Operationen werden im EBM2000plus unter Kostendeckung vergütet

Vergleich mit Schweizer Gebührenordnung TARMED

2005 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: BAO-Depesche Februar 2005, 3-5

Ziel der  EBM-Reform, die vor 10 Jahren begann, war: Die Leistungen sollten betriebswirtschaftlich berechnet und die Vergütung in Geldwerten, nicht Punkten ausgewiesen werden. Dieses Ziel hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bei weitem verfehlt: Der EBM2000plus ist nicht kostendeckend berechnet und nicht in Euro ausgewiesen.

Vergleich alter und neuer EBM

Die Berechnung der tatsächlichen Vergütung der operativen Leistungen im noch bestehenden EBM hängt von vielen Faktoren ab (u. a. Punktwert, Individualbudget usw.). Sie kann jedoch für die von der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) akzeptierten Leistungsziffern und dem effektiven Punktwert einer Praxis (das ist der von der KV bezahlte Gesamtbetrag in Euro dividiert durch die vom Arzt angeforderte Punktmenge) berechnet werden (Brökelmann 2001). Für das Jahr 2003 sind für die KV-Nordrhein diese Werte für die verschiedenen gynäkologischen Operationen in Tabelle 1 wiedergegeben.

Tabelle 1: Vergleich der Vergütungen gynäkologischer Operationen

(Operateur, alle Leistungen am OP-Tag inkl. postoperativer Betreuung, in Euro)

Alter EBM Jahr 2003

EBM 2005
à 5,11 Cts pro Punkt

TARMED*

Operative Laparoskopie,  Zystenexstirpation

462,-

469,-

1246,-

Operative Hysteroskopie, Polypentfernung

225,-

306,-

460,-

missed abortion

221,-

229,-

343,-

* unter Berücksichtigung von technischem Mehraufwand, speziellen Sachkosten, notwendiger Erfahrung des Operateurs, Schwierigkeit der Operation, Produktivität des Operateurs (Quelle: Dr. P. Villars, Zürich, Schweiz)

Der neue EBM, genannt EBM2000plus oder EBM2005, der ab 1.04.2005 gelten soll, wurde von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung als CD den Vertragsärzten zur Verfügung gestellt; außerdem ist er im Internet einsehbar. Wie Tabelle 1 zeigt, liegen die Vergütungen des EBM2005 bei einem angenommenen Punktwert von 5,11 Cent nur geringfügig über den Vergütungen des alten EBM.

Zum grundsätzlichen Problem einer betriebswirtschaftlichen Berechnung eines EBM hat der Volkswirt Franz-Josef Müller Stellung bezogen (Müller 2004).

Schweizer Gebührenordnung TARMED

Der Tarif TARMED ist ein Gemeinschaftswerk der Projektgruppe TARMED: FMH, H+, santéswiss und MTK erarbeiteten zusammen ein neues Werk zur Tariffierung der ärztlichen Leistungen. Die informatorische Umsetzung erfolgte durch die Zentralstelle für Medizinaltarife (www.tarmed.ch).

Diese Gebührenordnung TARMED ist also von einem teils privaten, teils staatlichen Konsortium erstellt worden und gilt für die ambulante Behandlung der allgemein krankenversicherten Bevölkerung der Schweiz. Sie entspricht damit unserem EBM. Die Gebührenordnung ist in Tax-Punkten ausgewiesen, wobei zunächst die Höhe des Tax-Punktes bei der Einführung im Jahr 2002 in Zürich ein Schweizer Franken (SFr) war; vom 1.11.2004 an ist dort der Tax-Punkt 0,92 SFr.

Die Gebührenordnung ist im Internet unter www.tarmed.ch einzusehen und herunterzuladen. Von Bedeutung für Deutschland ist, dass die KBV die Daten von TARMED aufgekauft hatte, um sie für den neuen EBM zu verwenden. Von daher dürfte man erwarten, dass die Vergütungen nach dem TARMED und nach dem EBM2005 ähnlich sind.

Die Kostendeckung von TARMED wird von einem „Kostenneutralitäts-Büro“ (KN-Büro) in regelmäßigen Abständen überprüft und danach der Tax-Punkt neu festgelegt –zuletzt im Dezember 2004 (http://www.tarmed.ch/news/d_detail.las?n=0).

Trotzdem wird TARMED, obwohl seit 2002 etabliert, von vielen Schweizer Operateuren als nicht-kostendeckend angesehen. So erhielten wir nach Anfrage bei Schweizer Kollegen u. a. folgende schriftliche Antworten:

„Speziell in der ambulanten Chirurgie sind die heute festgelegten Tax-Punktwerte bei weitem nicht mehr kostendeckend“...

„Hierzulande wird in der Regel versucht, die Eingriffe stationär durchzuführen. Die meisten Leistungen sind eher schlechter honoriert. Allerdings wird eine Hospitalisation von den Kassen nicht in jedem Fall akzeptiert“...

„Ich operiere z. B. nur Privatpatientinnen, weil sonst der Aufwand kaum gerechtfertigt ist“...

Weitere Operateure bestätigten fernmündlich, dass sie wegen der schlechten Vergütung „allgemeine“ Patienten nicht ambulant operieren, sondern stationär behandeln lassen.

Vergleich EBM2005 und TARMED

Die Tabelle 1 zeigt, dass die momentane Vergütung für die gleiche Operation nach TARMED wesentlicher höher als beim EBM2005 liegt, bei der operativen Laparoskopie von etwa 1,5 Stunden Operationsraumbelegung beträgt sie sogar um das 2,7fache des EBM2005! Anders ausgedrückt: Der EBM2005 weist für diese gängige, gynäkologische Operation nur eine Kostendeckung von 38% auf!

Es erstaunt, dass die KBV, obwohl sie die Grunddaten der TARMED-Gebührenordnung kannte bzw. übernommen hat, zu wesentlich niedrigeren Ergebnissen bei der Bewertung der einzelnen Operationen kommt. Dieses gilt insbesondere für größere Operationen wie z. B. die operative Laparoskopie.

Der Vergleich des neuen EBM2005 mit der Schweizer Gebührenordnung TARMED lässt nur einen Schluss zu: Der EBM2005 ist nicht wirtschaftlich korrekt, d.h. kostendeckend berechnet, sondern ein Konstrukt, in dem die Vergütung ambulanter Operationen unter Missachtung der tatsächlichen Praxiskosten ähnlich wie im alten EBM belassen würde. Für diese Annahme spricht auch die Tatsache, dass die KBV ohne wirtschaftliche Begründung beschloss, Belegärzten nur die Hälfte der Vergütung zuzugestehen.

Einer der Gründe für diese große Diskrepanz ist die Höhe des Arztlohnes. Dieser müsste für einen Operateur (Facharzt, gleichwertig Oberarzt) bei 2,15 Euro pro Minute liegen (Billstein 2004); er wurde jedoch aus sozialpolitischen Gründen vom Erweiterten Bewertungsausschuss auf 0,78 Euro/Min. festgelegt: Dabei wurde eine  wöchentliche Arbeitszeit für Hausärzte von 51 Stunden pro Woche und dann ein Arztlohn von 0,78 Euro/Min. festgelegt; dieser Arztlohn wurde nun für sämtliche Ärzte eingesetzt.

Dabei blieb die Produktivität der einzelnen Arztgruppen unberücksichtigt: Ein Operateur oder Anästhesist kann eben nicht 51 Stunden in der Woche operieren bzw. narkotisieren, sondern nur in weniger als der Hälfte dieser Zeit. Deshalb müssten die Operateure oder Anästhesisten während ihrer fachspezifischen Arbeit doppelt soviel wie die Hausärzte verdienen, wenn sie das gleiche Einkommen erreichen sollen. Die Produktivität von gynäkologischen Operateuren wurde mit 46 % (Hennefründ 1994) und zwischen 47 und 35 % (Brökelmann 2004) berechnet.

Weitere Gründe für die niedrige Bewertung im EBM 2005 liegen in dem Ansatz der KBV, die Assistenzgebühren zum Teil nur auf der Basis eines AiP-Gehaltes zu veranschlagen, wobei es diesen Arzt im Praktikum heute schon nicht mehr gibt und damit die Kalkulation des EBM 2005 nichtig ist. Erstaunlicherweise wurden die Berechnungsgrundlagen (Arztlohn, technische Leistung) vor kurzem von der KBV aus dem Internet genommen, so dass der EBM2000plus nicht transparent ist und einzelne Positionen nicht mehr nachgerechnet werden können.

Ein weiterer Grund dürfte der staatlicherseits ausgeübte Sparzwang sein. Anders ist nicht zu erklären, warum die Belegärzte nur die Hälfte der Vergütungen für Operationen nach EBM2005 erhalten sollen.

Fazit:

Es ist ein Skandal, wie die KBV als angebliche Vertretung der Vertragsärzte mit der Vergütung für ihre Mitglieder umgeht. Wenn der TARMED für die Schweiz offiziell als kostendeckend angenommen wird, hat die KBV absichtlich die Vergütung der ambulanten Operationen zu niedrig gehalten und die tatsächliche Kostendeckung in der Praxis nicht überprüft bzw. nicht berücksichtigt. Die Betriebs- bzw. Praxiskosten einer OP-Einheit dürften nämlich in der Schweiz ähnlich hoch oder niedrig sein wie in Deutschland. Die Einführung einer neuen Gebührenordnung in Deutschland ohne Nachweis einer Kostendeckung mag politisch so gewollt sein, stellt jedoch eine Missachtung unseres rechtsstaatlichen Systems dar, weil es de facto die Berufsfreiheit einschränkt.

Die KBV ist offensichtlich nicht Vertreter der Interessen der Vertragsärzte, sondern Erfüllungsgehilfe eines Sozialstaates, der die Vertragsärzte zwingt, Leistungen weit unter Kostendeckung zu erbringen und die betriebswirtschaftlich erforderlichen Mehreinnahmen durch Leistungen an  Privatpatienten zu erwirtschaften. Die als betriebswirtschaftlich propagierte Gebührenordnung EBM2000plus erweist sich als ein Machwerk einer staatlich-korporatistisch organisierten Gesellschaft, die betriebswirtschaftliches Denken negiert, sobald es dem Sozialstaat schaden könnte.

Mit dieser Aktion hat sich die KBV als ein staatliches Monopol unter dem Deckmantel einer Selbstverwaltung entlarvt und sich als Interessenvertreter der Kassenärzte desavouiert. Die KBV spricht nicht mehr für die freiberuflich tätigen, niedergelassenen Ärzte, die auch nach der neuen EU-Verfassung als freiberufliche Unternehmer tätig sein sollen.

Wo sind Verbündete?

Dieser EBM2005 sollte den niedergelassenen Ärzten klar machen, dass sie mit der KBV und ihrer Gebührenordnung EBM2005 weitgehender zu Erfüllungsgehilfen des Sozialstaates werden, als sie es jetzt schon sind. Die Operateure und Anästhesisten sind außerdem in ihrer Existenz bedroht, da sie eine Gebührenordnung akzeptieren müssen, die von Anfang an als nicht-kostendeckend ausgewiesen ist. In ihrem Kampf um Freiberuflichkeit und angemessene Vergütung müssen sie sich deshalb nach Verbündeten umschauen. Da gibt es drei Gruppen:

  1. Krankenhausoperateure
  2. Patienten/Innen
  3. Lokalpolitiker

Die Krankenhausoperateure haben bislang unter dem alten EBM das Ambulante Operieren unter anderem deswegen nicht aufgenommen, weil dieses für das Krankenhaus noch weniger kostendeckend ist als für den niedergelassenen Arzt. Da durch die Einführung der DRG´s (Diagnosis Related Groups) der Druck im Krankenhaus wächst, Operationen ambulant zu erbringen, haben die Krankenhausärzte langfristig gesehen ein Interesse daran, zu akzeptablen Vergütungen auch ambulant operieren zu können. Dafür bieten sich sog. ambulante DRG´s an: In anderen Ländern, die nach DRG´s vergüten, sind die Vergütungen für die ambulante Erbringung entweder gleich hoch wie für die stationäre Erbringung (z. B. Australien) oder sie betragen zwischen 50 und 90 % der „stationären“ DRG´s. Ein möglicher Ausweg für operierende Krankenhausärzte, für Belegärzte sowie für ambulante Operateure und Anästhesisten wäre deshalb, dass man sich auf sog. ambulante DRG´s einigt, die für effizient arbeitende (Beleg-) Krankenhäuser kostendeckend sind.

Die Festlegung der Höhe der ambulanten DRG´s müsste durch eine staatsunabhängige Institution erfolgen, da der Staat wegen seiner chronischen Finanznot nicht objektiv urteilen kann (siehe oben EBM2005).

Die zweiten Verbündeten der Operateure und Anästhesisten sind die PatientenInnen, denn es ist ihnen nicht geholfen, wenn sie die nachgewiesenen Erfolge des ambulanten Operierens nicht nutzen können, sondern wieder zu stationär durchgeführten Operationen gezwungen werden, wie es offensichtlich jetzt in der Schweiz geschieht. Hier müsste durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit das Bewusstsein der Bevölkerung geschärft werden, dass das ambulante Operieren den Patienten und Patientinnen nachweislich weniger Komplikationen und der Gesellschaft niedrigere Gesamt-Kosten beschert.

Die dritten Verbündeten sind die Lokalpolitiker; denn sie haben ein Interesse daran, dass die medizinische Versorgung in ihrem Wahlbezirk flächendeckend und patientenfreundlich gestaltet wird und dass das bestehende, lokale (Beleg-) Krankenhaus für die medizinische und pflegerische Versorgung der Bevölkerung erhalten bleibt. Hier bietet sich das Modell einer integrierten Versorgung an.

Nicht zuletzt müssten wir ambulanten Operateure und Anästhesisten uns fragen, wer unsere Interessen vertreten soll. Der Staat kann dieses nicht; die halbstaatlichen Selbstverwaltungsorgane wie Kassenärztlichen Vereinigungen sind dazu auch nicht in der Lage, weil sie staatsgebunden sind. Einzelne Verbände wie Hartmannbund, NAV-Virchow-Bund und andere haben es bislang nicht geschafft, die Ärzte unter einem Dach zu vereinen. Die schleichende Verstaatlichung der Medizin in Deutschland und der zunehmende Wettbewerb innerhalb des neuen Europas erfordern, dass sich alle Ärzte – Fachärzte, Hausärzte und angestellte Ärzte - auf nationaler und europäischer Ebene vereinen, um für die Freiheit des Arztberufes von staatlicher Bevormundung zu kämpfen.

Literatur

Billstein G, Kalkulatorischer Unternehmerlohn eines ambulanten Operateurs. http://www.arzt-in-europa.de/

Brökelmann J, Betriebswirtschaft der OP-Einheit. Ambulant operieren 1/2001, 14-17, http://www.arzt-in-europa.de/

Brökelmann J, Wirtschaftliche Praxisführung: Beispiel einer operativen Praxisklinik. In: Wirtschaftlich erfolgreich in der Arztpraxis. Das    Einmaleins der Betriebswirtschaft für Ärzte. Hrsg. R.-R. Riedel, M.L. Hansis, W. Wehrmann, A. Schlesinger. Deutscher Ärzteverlag 2005, 23-50

Hennefründ J, Arbeitskapazität des Operateurs einer Tagesklinik. BAO-Info III/1994, 8-11 http://www.arzt-in-europa.de/

Müller F-J, Wie sieht die Alternative zu einem EBM2000plus aus?  http://www.freie-aerzteschaft.de/content/articles/1021/1028/1046/index.html?catid=1046&artid=24304&topid=1028&nosum=1 vom 25.02.2004