Europäisches Sozialmodell und Sozialer Zusammenhalt: Welche Rolle spielt die EU?

Deutschlands pro-Kopf-Einkommen rangiert an 9. Stelle in Europa

2006 +++ Lothar Witte +++ Quelle: Webseiten der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)

Auszüge:

Welfare Regimes: Zunehmende Differenzierung innerhalb der EU

Unter denjenigen, die sich wissenschaftlich mit dem Thema beschäftigen, spricht kaum jemand von einem (einzigen) Europäischen Sozialmodell. Die (Sozial-)Wissenschaft ist im Laufe der vergangenen 25 Jahre zu dem Schluss gekommen, dass es in der OECD-Welt unterschiedliche welfare regimes gibt, die sich hinsichtlich Umfang und Begründung der Anspruchsberechtigung, der Finanzierung und der Organisation unterscheiden:

Tatsächlich ist die EU von einem Europäischen Sozialmodell (im Sinne der welfare regimes) heute weiter entfernt denn je zuvor, denn mit jeder Erweiterung hat die Bandbreite der Ausprägungen zugenommen. Siehe Tab. 1 (unten)

Was bleibt? Das normative Element

Trotz der zunehmenden institutionellen Differenzierung der europäischen Wohlfahrtsstaaten ist ein gemeinsames Element vorhanden: das Bewusstsein, dass soziale Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich der ökonomischen Entwicklung zugute kommen (können) und kein bloßer Kostenfaktor sind, so wie vice versa die ökonomische Entwicklung auch dem sozialen Ausgleich zugute kommen muss.

Sobald der soziale Zusammenhalt als ein lästiges Hindernis für die wirtschaftliche Dynamik interpretiert wird, als bloßer Kostenfaktor, wird auch das Europäische Sozialmodell selbst zur Diskussion gestellt. Insofern ist es für das Überleben des Europäischen Sozialmodells geradezu notwendig, dass es in den Dienst der Wettbewerbsfähigkeit gestellt wird.

Das sich entwickelnde Paradigma beschreibt statt eines Wohlfahrtsstaates, der eine weitgehend passive Klientel versorgt, nun eine Wohlfahrtsgesellschaft, die auf aktiven Bürgerinnen und Bürgern aufbaut, welche vom Staat bei Bedarf aktiviert, in letzter Instanz aber stets auch alimentiert werden.

In jedem Falle wird das Europäische Sozialmodell der Zukunft im nationalen politischen und gesellschaftlichen Rahmen ausgestaltet; hier werden auf absehbare Zeit die wesentlichen Auseinandersetzungen ausgetragen. Dafür sorgen schon die (nationalen) politischen Parteien: Nachdem die wichtigsten Kompetenzen der Wirtschaftspolitik bereits auf die europäische Ebene übertragen sind, werden sie sich die Kompetenzen für die übrigen Politikfelder, die für das Europäische Sozialmodell von Bedeutung sind, nicht nehmen lassen.


Tabelle 1: Internationale Politikanalyse: Soziale Indikatoren

Pro-Kopf- Einkommen (1)

Gesunde Lebens-erwartung (2)

Lesekompe-tenz (Erw.) (3)

Lesekompe-tenz (Jug.) (4)

Wahlbetei-ligung (5)

Zivilges. Beteiligung (6)

Einkommens-verteilung (Gini) (7)

Relative Armut (8)

Gewalt-verbre- chen (9)

Gefängnis-insassen (10)

Das nordische Modell

Dänemark

29.900

70,1

68,0

61,4

82,4

1,49

23,6

14,7

6,1

42,9

Finnland

27.500

70,1

63,2

80,5

70,4

1,59

24,7

12,4

7,9

49,6

Schweden

28.200

71,8

74,9

69,2

80,5

1,76

25,2

12,3

6,4

41,3

Das kontinentaleuropäische Modell

Belgien

28.500

69,7

60,4

66,0

nd

nd

25,0

14,4

4,3

37,2

Deutschland

26.400

70,2

58,3

57,0

74,0

1,14

26,4

13,2

5,9

65,0

Frankreich

27.900

71,3

nd

64,7

60,4

0,63

28,8

14,1

5,3

nd

Niederlande

29.300

69,9

64,1

nd

72,7

2,09

24,8

12,7

6,4

34,8

Osterreich

29.600

71,0

nd

65,9

77,5

0,93

26,6

14,2

5,9

62,0

Das Mittelmeer-Modell

Griechenland

19.600

70,4

nd

52,8

85,6

nd

33,0

20,0

nd

31,2

Italien

26.200

71,0

nd

57,5

87,8

0,52

33,3

19,9

2,5

50,8

Spanien

23.300

70,9

nd

59,9

78,1

0,33

30,3

17,3

5,4

110,7

Portugal

18.300

66,8

19,9

50,7

77,0

0,56

37,0

20,0

1,5

85,4

Das Transformationsmodell

Polen

11.500

64,3

23,9

55,3

48,2

nd

29,3

15,2

3,3

113,3

Tschechien

16.100

66,6

57,7

59,6

77,2

nd

25,9

10,5

nd

150,1

Ungarn

14.600

61,8

32,9

54,7

59,0

nd

29,5

13,4

nd

109,0

Das angelsächsische Modell

Australien

29.300

71,6

55,2

70,5

82,5

nd

31,1

22,2

10,4

93,4

Großbritannien

29.100

69,6

49,6

69,3

68,0

0,98

34,5

21,3

8,8

90,2

USA

37.600

67,6

50,4

63,8

45,3

1,59

36,8

23,8

4,9

468,5

1) GDP per capita in USS, based an current purchasing power parity, 2003; http://www.oecd.org/dataoecd/48/5/2371372.pdf

2) Healthy life expectancy, total population, 2001; http://www.oecd.org/dataoecd/39/46/2492187.xls

3) Adult population scoring high er medium document literacy, 1998; http://www.oecd.org/dataoecd/39/49/2492163.xls

4) Percentage of students (15 years old) reaching at least 481 score points an the combined reading literacy scale, 2000; http://www.pisa.oecd.org/knowledge/annexb/t2_1a.htm

5) Voter turnout in parliamentary elections since 1990 (average, own calculation); http://www.oecd.org/dataoecd/40/3/2492208.xls

6) Average number of groups to which respondent belongs, 1990-1991; http://www.oecd.org/dataoecd/40/3/2492208.xls

7) Gini coefficient (most recent year); http://www.lisproject.org/k eyfigures/ineqtable.htm

8) Relative poverty rates for the total population (lass than 60 percent of median income, most recent year); http://www.lisproject.org/keyfigures/povertytable.htm

9) Assaults, threats and sexual incidents, percentages victimised at least once in the preceding year (2000 er most recent year) http://www.oecd.org/dataoecd/39/44/2492201.xls

10) Convicted adults admitted to prison, (rates per 100.000 people, 2000 er most recent year); http://www.oecd.org/dataoecd/39/44/2492201.xls

Alle websites besucht im November 2004.