Die Generationenbilanz - Brandmelder der Zukunft

Update 2007: Demografie trifft Konjunktur

2007 +++ Christian Hagist, Matthias Heidler, Bernd Raffelhüschen, Jörg Schoder +++ Quelle: Internet

Zusammenfassung

Um die fiskalische Nachhaltigkeit der Politik bzw. einzelner Reformmaßnahmen zu messen, hat die Wirtschaftswissenschaft in den letzten Jahren mehrere Instrumente eingeführt. Hierzu zählt auch die Generationenbilanz, die Anfang der neunziger Jahre in den USA entwickelt wurde. Der vorliegende Beitrag präsentiert die Ergebnisse der Generationenbilanzierung des Basisjahres 2005. Dabei wird auf Grundlage isolierter Analysen primär auf die sozialen Sicherungssysteme als Ursache für die langfristige Schieflage der deutschen Fiskalpolitik eingegangen. Zudem wird ein internationaler Vergleich gesetzlicher Gesundheitssicherungssysteme aus Sicht einer nachhaltigen Finanzierung angestellt.

Auszüge:

Alternativ kann die implizite Staatsschuld auch als Barwert aller zukünftigen Primärdefizite interpretiert werden. Sie quantifiziert die bei Fortgeltung der aktuellen Gesetzeslage entstehenden schwebenden Ansprüche an den Staat, welche vor allem aus den umlagefinanzierten Sozialversicherungen resultieren. Die implizite Staatsschuld des Basisjahres 2005 beläuft sich bei einem unterstellten Realzins r von 3,0 Prozent und einer realen Wachstumsrate g von 1,5 Prozent auf 211,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Jahres 2005. Zusammen mit der explizit ausgewiesenen Staatsschuld von 64,5 Prozent des BIP ergibt sich die sogenannte Nachhaltigkeits- oder Tragfähigkeitslücke von 275,7 Prozent des BIP.

Deutschland und seine Gesundheitsreform – eine Ausnahme?

Reformen, die im Hinblick auf die Nachhaltigkeit ähnlich erfreuliche Wirkungen haben wie jene im Bereich der GRV, vermisst man in anderen Bereichen schmerzlich. Zum 1. April 2007 ist zwar eine umfassende Gesundheitsreform in Kraft getreten, ob diese aber die Probleme der GKV lösen kann, darf weiterhin bezweifelt werden. Von ökonomischer Seite zu begrüßen ist zwar die Möglichkeit von Wahltarifen in der GKV, um den Wettbewerb zwischen den Kassen zu beleben. Jedoch stellt sich die Frage, wie die Steuerungswirkung solcher auf drei Jahre festgeschriebenen Wahlmodelle sein wird und ob somit wirklich ein echter Finanzierungseffekt erreicht werden kann. Auch das zweite zentrale Standbein des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG), der sogenannte Gesundheitsfonds, vermag nicht zu überzeugen. Mini-Pauschalen ändern nur wenig an der versicherungsmathematisch vollkommen falschen Lohnbezogenheit der Beiträge. Und wie mit einer solchen im Endeffekt großen Einheitskasse mehr Wettbewerb induziert werden soll, bleibt den meisten Beobachtern, angefangen bei den Gewerkschaften über die Wissenschaft bis hin zu den Arbeitgeberverbänden, bisher verschlossen. Selbstverständlich gibt es begrüßenswerte Punkte im Gesetz, die jedoch nicht als großer Wurf gelten können. Hierzu gehört etwa die Öffnung der Kliniken für ambulante Behandlungen. Das GKV-WSG ist und bleibt jedoch ein Kompromiss zur politischen Gesichtswahrung der beteiligten Parteien. Aus Nachhaltigkeitsgesichtspunkten hätte zwar vielleicht die verstärkte Steuerfinanzierung etwas bewirken können, doch fällt diese sogar noch geringer aus als in den Vorjahren. Selbst bei gesteigerter Steuerfinanzierung muss der Blick aber verstärkt auf die Ausgabenseite gerichtet werden, denn nur dort ist eine wirklich nachhaltige Reform möglich. Wahltarife mit Selbstbeteiligungen sind dabei ein Anfang, nur müssen diese Tarife auch über die Zeit verbindlich sein und dürfen nicht, wenn die ersten Alterszipperlein plagen, zum zahnlosen Tiger werden.
Mit der ungelösten Gesundheitsproblematik steht Deutschland jedoch nicht allein da, ja es scheint vielmehr so, als habe noch kein vergleichbarer Industriestaat dieses Problem wirklich in den Griff bekommen. Denn auch Staaten wie das Vereinigte Königreich, welchem eine bedeutend schlechtere Qualität der Gesundheitsversorgung nachgesagt wird, oder aber selbst die USA mit immerhin 40 Millionen Unversicherten kämpfen mit stetig steigenden Gesundheitsausgaben aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts und nun auch bald des demografischen Wandels. Abbildung 5 zeigt einen Vergleich von Nachhaltigkeitslücken sechs westlicher Industriestaaten mit teilweise völlig unterschiedlichen Gesundheitsversicherungssystemen: jene Deutschlands, Frankreichs, Österreichs, der Schweiz, des Vereinigten Königreichs und der USA.

Abbildung 5: Internationaler Vergleich staatlicher Gesundheitssicherungssysteme aus Sicht der Nachhaltigkeit (Basisjahr 2003, g=1,5% r=3,0%, in Prozent des BIP)

Frankreich                                         57.9

Österreich                                         63.6

Schweiz                                             84.2

Deutschland                                     89.2

Vereinigtes Königreich                  97.9

Vereinigte Staaten                        189.4

In Abbildung 5 ist zu erkennen, dass sich Deutschland durchaus in „guter“ Gesellschaft befindet. Die USA überragen alle ihre europäischen Partner bei weitem, wobei bedacht werden sollte, dass die USA mit einer wachsenden Bevölkerung natürlich auch ein wachsendes BIP hat, welches in Zukunft Lasten leichter schultern lässt. Jedoch bleibt die Problematik einer nicht nachhaltigen Finanzierung auch hier bestehen und dies, obwohl nur ein relativ kleiner Teil der Gesamtbevölkerung gesetzlich versichert ist. In den USA ist es das höhere Preisniveau und die undurchsichtige Leistungsgewährung, welche diese enorme Lücke verursacht. Bereits heute geben die USA 20 Prozent ihres Gesamthaushalts für Gesundheit aus, in Deutschland sind es, nimmt man auch die Soziale Pflegeversicherung dazu, gerade einmal rund 17 Prozent. Europäische Nachbarländer wie Frankreich und Österreich stehen deshalb etwas besser als Deutschland da, da sich der demografische Wandel dort entweder aufgrund der höheren Geburtenrate oder aber aufgrund von Einwanderung nicht so negativ auswirkt wie in der Bundesrepublik. Ein Patentrezept zur nachhaltigen Finanzierung gibt es aber auch hier nicht, wobei beide Länder gemein haben, dass sie schon lange in gesetzlichen Systemen höhere Zuzahlungen praktizieren als dies in Deutschland der Fall ist.