Deutschland hat ein gutes Gesundheitssystem

Damit das so bleibt, ist eine ehrliche Analyse dringend erforderlich

2005 +++ Fritz Beske +++ Quelle: Ärzte Zeitung 22.11.2005

"Deutschland hat ein modernes und leistungsfähiges Gesundheitswesen, ….". So steht es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Stimmt. Oder stimmt nicht mehr. Zumindest sind wir auf dem Weg, diesen Anspruch zu verlieren. Die Politik versagt sich der Realität. Helfen wir nach.

In verschiedenen Untersuchungen wurde dem deutschen Gesundheitswesen bescheinigt, über ein im internationalen Vergleich überdurchschnittlich leistungsfähiges und effizientes Gesundheitswesen zu verfügen: IGES (2004) , Sawicki (2005), Beske (2005) (die "Ärzte Zeitung" berichtete).

Die Aussage im Koalitionsvertrag gründet sich auf diese Untersuchungen. Die Entwicklung ist allerdings weitergegangen. Zwar sind die Grundzüge unserer Gesundheitsversorgung unverändert positiv zu bewerten, die Unterfinanzierung ist jedoch unverkennbar und zeigt Wirkung.

Einige Beispiele:

Die Gründe für diese Entwicklung sind nicht der Mangel an Transparenz, an Wettbewerb, an Prävention, an Versorgungsstrukturen. Der Grund ist in erster Linie der Mangel an Geld. Mit begrenzten Ressourcen lassen sich eben nicht unbegrenzt Leistungen erbringen.

Die Situation wird sich verschärfen. Der demographische Wandel allein führt bis 2050 zu einem Beitragssatz in der GKV von 18 Prozent. Werden die Kosten des medizinischen Fortschritts mit nur einem Prozent der jährlichen Ausgaben der GKV berechnet, resultiert 2050 ein Beitragssatz von 28 Prozent, bei zwei Prozent von 44 Prozent.

Wir haben diese Daten errechnet. Die Reaktion des Bundesgesundheitsministeriums: Horrorszenario. Doch jetzt findet die von uns aufgezeigte Entwicklung ihre Bestätigung. Eine Studie der international agierenden Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers in 27 Ländern kommt zu dem Ergebnis, daß sich in diesen Ländern die Gesundheitsausgaben in den nächsten 15 Jahren verdreifachen werden und daß viele Länder dann nicht mehr in der Lage sind, die Gesundheitskosten zu bezahlen.

Es reicht also nicht zu behaupten "Die Gesundheitsreform wirkt" oder auf imaginäre Finanzreserven im Gesundheitswesen hinzuweisen. Es sei viel Luft im System, so heißt es. Benötigt wird vielmehr ein völlig anderer, ein realitätsbezogener und ehrlicher Zugang zu den Problemen unseres Gesundheitswesens.

Versorgungsdefizite werden deutlich sichtbar

Hiervon ist nichts im Koalitionsvertrag zu erkennen. Im Abschnitt Gesundheit findet sich nicht einmal der Ansatz einer Analyse. Die Fehleinschätzung der Situation in unserem Gesundheitswesen könnte nicht größer sein. Die Folge der hier skizzierten Situationsanalyse und der vorhersehbaren Entwicklung insbesondere in der Finanzierung unseres Gesundheitswesens sind zunehmende Versorgungsdefizite. Dies betrifft zunächst und in erster Linie den ambulanten Bereich, dann aber auch die Kliniken.

Die beiden zentralen Forderungen für eine effektive Gesundheitsversorgung werden zunehmend in Frage gestellt: Versorgungssicherheit für die Patienten und Planungssicherheit für die Leistungserbringer. Die Bevölkerung wird es spüren. Schon heute gibt es Wartezeiten auf eine ambulante fachärztliche Behandlung. Dies nimmt zu. Lücken in der Versorgung führen zu längeren Wegen.

Ohne Analyse gibt es keine zielführende Politik

Dies trifft mehr und mehr auch auf die Krankenhausversorgung zu. Der Unmut der Bevölkerung wird wachsen. Und hier sind wir bei der zentralen Frage dieser Entwicklung, der Frage nach der Schuldzuweisung. Das Verweisen auf die Zuständigkeit der Selbstverwaltung der Ärzte, auf den Sicherstellungsauftrag der KVen, ist akademischer Natur. Dies ist eine Diskussion jenseits der Wahrnehmung der Bevölkerung. Wird es ernst, nehmen Versorgungs- und Zugangsdefizite überhand, ist die Politik gefordert.

Das Fehlen von Ärzten und das Schließen auch des letzten nahe gelegenen Krankenhauses wird nicht der ärztlichen Selbstverwaltung angelastet. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Politik, steht der Kommunalpolitiker, steht der Landtags- und Bundestagsabgeordnete, steht die Landesregierung. Die Verantwortung für Versorgungsdefizite fällt auf die Politik zurück. Die Letztverantwortung liegt bei der Politik.

Dies anzuerkennen, erfordert in der Bewältigung der Probleme im Gesundheitswesen einen anderen Ansatz. Im ärztlichen Handeln steht vor der Therapie die Diagnose. Falsche Diagnose, falsche Therapie. Der Diagnose in der Medizin entspricht in der Politik die Analyse. Auch hier gilt: Ohne zuverlässige Analyse keine zielführende Politik. Grundlage der angekündigten Gesundheitsreform muß eine ehrliche Analyse sein.

Dabei gilt: Die Auswirkungen von Einzelentscheidungen auf das gesamte Gesundheitssystem müssen analysiert und dargestellt werden. Alles andere ist Stückwerk. Im Übrigen ist Gesundheitspolitik mehr als die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung. Allein Bürgerversicherung oder solidarische Gesundheitsprämie - dies greift zu kurz.

Prof. Dr. med. Fritz Beske ist Leiter des Fritz Beske Instituts für Gesundheits-System-Forschung Kiel