Soziale Marktwirtschaft im Sinne Ludwig Erhards

Drohender Etikettenschwindel

2005 +++ Hans D. Barbier +++ Quelle: F.A.Z. (Internet), 24.06.2005

Auszüge:

Was also hat Ludwig Erhard gemeint, wenn er die Marktwirtschaft "sozial" nannte?

Die Marktwirtschaft ist sozial, weil die Bürger nicht auf Zuweisungen des Staates, auf das Wohlwollen von Parteien, auf die Bevormundung durch Organisationen oder auf die fürsorgende Einvernahme von Volksgemeinschaften angewiesen sind.

Die Marktwirtschaft ist sozial, wenn es Unternehmern nicht erlaubt ist, sich in Kartellen zusammenzuschließen, Arbeiter durch organisierte Übermacht auszubeuten und Kunden durch Preisabsprachen zu erpressen.

Die Marktwirtschaft ist sozial, solange alle Menschen die Freiheit haben, im Wettbewerb mit anderen ihren Vorteil zu suchen: dies aber nicht durch organisierte Übervorteilung, sondern durch Angebote von Gütern und Diensten zu Preisen, die keine künstlichen Knappheitsrenten garantieren; durch Angebote, die keine Monopol- oder Kartellprofite ermöglichen; durch Angebote vielmehr, die einander in Qualität und Preiswürdigkeit übertrumpfen wollen.

Nicht gewonnen hat Erhard den Kampf gegen das Sozialkartell der Gutmeinenden und gegen die Sozialstaatsblaupause der Politik und der Verbände des Arbeitsmarktes. An den Sozialkapiteln des Ahlener Programms der CDU hat Erhard mit all seinen Warnungen nichts ändern können. Er hat nicht nur geahnt, er hat gewusst, dass die kollektivistische Organisation des Sozialstaats auf längere Sicht die Hauptgefährdung sein werde für eben den "Wohlstand für alle", den eine freiheitliche Gesellschaft in einer konsequent wettbewerblich organisierten Marktwirtschaft bereitstellen kann.

Erhard hat gewusst, über ber welche Hebelwirkungen der Sozialstaat der Kollektive, der Umlageverfahren und der Ausschaltung von Marktabläufen die Leistungskräfte der Menschen hemmen würde: durch das primär politische Risiko der systematischen Überforderung der Vorsorgeeinrichtungen und durch den wirtschaftlich kontraproduktiven Versuch, soziale Sicherheit durch das Ausschalten des Wettbewerbs am Arbeitsmarkt zu schaffen.

So ist es gekommen. Und es ist vor allem eine Lehre zu ziehen: es nutzt nichts, die "Soziale Marktwirtschaft" als Schmuckblatt vor ein Programm zu heften, das aber den Sozialstaat in seiner jetzigen Form belässt. Wer im Geiste Ludwig Erhards die Wende zum Besseren verspricht, der muss den ganzen Erhard ins Gepäck seiner politischen Unternehmung tun: die Befreiung des Sozialstaats vom Regelungsanspruch der Sozialkartelle und von der Bürde der wirtschaftlichen Erdrosselung durch die Verteilungsmechaniken des politischen Prozesses. Wer mit Geringerem aufwartet, der sollte sich nicht auf Ludwig Erhards soziale Marktwirtschaft berufen. Das wäre Etikettenschwindel.