Die Zukunft gehört der Kostenerstattung

Sachleistungsprinzip ist innerhalb des Binnenmarkts Europa nicht zukunftsfähig

2004 +++ Wolf Schäfer +++ Quelle: Ärztepost 1/2004, 5-7

Auszüge:

Auf funktionierenden Märkten steuert die Nachfrage das Angebot über Preise, die eine echte Signalfunktion für Knappheiten ausüben und die das Angebot in die Bereiche lenken, die den Wünschen der Nachfrager entsprechen.

Im deutschen Gesundheitssystem gilt dies alles bekanntlich nicht: Der Arzt als Leistungsanbieter und der Patient als Nachfrager dürfen, müssen und können sich nicht marktkonform verhalten. Denn Marktwirtschaft gibt es hier so gut wie gar nicht, weil der Gesundheitsbereich nicht als echter Markt für Gesundheitsleistungen organisiert wird. Vielmehr ist die Vorstellung populär, das Gut Gesundheit sei so spezifisch, dass man es den Marktmechanismen entziehen müsse, die ja im Wesentlichen wohl nur dem Gewinninteresse der Leistungsanbieter dienen würden. Deshalb müssten es die politischen und korporatistischen Planer richten: Sie zwingen 90 Prozent der Bevölkerung unabhängig von ihrem Willen in die Zwangskasse GKV, halten Wettbewerb im Gesundheitswesen für prinzipiell schädlich, obwohl sie offiziell das Gegenteil behaupten, aber gleichzeitig den wettbewerbsfeindlichen Risikostrukturausgleich implementieren.

Der Masse der GKV-Patienten wird vorgegaukelt, dass Gesundheitsleistungen, auf die sie selbstverständlich Anspruch hätten (Sachleistungsprinzip), nichts kosten, denn sie zahlen ja – wenn sie nicht wollen – nichts an den Arzt, der sie behandelt. Alle am Gesundheitssystem Beteiligten – Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser – werden bevormundet und von den Vorgaben der zentralistisch-korporatistischen Planer verwaltet. Unternehmerischer Gestaltungswille, Eigeninitiative und Selbstverantwortung werden weitestgehend erstickt. Die Folge ist das zu beklagende Verantwortungsvakuum: Alle Beteiligten im System verhalten sich unter den obwaltenden Bedingungen zwar individuell rational, wenn sie aus den Gesundheitskassen so viel wie möglich herausholen wollen, aber gerade dieses Verhalten führt zum kollektiven Ruin des Systems. Schuld daran sind letztlich nicht die Beteiligten selbst, sondern die perversen Anreize, die die Institution des Gesundheitssystems ihnen vermittelt.

Deshalb muss das Gesundheitssystem ordnungspolitisch grundlegend umgesteuert werden. Die Richtung ist eindeutig und heißt: Mehr Markt! Und das heißt auch: Ärzte und andere Leistungserbringer müssen sich von verwalteten Dienstleistern zu unternehmerischen Anbietern wandeln. Dies käme vermutlich auch der Motivation der Mehrheit der Leistungsanbieter entgegen. Denn ungeachtet aller humanitärer und nicht-monetärer Ziele wird man davon ausgehen können, dass Ärzte Gesundheitsdienstleistungen anbieten, um ein Einkommen zu erzielen, und zwar ein möglichst hohes Einkommen. Also verhalten sie sich prinzipiell nicht anders als Unternehmer.

Mit dem Arzt als unternehmerisch denkendem Anbieter von Gesundheitsdienstleistungen verträgt sich auch kein auf dem Sachleistungsprinzip basierendes Abrechnungssystem.

Nur aufgrund der direkten Honorierung einer Leistung durch den Kunden wird Transparenz in der Rechnungslegung geschaffen, die beim Sachleistungsprinzip fehlt: Der Kunde Patient wird über die Kosten, die er über die Arztleistung der Solidargemeinschaft anlastet, direkt informiert.

Die Illusion, ärztliche Leistungen seien quasi zum Nulltarif zu haben, verfliegt.

Die Abschaffung des Sachleistungsprinzips bedeutet also mehr Ertragssicherheit und den Ausschluss der unseligen Mengenrationierung der KV-Budgets über floatende Punktwerte.

Ohne Zweifel verführt das gegenwärtige Sachleistungsprinzip mit seinem der Kontrolle des Patienten entzogenen anonymen Abrechnungsmechanismus manchen Leistungsanbieter zu Abrechnungsaktivitäten, die die Legalität verlassen. Unabhängig vom Ausmaß dieses Tatbestandes schädigen diese Aktivitäten diejenigen, die sich an die vorgegebenen Regeln halten, und schmälern das für die Ehrlichen zur Verfügung stehende Kassenbudget. Missbrauch gibt es in allen Systemen, aber die Möglichkeiten dieses Missbrauchs werden doch über das Arrangement der weniger anonymen Kostenerstattung, in der der Patient eine Kontrollfunktion wahrnehmen kann, erheblich geringer.

Schließlich ein Wort zu den Entwicklungslinien in Europa: Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat bereits indiziert, dass es in absehbarer Zeit zu einem gemeinsamen europäischen Binnenmarkt für Gesundheitsdienstleistungen kommen wird. Für die Patienten bedeutet dies, dass sie neben inländischen auch ausländische Ärzte und Leistungsanbieter werden wählen können. Damit steigt der Wettbewerb zwischen den Ärzten mit der Konsequenz, dass sie sich stärker um die Patienten bemühen müssen. Allerdings bieten sich ihnen auch neue Chancen durch die Patienten aus dem europäischen Ausland. Nach den EuGH soll zukünftig jede europäische Krankenversicherung ihren Kunden einen gesamteuropäischen Krankenversicherungsschutz bieten. Wie sich der Wettbewerb der Versicherungen und Leistungsanbieter in Europa auch immer herausbilden wird, es steht außer Frage, dass diese europäische Zukunft der Gesundheitssysteme das deutsche Sachleistungsprinzip obsolet werden lässt.

Das Sachleistungsprinzip ist aus den oben genannten Gründen ein nicht effizientes Institut des Gesundheitssystems und ist deshalb innerhalb des Binnenmarkts Europa nicht zukunftsfähig.

Prof. Dr. Wolf Schäfer, Lehrstuhl für Theoretische Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg