Kern einer soliden Reformpolitik muss ein Subsidiaritäts-Check sein; dabei müsste der gesamte Sozialstaatskomplex nach den Kriterien des Subsidiaritätsprinzips auf notwendige Reformen hin durchforstet werden. Dies hat Karl Kardinal Lehmann bei einem Symposion des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) in Berlin gefordert.
Eine hohe Effizienz des Gesundheitssystems werde allein nicht ausreichen. Man werde nicht umhin kommen, sich die Grundfrage zu stellen, welches Maß an Gesundheitsleistungen durch die Solidarität aller getragen werden müsse und welches Maß an Gesundheitsförderung die Menschen selbst tragen könnten, so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.
Lehmann sagte, die soziale Marktwirtschaft sei im Lauf der Jahrzehnte durch Entwicklungen überlagert worden, die drohten, Grundprinzipien wie Eigeninitiative, Selbstverantwortung, Leistungsbereitschaft und Mut zum Wettbewerb auszuhöhlen.
Auch für das Gesundheitssystem müsse gelten: "Den Menschen muss wieder mehr Eigenverantwortung zugemutet, aber auch zugetraut werden." Dies gelte auch für die Notwendigkeit der Prävention, für die Art der Mitwirkung an der Leistungserbringung oder auch für den Zuschnitt des von den Krankenkassen bezahlten Leistungsspektrums.
Angesichts knapper werdender Ressourcen und durch medizinischen Fortschritt ermöglichte neue, aber teure Leistungen, stelle sich die Frage nach der Definition des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dabei müsse verhindert werden, "dass es zu einer bloß faktischen und nicht begründeten Rationierung kommt", sagte Lehmann.
Großrisiken, wie lebensbedrohliche, chronische Krankheiten oder finanziell vom Patienten nicht zu bewältigende Risiken müssten weiter von der GKV abgesichert werden - nicht aber unbedingt die vielen kleineren Erkrankungen. Eigenverantwortung der Menschen umfasse dabei weit mehr als nur die finanzielle Beteiligung. Eigenverantwortung schließe Verantwortung eines jeden Menschen für seine Gesundheit ein.
Deshalb müsse es um eine Akzentverschiebung von der Krankheitsbewältigung zur Gesundheitsförderung gehen, die mit einer aktiveren Rolle des Patienten im Behandlungsgeschehen verbunden sei. Lehmann: "Meines Erachtens ist die Mitwirkung des Patienten durch Einsatzbereitschaft in der Behandlung und eine verantwortliche Lebensführung möglich."
Grundsätzlich hält der Kardinal Reformen nicht nur aus ökonomischen Gründen für notwendig: Sie seien im Kern eine Frage der Gerechtigkeit. Dabei müssten Reformbarrieren überwunden werden: beispielsweise die stark korporatistische Prägung des politischen Systems mit einer Dominanz partikularer Interessenvertretung sowie die Verengung der Sozialpolitik auf Verteilungspolitik. Es gebe einen Mangel an Institutionen, die den Blick auf das Ganze und auf eine nachhaltige, zukunftsorientierte Politik richteten.