Rationierung muss ein Job für Politiker sein

Offene Diskussion über notwendige Leistungsausschlüsse gefordert

2006 +++ Quelle: Ärzte Zeitung 12.12.2006

Ärzte sind damit überfordert, dass sie sowohl für das individuelle Patientenwohl als auch für das finanzielle Wohl der Solidargemeinschaft verantwortlich gemacht werden. "Deshalb muss der Staat Rationierungsentscheidungen fällen", fordert Professor Jörg Althammer vom Lehrstuhl für Sozialökonomik und Sozialpolitik der Ruhr-Universität Bochum. "Das Arzt-Patienten-Verhältnis muss von der Entscheidung freigehalten werden, ob dem individuellen Patienten eine bestimmte Leistung zukommt oder nicht", sagte Althammer bei der Fachtagung "Budgetierte Ethik? Heilen unter dem Diktat der Ökonomie" der KV Westfalen-Lippe.

Rationierung lasse sich im Gesundheitswesen nie vermeiden, so der Ökonom. "Die implizite Rationierung verträgt sich schlecht mit dem hippokratischen Eid", sagte Althammer. Der impliziten steht die explizite Rationierung gegenüber. Dabei legt die Gesellschaft konkrete und nachvollziehbare Richtlinien für die Inanspruchnahme von Leistungen fest.

"Wir haben in Deutschland Rationierung, aber sie ist implizit. Ich plädiere dafür, dass wir sie explizit machen", sagte Althammer. Eine offene Diskussion über notwendige Leistungsausschlüsse sei längst überfällig, sagte er.

Politiker bestritten nach wie vor, dass es Rationierung gibt, betonte der Präsident der Bundesärztekammer Professor Jörg-Dietrich Hoppe. Das Leistungsangebot werde eingegrenzt, um das Gesundheitssystem finanzierbar zu halten.

Vorschlag für ein vierstufiges System der Krankenversicherung

Professor Otfried Höffe vom Lehrstuhl für Philosophie der Universität Tübingen plädierte für die Einführung eines vierstufigen Systems für die Krankenversicherung. "Weil die Gesundheit kein ausschließlich öffentliches, sondern auch ein privates Gut ist, sollte man jenseits der Grundversorgung auf das Prinzip Freiheit setzen und die Entscheidung, was einem die Gesundheit wert ist, selbst treffen dürfen", sagte Höffe.

Das von ihm vorgeschlagene System setzt sich aus der öffentlichen Gesundheitsversorgung (Seuchenprävention, Pflichtimpfungen und allgemeine Grundversorgung) zusammen, die nach dem Solidarprinzip funktioniert. Darauf aufsetzend hält Höffe eine Aufbaustufe für sinnvoll, wo jeder selbstverantwortlich Leistungen absichern kann. Am Ende steht eine Abrundungsstufe für "Zusatzwünsche". Jeder könne in einem solchen System selbst entscheiden, welches Niveau an Gesundheitsversorgung er wolle, sagte Höffe.

Definition Rationierung
Die Zentrale Ethikkommission bei der Bundesärztekammer hat in einem im Jahr 2000 veröffentlichten Papier Rationierung als "Verweigerung von an sich notwendigen oder gesundheitlich notwendigen, gesellschaftlich verfügbaren und aus Patientensicht akzeptablen Leistungen aus Gründen der Mittelknappheit" definiert.