbesondere für ältere Menschen und chronisch Kranke problematisch ist. Inzwischen haben etliche US-Bundesstaaten ein Patientenrechtsgesetz (,‚Patient‘s bill of rights“) verabschiedet, das die Rechte der Patienten gegenüber den HMOs stärken soll. Die Versicherten haben nunmehr die Möglichkeit, HMOs wegen Verzögerungen oder der Ablehnung medizinischer Behandlungen zu verklagen.

Das größte Sozialleistungsprogramm Amerikas heißt Medicaid. Es wird gemeinsam von Bund und Bundesstaaten finanziert und gewährleistet die medizinische Versorgung der armen Bevölkerungsschichten. Um Medicaid in Anspruch nehmen zu können, müssen von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedliche Bedingungen erfüllt werden. Auch die Organisation der Medicaid-Programme variiert stark. Teilweise werden private Versicherungsgesellschaften mit der Abwicklung beauftragt, teilweise nimmt der Bundesstaat Leistungserbringer auch direkt unter Vertrag. Im Jahr 2001 nahmen 46 Millionen Amerikaner das Medicaid-Programm in Anspruch.

Das teuerste Gesundheitswesen der Welt
Die USA haben das teuerste Gesundheitssystem der Welt. Nach Angaben der WHO betrug der Anteil der Gesundheitsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 15,2 Prozent im Jahr 2003 (Deutschland: 11,1 Prozent). Im Jahr 2002 gaben die Amerikaner fast 140 Prozent mehr für ihre Gesundheit aus als der OECD-Durchschnitt. Laut OECD-Gesundheitsdatenbank explodierten die Kosten zwischen 1997 und 2002 geradezu: Sie wuchsen 2,3 mal schneller als das BIP der Vereinigten Staaten. In den anderen OECD-Ländern stiegen die Gesundheitsausgaben im selben Zeitraum 1,7 mal schneller als das BIP.

Um die Gesundheitskosten einzudämmen, setzen viele Krankenversicherungen seit einigen Jahren auf ein neues Konzept: Pay-for-Performance (P4P). In diesen Programmen werden die Leistungen von Ärzten und Kliniken nach bestimmten Kriterien beurteilt und Qualitätsverbesserungen entsprechend vergütet. Bislang konzentrieren sich die P4P-Projekte auf die Versorgung von Patienten mit bestimmten chronischen Erkrankungen, ähnlich den hiesigen Disease-Management-Programmen. Neben der Qualität der medizinischen Versorgung fließen die Patientenzufriedenheit, Kostenmanagement sowie Verwaltungseffektivität in die Bewertung ein. Werden innerhalb eines bestimmten Zeitraums keine Qualitätsverbesserungen erzielt, muss mit Honorarkürzungen gerechnet werden.

Abrechnung nach DRGs
In den USA gibt es mehr als 730.000 Ärzte. Dies entspricht 2,56 Ärzten pro 1.000 Einwohnern (Deutschland: 2,7). Nach Angaben der American Hospital Association liegt die Zahl der Krankenhäuser bei rund 5.750 (Stand: 2005). Die Kliniken halten zusammen knapp 950.000 Betten bereit. Pro Jahr werden insgesamt 37 Millionen Patienten aufgenommen. Die Gesamtausgaben der Krankenhäuser für 2005 betrugen mehr als 570 Milliarden Dollar. Seit 1983 rechnen die Kliniken nach DRGs ab. Das erste Fallpauschalensystem wurde aber bereits 1967 im Rahmen eines Projektes zur Qualitätssicherung an der Universität Yale entwickelt.

Die USA gehören zu den führenden Forschungsnationen der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg stellten die Vereinigten Staaten die meisten Nobelpreisträger im Bereich „Medizin und Physiologie“. Allein im letzten Jahr gingen sämtliche naturwissenschaftliche Nobelpreise an US-Forscher, darunter auch der Preis für Medizin.

www.aha.org (American Hospital association)
www.ama-assn.org (American Medical Association)
www.who.int/countries/usa/en/index.html
www.oecd.org
http://usa.usembassy.de/gesellschaft-healthMtm
www.usa.de