Die 'Offene Methode der Koordinierung' im Gesundheitswesen

OMK wird Europäisierung vorantreiben

2005 +++ Thomas Ulmer +++ Quelle: gpk GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMENTARE Nr. 8/05 - August 2005, S. 20

Auszüge:

Lange Zeit waren viele Akteure im Gesundheitswesen der Auffassung, dass die Organisation und die medizinische Versorgung in der alleinigen Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten liege. Sie beriefen sich dabei auf Artikel 152 Absatz 5 des EG-Vertrages, wonach bei der „Tätigkeit der Gemeinschaft im Bereich der Gesundheit der Bevölkerung (..) die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in vollem Umfang gewahrt", werde.

Dieser Artikel bezog sich jedoch nur auf die „PublicHealth-Maßnahmen" und ließ die anderen EU-Eingriffe im Gesundheitswesen, welche unter anderem durch das Arbeitsrecht in Bezug auf die Arbeitszeiten in Krankenhäusern oder durch das Wettbewerbsrecht in Bezug auf die Arzneimittel-Festbeträge sowie durch die Bestimmungen zum europäischen Binnenmarkt erfolgen, außer Acht. Diesen Punkten haben in den letzten Jahren immer häufiger Urteile des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), vor allem in den Rechtssachen Kohl (C-158/96) und Decker (C-120/ 95) vom 28. April 1999 und das Urteil in der Rechtssache Smits/Peerboom (C-157-99) vom 12. Juli 2001 Rechnung getragen. Nach diesen Urteilen gelten die Grundsätze des freien Warenverkehrs nach Artikel 28 und der Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 49 EG-Vertrag auch im Bereich der ambulanten und stationären Behandlung mit der Konsequenz, dass sich Versicherte Leistungen gegen Kostenerstattung zu Lasten öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger selbst beschaffen können. Zuletzt hat der EuGH anhand der Rechtssache Müller-Faure/van Riet (C-385/99) vom 13. Mai 2003 explizit festgelegt, dass ein nationales Sachleistungssystem den Kostenerstattungsanspruch nicht behindert.

Durch das so (Offene Methode der Koordinierung - OMK) erfolgte Bench-Marking soll es den Mitgliedstaaten ermöglicht werden, ihren eigenen Fortschritt mit dem der anderen Staaten zu vergleichen. Auf diese Weise soll es möglich sein, von den erfolgreichsten Ländern zu lernen. Um den Prozess zu unterstützen, veröffentlicht die Europäische Union regelmäßig die Ergebnisse ihrer Evaluierungen und gibt für die einzelnen Mitgliedstaaten Empfehlungen ab, wie sie ihre erreichten Ergebnisse weiter verbessern zu können. Die OMK wird daher auch als gemeinsamer „Lernprozess" beschrieben.

Die OMK wird die europäischen Gesundheitssysteme anfänglich nur indirekt beeinflussen, aber durch die Zunahme der Vergleichbarkeit von Leistungen, ihrer Zugänglichkeit und Qualität wird sie die Mobilität von Patienten fördern. Dies hat in diesem Gebiet zur Folge, dass durch grenzüberschreitende Verträge oder durch eine EU-Krankenversicherungskarte etc. die Europäisierung weiter vorangetrieben wird. Mittelfristig wird dies die Entwicklung eines europäischen Leistungskatalogs (jedoch ohne einheitliche Preise) europaweiter Regeln für die Akkreditierung und Qualitätssicherung sowie die Entwicklung europaweiter Diagnose- und Behandlungsrichtlinien nach sich ziehen.

Thomas Ulmer ist Mitglied des Europa-Parlaments.