Die Deutschland AG sanieren!

Thomas Mayer, Europa-Chefvolkswirt der Deutschen Bank, über die Reformlügen der Politik, das fatale Aufweichen des Stabilitätspaktes und die Chancen für neue Jobs

2005 +++ Thomas Mayer +++ Quelle: Capital 8/2005, 22-23

Auszüge:

Die Deutschland AG ist in einem jammervollen Zustand

Zunächst müssen die Probleme schonungslos offen gelegt und eine Strategie zu ihrer Überwindung formuliert werden. Die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts wird durch die Revolution in der Informations- und Kommunikationstechnologie und die Öffnung Asiens, Osteuropas und Lateinamerikas bestimmt. Mit dem Eintritt von mehr als zwei Milliarden neuer Arbeitskräfte in eine global vernetzte Wirtschaft ist das Verhältnis von Maschinen und Bildung zu Arbeit - und damit der relative Preis von Arbeit zu Kapital - drastisch gesunken. Die Deutschland AG hat diese Entwicklungen verschlafen und findet sich mit ihrem alten Geschäftsmodell nun zwischen Hochtechnologie  und Niedriglohnkonkurrenten eingezwängt.

Bildungsoffensive

Zur Vermeidung des Abstiegs ist es notwendig, die Produktion auf kapital- und forschungsintensive Güter und Dienstleistungen zu konzentrieren. Dazu muss die Kooperation von universitärer Grundlagenforschung und ihren betrieblichen Anwendungen gestärkt, der Wettbewerb zwischen Bildungsinstitutionen erhöht und, letztendlich, mehr Geld für Bildung ausgegeben werden.

Kurz- und mittelfristig müssen wir aber die Kostenstruktur unseres Unternehmens den neuen Weltmarktpreisverhältnissen anpassen. Dazu sollten erstens Subventionen abgebaut und das komplizierte und ineffiziente Steuersystem durch ein einfaches und in den Anreizen neutrales System ersetzt werden. Zweitens müssen die Kosten für durchschnittlich und weniger qualifizierte Arbeit gesenkt und die Umsetzung von Arbeitskräften erleichtert werden. Konkret heißt dies: die Verlagerung der Lohnfindung auf die betriebliche Ebene, den Abbau des Kündigungsschutzes und die Senkung der Lohnnebenkosten.

Aber machen wir uns keine Illusionen: Bis wir es geschafft haben, die Deutschland AG neu im Weltmarkt zu positionieren, wird es nur wenigen besser und vielen schlechter gehen. Dabei sollte sich die Politik von der Erkenntnis leiten lassen, dass unser Wohlbefinden viel stärker leidet, wenn wir unsere Beschäftigung verlieren, als wenn unser Einkommen sinkt.

Eine Illusion ist es auch, zu glauben, sich dem Anpassungsdruck durch außenwirtschaftlichen Protektionismus entziehen und die Anpassungskosten durch staatliche Kreditaufnahme verringern zu können. Falsch ist es also, in der EU die Liberalisierung des Dienstleistungsmarktes zu bekämpfen und den Stabilitätspakt aufzuweichen.

Dabei können wir von der Belegschaft die Hinnahme von Einkommenseinbußen nur erwarten, wenn ihr eine positive Perspektive durch klare Ziele vermittelt wird: langfristiger Wohlstandszuwachs durch Spezialisierung auf kapital- und forschungsintensive Güter sowie Dienstleistungen, mittelfristige Arbeitsplatzgewinne durch Verzicht auf Einkommen und Sozialleistungen.

Falsch dagegen ist es, Jobgipfel zu inszenieren und Konjunkturprogramme aufzulegen. Denn dies zeigt, dass die Verantwortlichen den Kern des Problems immer noch nicht begriffen haben.