Das Motto "Freiheit statt Sozialismus" des vergangenen 4. Nationalen Protesttages der Ärzte in Berlin am 22. September mag vielen als Provokation erschienen sein. Immerhin bedient es längst überwunden geglaubte Klischees eines Lagerwahlkampfes gesellschaftspolitisch unvereinbar erscheinender Standpunkte. Wie jeder weiß, haben sich die damaligen Kontrahenten inzwischen zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um dringend notwendige Reformen der sozialen Sicherungssysteme nachhaltig, möglichst für mindestens eine Generation umzusetzen. Von den hehren Absichten indes ist nichts geblieben außer der stereotyp vorgetragenen Absicht, eine Reform - wie auch immer - zu beschließen. Die Inhalte sind umstritten wie eh und je.
Was werden wir erwarten können? Es wird einen Kompromiss geben zum so ge-nannten Fondsmodell, den beide Partner für sich als Sieg deklarieren, weil er im Ergebnis für beide spätere Korrekturen im jeweils eigenen Sinn offen halten wird. Verlierer sind die Bürger, denn eine tiefgreifende Änderung wird es so nicht geben können. Verlierer sind vor allem aber die Ärzte, denn sie werden ihren Patienten weiter die Mangelversorgung zumuten bzw. auf eigene Kosten die Defizite ausgleichen müssen.
In solcher Situation ist kein Platz mehr für staatstragende Argumentation. Hier helfen offenbar nur noch die Sprache der Straße, der Druck eines dauerhaften Protestes und auch der berühmte grobe Keil für den groben Klotz.
Warum nur fehlt der Politik der Glaube an die Vernunft ihrer Bürger, die sehr wohl in eigener Verantwortung entscheiden können, was sie wollen und was nicht. Worin ist das tiefe Misstrauen gegen uns Ärzte begründet, die offenbar nur am eigenen Wohl und erst nachrangig an der Gesundung ihrer Patienten interessiert sein sollen. Der Gedanke an die Freiheit der Entscheidung des Einzelnen ist völlig verdrängt von dem Wahn, alles und jedes bis ins letzte Detail staatlicher Kontrolle und Regelungswut zu unterwerfen, Die Details des Gesetzentwurfs strotzen von Bevormundung, wenngleich verbrämt mit wohlklingenden Formulierungen, die Wettbewerb sagen und Preisdiktat meinen oder die Zerschlagung der Selbstverwaltung als Bürokratieabbau maskieren.
Es ist und bleibt richtig, dagegen mit aller Macht zu protestieren, denn es geht um die Demontage eines freien Berufs, es geht um die staatliche Zuteilung von Medizin für gegängelte Bürger. Es geht um die Preisgabe einer hochwertigen ärztlichen Versorgung aus Feigheit, zuzugeben, dass dieser Staat dafür nicht die ausreichenden Mittel stellen kann.
Am 24. Oktober hat der Präsident des Deutschen Ärztetages und der Bundesärztekammer einen außerordentlichen Ärztetag einberufen. Dort wird die Ärzteschaft nochmals, vielleicht zum letzten Mal, Gelegenheit haben, ihre Positionen deutlich zu artikulieren. Dort wird die Frage zu beantworten sein: Wollen wir eine staatlich rationierte Mangelversorgung oder wollen wir nicht doch in aller Entschiedenheit unser höchstes Gut, die Freiheit des Einzelnen, verteidigen?