Zahl der Operationen in Deutschland 2003 - eine Annäherung

Nachholbedarf in ambulanten Operationen, nationaler Gesundheitsbericht benötigt

2005 +++ Jost Brökelmann, Jacky Reydelet +++ Quelle: ambulant operieren 2/2005, 95-102

Einleitung
Eine Umfrage der International Association for Ambulatory Surgery (IAAS) in den Industrieländern zu den Operationshäufigkeiten im August 2004 war der Anlass, genauere Daten über Operationshäufigkeiten in Deutschland zusammenzustellen. Für die Umfrage der IAAS 1994/1995 (C. de Lathouwer, J.P. Poullier 1998) konnte der Bundesverband für Ambulantes Operieren e. V. (BAO) der IAAS die Daten von Infratest (1995) liefern. Diese Studie war als gemeinsame Untersuchung der Institute Deutsches Krankenhausinstitut e. V. Düsseldorf, Infratest Epidemiologie und Gesundheitsforschung München, Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung Deutschland Köln für den Bundesminister für Gesundheit erstellt worden. Für die Erhebung 1996/1997 lagen aus Deutschland keine Zahlen vor und konnten auch vom Bundesministerium für Gesundheit nicht geliefert werden. Bei der jetzigen Erhebung sollte Deutschland unserer Meinung nach wieder dabei sein, damit die Zahlen aus Deutschland auch mit denjenigen anderer Länder, besonders der Industrieländer verglichen werden können.

Material und Methoden
Schriftliche Anfragen der IAAS bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dem Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) und dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) im September 2004 verliefen ohne Antwort. Das WIdO-Institut des AOK-Bundesverbandes lieferte die Daten für den Krankenhaussektor (Krankenhaus Report 2003). Da die KBV bis zum Dezember 2004 die gewünschten Daten nicht zur Verfügung gestellt hatte, wurden Anfang 2005 alle KVen einzeln angeschrieben. 16 KVen antworteten, zwölf gaben die gewünschten Daten heraus. Es wurden nur Daten zu ambulanten Operationen ausgewertet, nicht zu belegärztlichen Operationen, die ebenfalls über die KVen abgerechnet werden. Die Zahl der Operationen wurde auf die Bevölkerung des jeweiligen Bundeslandes bezogen, um die Operationen auf 100.000 Einwohner zu erhalten. Diese Daten wurden auf die Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hochgerechnet.
Im April 2005 erreichten uns endlich Zahlen der KBV über das BMGS. Danach fanden 3,8135 Millionen Operationen im Jahre 2002 statt. Ob in dieser Zahl auch belegärztlich abgerechnete Operationen enthalten sind, konnte von der KBV nicht differenziert gesagt werden.

Ergebnisse
Tabelle 1 fasst die Zahl der ambulanten und stationär durchgeführten Operationen in Deutschland zusammen. Die Zahl der stationären Operationen wird vom statistischen Bundesamt für das Jahr 2002 mit 7,965 Millionen Fällen angegeben. Die Zahl der ambulanten Operationen am Krankenhaus ist nicht ausgewiesen. Sie wurde jedoch bei einer parlamentarischen Anfrage der Bundesregierung mit 3 % der stationären Fälle beziffert Brökelmann (2000). Ob in diesen 3 % auch die privatärztlichen ambulanten Operationen am Krankenhaus enthalten sind, blieb nach dem Schreiben an das BMGS offen.
Im kassenärztlichen Bereich betrug im Jahre 2002 die Zahl der ambulanten Operationen 3,8 Millionen Fälle (KBV 2005). Die belegärztlichen Operationen haben wir aus den Daten der KV Thüringen auf Deutschland hochgerechnet.
Vergleicht man diese Zahlen mit den von Infratest (1995) veröffentlichten Daten, so betrug die Zahl der ambulanten Operationen in freier Praxis 1993 3,3 Millionen Eingriffe, wobei es offen bleibt, ob hier privatärztliche und Schönheits-Operationen mitgezählt wurden. Damals betrug die Häufigkeit der ambulanten Operationen in Deutschland 30 % von der Gesamtoperationszahl. Zehn Jahre später betrug dieser Anteil 37 % (Tabelle 2).
Die Häufigkeit der ambulanten Operationen pro 100.000 Einwohner im Jahre 2003 gibt die Tabelle 3 wieder. Dieses sind die Mittelwerte aus zwölf KVen. Die genauen Daten aus den einzelnen KVen sind im Anhang zusammengestellt.

Diskussion
Es ist bemerkenswert, dass Deutschland, das zu den industrialisierten Ländern zählt, keine nationale Gesundheitsberichterstattung hat und deshalb auch keine Zahlen über Operationen in Deutschland ausweisen kann. Als Grund für diesen Mangel wird immer wieder der deutsche Föderalismus genannt, der angeblich eine nationale Statistik verhindert.
Auf der anderen Seite ist dieser Mangel erstaunlich, denn solche Daten wie Operationshäufigkeiten sind für die Gesundheitsplanung, u. a. Zahl der notwendigen Krankenhausbetten, Tageskliniken, etc., von Nöten. Die vorliegende Arbeit ist deshalb ein Beispiel dafür, dass Privatinitiative offenbar schneller und wirklichkeitsnäher als staatliche Institutionen ein Ziel erreichen kann.
37 % aller Operationen wurden 2004 in Deutschland ambulant durchgeführt. Dieses ist etwa die Hälfte der ambulanten Operationen, wie sie in anderen Industriestaaten wie USA, Kanada, Australien, Großbritannien und Norwegen stattfinden. In den USA liegt die Rate der ambulanten Operationen 2004 bei 80 %. Was das Ambulante Operieren betrifft, gehört Deutschland also zu den Entwicklungsländern.
Es fällt auf, dass seit 1993, der Öffnung der Krankenhäuser für das Ambulante Operieren, der Prozentsatz der im Krankenhaus durchgeführten ambulanten Operationen mehr oder weniger stabil bei ca. 3 % liegt. In den anderen Industriestaaten ist dieses umgekehrt; dort werden die ambulanten Operationen überwiegend am Krankenhaus geleistet. Der Grund für diese Sonderentwicklung in Deutschland dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit die niedrige Vergütung ambulanter Operationen sein. Laut SGB V muss die Vergütung im Krankenhaus und im vertragsärztlichen Bereich gleich sein. Die Vergütungen der ambulanten Operationen, die im vertragsärztlichen Bereich die Betriebskosten gerade decken und dem Operateur nur einen geringen "Lohn" erlauben (Brökelmann 2005a), dürften die Betriebskosten für ambulante Operationen im Krankenhaus bei weitem nicht decken.
Dabei hatte die von der Bundesregierung unterstützte Studie von Eichhorn und Eversmeyer (1999) gezeigt, dass die ambulanten Operationen, auch wenn man die totalen Fallkosten in Betracht zieht, nur halb so teuer wie die stationär konservativen Operationen sind. Die Studie zeigte überzeugend, dass sowohl das endoskopische Operieren als auch das Ambulante Operieren in freier Praxis die totalen Fallkosten erheblich reduziert.
Auch die Einführung des EBM 2000plus mit seinen Komplexgebühren für die ambulanten Operationen hat die Vergütung der Operationen nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert (Brökelmann 2005b). Mit diesen niedrigen Vergütungen wird es voraussehbar nicht möglich sein, das Ambulante Operieren am Krankenhaus zu fördern.
Was Not tut, ist eine generell bessere Vergütung der ambulanten Operationen. In Australien wird für gleiche Operationen unabhängig davon, ob sie ambulant oder stationär durchgeführt werden, eine 100prozentige Vergütung der DRGs (Diagnosis Related Groups) gewährt; in den meisten Ländern liegt die Vergütung bei etwa 80 % der stationären DRGs.

Zusammenfassung
Die Rate der ambulanten Operationen in Deutschland liegt mit 37 % weit unter derjenigen von vergleichbaren Industrieländern. Deutschland hat einen Nachholbedarf in ambulanten Operationen. Ursache für diese Entwicklung dürfte die nicht kostendeckende Vergütung der ambulanten Operationen sowohl im Krankenhaus als auch in freier Praxis sein. Deshalb wird eine Reduzierung der stationär durchgeführten Operationen, die aus medizinischer und gesundheitsökonomischer Sicht dringend erforderlich ist, nur über eine angemessene Vergütung der ambulanten Operationen zu erzielen sein.
Zusätzlich belegen die zusammengestellten Zahlen, dass Deutschland dringend einen nationalen Gesundheitsreport benötigt.

Literatur:
Brökelmann J. (2000) Ausgaben der Krankenkassen pro Operation im Krankenhaus viermal so hoch wie in den Praxen. Ambulant operieren 4/2000, 171-172
Brökelmann J. (2005a) Drei Euro Arztlohn pro Operationsstunde für einen Vertragsarzt. ambulant operieren 1/2005, 39-41. Thieme Verlag
Brökelmann J. (2005b) Vergütung gynäkologischer Operationen im alten und im neuen EBM 2000plus. ambulant operieren 1/2005, 42-44. Thieme Verlag
Brökelmann J. (2005c) Gynäkologische Operationen: Vergleich EBM 2000plus mit der Schweizer Gebührenordnung TARMED. ambulant operieren 1/2005, 44-47. Thieme Verlag
Brökelmann J. (2005d) Vergleich EBM 2000plus mit den Gebührenordnungen RBRVS (USA) und TARMED (Schweiz), BAO-Depesche 11, Mai 2005, 14-15
De Lathouwer C, J.P. Poullier (1998) Ambulatory Surgery in 1994-1995. The state of the art in 29 OECD countries. Ambulatory Surgery 6 (1998) 43-55
Eichhorn S., Eversmeyer H (1999) Evaluierung endoskopischer Operationsverfahren im Krankenhaus und in der Praxis aus Sicht der Medizin, des Patienten und der Ökonomie. Multizentrische Evaluierung endoskopischer Operationsverfahren. Thieme Verlag
Infratest (1995) Entwicklung eines sektorübergreifenden Informationssystems für das ambulante Operieren. Stufe 1: Analyse der quantitativen Entwicklung der stationären und ambulanten Operationen 1992-1994
KBV (2005) Brief an das BMGS vom 29. März 2005
Krankenhaus Report 2003 - Klauber, Robra, Schellschmidt. Schattauer. Verlag ISBN 3-7945-2284-2

Anhang: Daten zur Häufigkeit der Operationen aus zwölf KVen (nicht mehr im Internet unter www.mao-bao.de)