Wegschauen hilft nicht - nötig ist eine ehrliche Analyse!

Ein konstanter Beitragssatz wird bei den Kosten der demographischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts nicht realisierbar sein

2006 +++ Fritz Beske +++ Quelle: Ärzte Zeitung 26.01.2006

Die Politiker wollen die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dauerhaft neu ordnen. Im Koalitionsvertrag heißt es hierzu, daß für die GKV eine stabile Finanzsituation geschaffen werden soll, nachhaltig und demographiefest. Aber geht dies überhaupt? Die Antwort lautet: Nein!

Es gibt nur drei Möglichkeiten, ein Gesundheitssystem dauerhaft stabil zu finanzieren:

Effizienzreserven sind nicht nachgewiesen

Alle drei Möglichkeiten scheiden damit für eine dauerhafte Finanzierung der GKV aus. In der Koalition stehen eine Bürgerversicherung, eine Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie, ein Kompromiß aus beiden oder eine völlig andere, bisher auch nicht in Umrissen erkennbare Konfiguration zur Diskussion.

So bleibt für die vorhersehbare Zukunft und damit wohl für Jahrzehnte das reine Umlageverfahren. Die Diskussion über die Finanzsituation, wie sie heute geführt wird, ginge also weiter, verschärft allerdings durch den zunehmenden Ausgabendruck, der sich aus der demographischen Entwicklung und dem medizinischen Fortschritt ergibt.

Hier nun beginnt eine Wahrnehmung in der Politik, die kaum nachvollziehbar ist. In der Koalitionsvereinbarung wird einerseits anerkannt, daß durch den medizinischen Fortschritt und die demographische Entwicklung steigende Kosten entstehen. Andererseits werden nach Erklärungen führender Unionspolitiker höhere Beitragsätze und Leistungskürzungen ausgeschlossen.

Die Antwort auf diesen Widerspruch wird offenbar in dem gesucht, was mit den Worten bezeichnet wird: Es ist noch Luft im System. Genannt werden hohe Milliardenbeträge, die mit mehr Effizienz, Qualität, Transparenz und Wettbewerb und mit Prävention mobilisiert werden könnten. Nicht eine Zahl ist bewiesen. Es wird nicht einmal versucht, ein behauptetes Einsparpotential zu begründen.

Von weitaus größerer Bedeutung jedoch als diese skizzenhafte Situationsbeschreibung ist die vorhersehbare und berechenbare Ausgabenentwicklung. Werden die heutigen jahrgangsbezogenen Ausgaben der GKV bis 2050 fortgeschrieben, ergibt sich 2050 ein Beitragssatz der GKV von 18 Prozent. Wird mit jährlichen Ausgabensteigerungen durch den medizinischen Fortschritt von einem Prozent gerechnet, eine moderate Annahme, steigt der Beitragssatz auf 28 Prozent, bei einer Steigerung von zwei Prozent auf 42 Prozent.

Wir haben diese Berechnungen, nicht Behauptungen, unter dem Titel "Finanzierungsdefizite in der gesetzlichen Krankenversicherung. Prognose 2005 - 2050" am 28. September 2005 veröffentlicht. Die Antwort aus dem Bundesgesundheitsministerium kam in wenigen Stunden. Sie lautete: Horrorszenario aus Kiel. Nicht eine einzige Zahl wurde widerlegt - bis heute nicht.

Wenig später erschien ein Gutachten der international tätigen Beratungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers Health Research Institute unter dem Titel "Health Cast 2020", eine Prognose über die Entwicklung der Finanzsituation der Gesundheitssysteme in den 27 Ländern der OECD.

"Horrorszenario" aus Kiel - das ist keine Einzelmeinung

Das Ergebnis lautet zusammengefaßt, daß sich die Ausgaben für das Gesundheitswesen bis 2020 verdreifachen werden und dann im Durchschnitt 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. In Deutschland lagen die Ausgaben für Gesundheit 2003 bei 11,3 Prozent des BIP. Die meisten dieser Länder werden nicht in der Lage sein, diese Kosten aufzubringen. Die Gesundheitssysteme werden insolvent. Horrorszenario aus Kiel?

Die Antwort in Deutschland kann nur lauten: Ehrliche Analyse der Situation und eine ebenso ehrliche Analyse der auf uns zukommenden Entwicklung. Nur auf dieser Basis läßt sich für die Zukunft planen.

Prof. Dr. med. Fritz Beske leitet das Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel