Keine Chance für Weiterentwicklung im System?

Hoch gelobtes Gesundheitswesen soll radikal verändert werden

2006 +++ Fritz Beske +++ Quelle: Ärzte-Zeitung vom 31.10.2006

Es entzieht sich logischer Erkenntnis, warum ein hoch gelobtes Gesundheitswesen so grundlegend verändert werden muß, daß aus einer systembezogenen Weiterentwicklung ein Systembruch wird.

In der Koalitionsvereinbarung vom 11. November 2005 heißt es, Deutschland hat ein modernes und leistungsfähiges Gesundheitswesen, das den Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung bietet.

Die hohe Qualität unseres Gesundheitswesens ist international anerkannt. Nahezu gleich lautende Formulierungen finden sich im Eckpunktepapier vom 4. Juli 2006, im Referentenentwurf vom 12. Oktober 2006, in Verlautbarungen der Bundesgesundheitsministerin und des Bundesgesundheitsministeriums, aber auch im Wahlmanifest der SPD vom 4. Juli 2005. In den meisten dieser Dokumente steht dann auch, daß unser Gesundheitswesen mit den üblichen Begründungen demografische Entwicklung und medizinischer Fortschritt weiterentwickelt werden muß.

Im völligen Widerspruch zu diesen Aussagen steht die Erklärung der Kanzlerin in einer Pressemitteilung der Bundesregierung vom 12. Juli 2006, daß noch nie eine Regierung den Weg freigemacht hat für so tief greifende strukturelle Veränderungen im Gesundheitswesen und daß sie noch nie so tiefgründige Veränderungen in den Strukturen unseres Gesundheitswesens erlebt habe.

Jetzt bestehe die historisch einmalige Chance, eine für mehrere Jahre tragfähige Erneuerung vorzunehmen. Es gehe nicht darum, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, sondern das Gesundheitswesen grundlegend zu erneuern. Ähnlich äußert sich die Bundesgesundheitsministerin.

Weiterentwicklung eines Gesundheitswesens heißt Weiterentwicklung im System, heißt Evolution. Für unser Gesundheitswesen würde dies die Weiterentwicklung eines im Grundsatz staatsfernen, sich selbst verwaltenden und pluralen Versicherungssystems bedeuten, eines Systems, in dem die Einnahmen die Ausgaben decken oder zumindest decken sollten und in dem eine gesetzliche und eine private Krankenversicherung gleichberechtigt nebeneinander stehen.

Im Widerspruch dazu sieht jedoch der Reformentwurf dauerhafte Eingriffe in die Selbstverwaltung von Ärzten und von Krankenkassen sowie in die gemeinsame Selbstverwaltung vor. Die staatliche Festsetzung eines für alle Krankenkassen einheitlichen Beitragssatzes unabhängig von der Bedarfslage ist das Ende eines Versicherungssystems.

Und die Veränderungen in der privaten Krankenversicherung haben auch mit der Angleichung von GKV und PKV so weitreichende Konsequenzen, daß von einem pluralen System nicht mehr gesprochen werden kann. Der Ankündigung von grundlegenden Veränderungen folgt der Vollzug. Der Systembruch wird eingeleitet. Vielleicht noch keine Revolution, aber in jedem Fall eine evolutionäre Revolution.

Professor Fritz Beske leitet das Institut für Gesundheits-System-Forschung in Kiel.