Chaos und Einschränkung der freien Arztwahl

Aufstieg der Kassen und Niedergang der Kassenärzte am Beispiel der Disease-Management-Programme (DMP)

2005 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: BAO-Depesche 11, Mai 2005, 8

Ab dem 1. März 2005 nehmen über 20.000 Hausärzte und über 10.000 Apotheker am so genannten "Barmer Vertrag" der Barmer Ersatzkasse teil. Dieser Vertrag ist der Einstieg in ein flächendeckendes Hausarzt-System außerhalb der Kassenärztlichen Vereinigungen, das im Rahmen der so genannten Integrierten Versorgung etabliert werden konnte. Es bedeutet den Niedergang der KVen, die Aufgabe der freien Arztwahl für den Preis von 30 Euro Beitragsersparnis pro Jahr und die Übernahme von Organisationsstrukturen und damit Macht durch die Krankenkassen.

Wie diese "Machtübernahme" aussieht, wird anhand des DAK-Gesundheitsprogramms deutlich: Die DAK hat alle ihre Versicherten, bei denen eine Brustkrebs-Erkrankung bestehen könnte, angeschrieben und sie zur Teilnahme am neuen "DAK-Gesundheitsprogramm Brustkrebs" aufgefordert. Den Patientinnen, die sich auf diese Aufforderung hin bei der DAK melden, wird unter anderem gesagt, dass sie von jetzt an einen "DMP-Arzt" aufsuchen müssen und dass die DAK ihren Versicherten auf der Suche nach Haus- und Fachärzten oder Kliniken und anderen Therapie-Einrichtungen behilflich ist. Im Rahmen des DAK-Gesundheitsprogramms würden sie eine intensive medizinische Betreuung erhalten "auf Basis des gesicherten Stands des Wissens mit zahlreichen individuellen und praktischen Angeboten für ihren Alltag". Die Teilnahme am Programm sei kostenlos. "Als Extrabonus für ihr gesundheitsbewusstes Verhalten erstatten wir Ihnen zusätzlich die Praxisgebühren bis zu 40 Euro pro Jahr".

Was die DAK nicht sagt, ist, dass sie 8.500 Euro für jede im DMP-Brustkrebs-Programm eingeschriebene Patientin aus dem Risikostrukturausgleich erhält und dass sie durch diese Aktion ein Netz von Fachärzten am Gängelband hat. Viele Patienten folgen zunächst ihrer Kasse, die auch in der Vergangenheit für sie gesorgt hat. Sie merken gar nicht, dass sie die freie Arztwahl verlieren und damit auch ein Korrektiv, dass für Qualität im Gesundheitswesen sorgt. Als (Sozialstaats-)gläubige Bürger glauben sie den Krankenkassen, dass diese nur Gutes tun wollen. Ihre Gutgläubigkeit wird erst erschüttert werden, wenn sie realisieren, dass ein kassengesteuertes DMP-Programm nicht besser sondern eher schlechter als ein KV-gesteuertes Versorgungsprogramm ist.

Für die Kassen- bzw. Vertragsärzte sollte deutlich sein: Dies ist der Beginn eines Chaos in der Versorgung gesetzlich Krankenversicherter. Die niedergelassenen Ärzte müssen neue Strukturen finden, um sich gegen eine staatlich unterstützte Kassenpolitik zu wehren. Im bislang noch existierenden korporatistischen System der Bundesrepublik hat die Kassenärzteschaft verloren.

Es gibt aber Hoffnung: Der zunehmende Wettbewerb im Gesundheitswesen, der von der Europäischen Union aufgrund der Dienstleistungsfreiheit innerhalb von Europa gefördert wird, bietet die Chance, dass sich auch im Gesundheitswesen Qualität zu fairen Preisen durchsetzen wird. Nach einer Übergangsphase werden auch die Bürger feststellen, dass im Gesundheitswesen nicht das billigste Angebot langfristig gesehen das günstigste ist, sondern das qualitätsvolle zu fairen Preisen. Wenn wir eine ambulante Operation in gleicher Qualität wie das Krankenhaus, aber zum halben Preis anbieten können, werden wir in einem Wettbewerbssystem langfristig Erfolg haben. Wir müssen uns also zu Verbänden, Netzen oder ähnlichem zusammenschließen, damit diese dann unsere Interessen wahrnehmen können. Für jede Praxis muss es das Ziel sein, Qualität der Leistung zu erhöhen und diese auch nach außen, das heißt in der Öffentlichkeit darzustellen.

Unsere Antwort auf die Kassen-gelenkten Behandlungsprogramme sollte sein "Qualität zu fairen Preisen". So können wir uns selbst am besten helfen.