Demografischer Wandel und anhaltend hohe Arbeitslosigkeit lassen die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) weiter zusammenschrumpfen. Dieses drängende Finanzierungsproblem des deutschen Gesundheitssystems und seine Auswirkungen können beispielhaft anhand der stationären Versorgung erläutert werden. Dort wie anderswo muss künftig offen über eine Priorisierung von Leistungen und eine GKV-Grundversorgung gesprochen werden.
Durch die drohende Erosion der dualen Finanzierung werden sich auch die an noch bestehende (aber bald fusionierte oder geschlossene) Krankenhäuser angelagerten ambulanten Versorgungsstrukturen verändern müssen.
Die jetzt ermöglichten Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) werden sich bei Errichtung auch eher in Richtung Ballungszentren orientieren.
Die unsinnige Diskussion über die Abschaffung der "doppelten Facharztschiene" erschwert diese ganze Entwicklung zusätzlich, insbesondere deshalb, weil sie einer rein emotionalen Argumentation entspringt, die keiner rationalen Betrachtung standhält.
Beide Versorgerebenen, Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) und GKV, werden sich alsbald aufgrund von Entwicklungen im europäischen Gemeinschaftsrecht (...) mit einem möglichen Ende des Status "Körperschaft des öffentlichen Rechtes" auseinandersetzen müssen.
Alle diese Fragen werden zentral gesteuert beziehungsweise abhängig sein von den zur Verfügung stehenden Finanzressourcen
Wir werden à la longue nicht umhin kommen, über eine Grundversorgung im Rahmen der derzeitigen GKV-Einnahmen nachzudenken, die durch zusätzliche Versicherungspakete ergänzt wird.
Mit dem schon lange notwendigen Dialog über eine Grundversorgung kann dann auch der Dialog über Priorisierung von Leistungen, also eine ehrliche Debatte über das Thema Rationierung, beginnen. Denn: Wir rationieren schon längst, aber eben eher verdeckt und heimlich. Und das aus Angst vor dem absoluten Totschlagargument von der Zwei-Klassenmedizin. Nur so ist auch die exorbitante Verschuldung der Kassen und des Staates psychologisch erklärbar. Doch wie will man diese Last den kommenden Generationen erklären?
Und der Kostendruck wird weiter zunehmen: Denn die Kassen stehen in einem immer schärferen Wettbewerb untereinander - und zwar um den niedrigsten Beitragssatz anstatt um mehr Qualität und Leistungsvielfalt. Gleichzeitig sorgen der demografische Wandel und die Arbeitslosigkeit verlässlich dafür, dass die Einnahmebasis der Kassen immer weiter zusammenschrumpft, während der medizinisch-technische Fortschritt neue Leistungsausgaben und -erwartungen produziert.
Dennoch wird leider weiterhin gegen jede rationale Einsicht (...) die Illusion verfochten, dass im Grunde mit sinkenden Beiträgen immer noch alles medizinisch Notwendige nach Stand der Forschung bezahlbar bleibt.
Wenn alle finanzpolitischen Möglichkeiten der "kreativen Buchführung" ausgereizt sind, bleibt am Ende wohl die Einsicht: Geringer werdende Beitragsvolumina bedeuten bei wachsendem Kostendruck für alle Versorgungsstrukturen und ebenso für Beitragszahler und Patienten, dass "Gesundheit teurer wird". Das ist ein schmerzhafter Prozess, dem wir uns auf allen Ebenen stellen sollten.
Eike Hovermann ist Bundestagsabgeordneter der SPD und Mitglied des Gesundheitsausschusses.