Diskussion über Rationierung in der Medizin spaltet die Briten

Über ungesunde Lebensweise und Folgen des Selbstverschuldungsprinzips

2005 +++ Arndt Striegler +++ Quelle: Ärzte Zeitung vom 18.11.2005

Auszüge:

Sollten Patienten, die durch eine ungesunde Lebensweise oder eine andere Form von Eigenverschulden zur Entstehung ihrer Krankheit beigetragen haben, das Recht verlieren, kostenlos medizinisch versorgt zu werden? Um diese Frage geht es derzeit in der gesundheitspolitischen Debatte in Großbritannien.

Seitdem eine unabhängige Evaluierungsstelle für den staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service, NHS) anregte, dicke Patienten und Raucher schlechter zu versorgen als gesund lebende Patienten, liefern sich ärztliche Berufsorganisationen, Patientenverbände und Gesundheitspolitiker scharfe Wortgefechte.

Sollen alte und junge Patienten die gleichen Rechte haben?

Kürzlich hatte das National Institute of Clinical Excellence (NICE) angeregt, das Selbstverschuldungsprinzip öfter als bisher in Betracht zu ziehen, wenn behandelnde Klinik- und Hausärzte entscheiden müssen, welcher Patient als erstes therapiert wird. "Ich bin der Meinung, daß Patienten eine Mitverantwortung für ihre eigene Gesundheit tragen", so der NICE-Chairman Sir Michael Rawlins vor Journalisten in London. "Angesichts beschränkter Leistungsangebote im Gesundheitswesen muß auch die Frage erlaubt sein, ob ein 75jähriger Patient eine Bypass-Operation erhält, nur weil er bereits länger darauf wartet, während ein 30jähriger Patient weiter warten muß."

Die jetzt kontrovers diskutierten Rationierungs-Ratschläge wurden von NICE nach Abstimmung mit einem 30köpfigen "Bürgerforum" (Citizens Council) veröffentlicht.

Gesundheitspolitische Beobachter weisen darauf hin, daß demographische Entwicklungen in den kommenden Jahren zwangsläufig zu knapper werdenden Resourcen im britischen Gesundheitswesen führen würden. Schon heute bestehen im stationären Sektor und bei Fachärzten Versorgungsengpässe. So warten gegenwärtig mehr als 700 000 Patienten auf eine NHS-Operation beziehungsweise auf eine fachärztliche Konsultation.