Karlsruhe für Begrenzung der Staatsverschuldung

Verfassungsklage abgewiesen - Sondervotum dreier Richter

2007 +++ Frankfurter Allgemeine Zeitung +++ Quelle: FAZ 10. Juli 2007

Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage der damaligen Bundestagsopposition von CDU/CSU und FDP gegen den Bundeshaushalt 2004 mit einer Neuverschuldung abgewiesen. Der Zweite Senat unterstrich jedoch in seinem am Montag in Karlsruhe verkündeten Urteil, an der "Revisionsbedürftigkeit der geltenden verfassungsrechtlichen Regelungen" sei "kaum noch zu zweifeln". Die drei Richter Di Fabio, Mellinghoff und Landau rügten in einem Sondervotum überdies ihre fünf Richterkollegen, weil sie die Vorschriften des Grundgesetzes nicht strenger ausgelegt haben.

Umstritten war unter den Verfassungsrichtern die Beurteilung, ob die Höhe der aufgenommenen Kredite gegen die Verfassung verstieß. Nach Artikel 115 des Grundgesetzes ist diese nämlich auf die Summe der Ausgaben für Investitionen begrenzt; Ausnahmen sind erlaubt zur Abwehr einer "Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts".

Die Mehrheit der Karlsruher Richter hielt an einer Entscheidung aus dem Jahr 1989 fest, der zufolge die Kompetenz für eine mögliche Änderung der entsprechenden Verfassungsregel nicht beim Gericht liege. Allerdings habe die staatliche Schuldenpolitik seit der Haushaltsreform von 1967 und 1969 praktisch durchgehend einseitig zur Vermehrung der Schulden beigetragen, kritisierten die Richter. Notwendig sei deshalb die Entwicklung von politischen Mechanismen, um dem Anreiz zur Verschiebung von Ausgleichslasten auf nachfolgenden Legislaturperioden entgegenzuwirken.

Sondervotum der Richter Di Fabio und Mellinghoff

+++ Bundesverfassungsgericht +++ Quelle: Pressemitteilung Nr. 77/2006 vom 9. Juli 2007

Urteil vom 9. Juli 2007 – 2 BvF 1/04 –

Insgesamt gefährdet eine Staatsverschuldung, die im Sockel bei guter Konjunktur nicht oder nicht nennenswert sinkt und bei schlechter konjunktureller Lage immer wieder deutlich steigt, schleichend die praktische Möglichkeit zur Beachtung wichtiger Staatsstrukturprinzipien. Sie begünstigt eine Tendenz zur De-Konstitionalisierung, weil das politische Handeln des Bundes sich immer mehr fesselt und zur Überschreitung verfassungsrechtlicher Grenzen drängt. Es ist vor allem dieser Umstand, dieser die verfassungsrechtliche Ordnung allmählich verformende Effekt, der das Verfassungsgericht in eine besondere Verantwortung zwingt.

Sondervotum des Richters Landau
Richter Landau kritisiert, dass die Senatsmehrheit jedes Bemühen vermissen lasse, der exzessiven staatlichen Schuldenpolitik durch eine restriktivere Anwendung der haushaltsverfassungsrechtlichen Normen Grenzen zu setzen.
Bei der Auslegung des Investitionsbegriffs müsse beachtet werden, dass die politische Gestaltungsfreiheit künftiger Generationen durch die Schuldenlast immer weiter eingeschränkt werde. Daher könne eine zukunftsbegünstigende Wirkung von Investitionen nur angenommen werden, wenn wirtschaftliche Substanz geschaffen werde, die real auf künftige Haushaltsjahre übertragen werden könne und diese damit von eigenen Aufwendungen entlaste. Demgemäß sei der verfassungsrechtliche Tatbestand insbesondere auf die Nettoinvestitionen zu beschränken, da ein über die laufende Periode hinausreichender positiver Wachstumseffekt allein von Nettoinvestitionen bewirkt werden könne