Was soll eine Tubensterilisation kosten?

Praxisindividueller, betriebswirtschaftlich berechneter Preis

2004 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: BAO-Depesche 09: 10-12

Seit dem 1. Januar 2004 ist die Tubensterilisation der Frau keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mehr. Bis dahin war sie eine der häufigsten ambulant durchgeführten Operationen der Gynäkologen im GKV-Bereich. Sie ist jetzt – bis auf wenige, medizinisch indizierte Operationen - eine Selbstzahlerleistung sowohl für GKV-Versicherte als auch für Privatversicherte. Es erhebt sich deshalb die Frage, was eine Tubensterilisation kosten soll, und zwar als Pauschalpreis für die operative und anästhesiologische Leistungen. Für die Preisfindung gibt es sachliche, d.h. betriebswirtschaftliche, und emotionale, d.h. markt-orientierte,  und eventuell soziale Gesichtspunkte.

Betriebswirtschaftliche Berechnung

Preis gemäß einer betriebswirtschaftlichen Gebührenordnung (TARMED)

TARMED ist seit dem 1.01.2004 die allgemeingültige Gebührenordnung in der Schweiz. Sie ist im Internet einsehbar (www.tarmed.org). Der Punktwert schwankt von Region zu Region und ist gerichtlich für Zürich auf einen Wert von 1 Franken pro Punkt festgelegt worden.

Vergütung Operateur
Die laparoskopisch durchgeführte Tubensterilisation löst 2 Ziffern aus (Tab.1):

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Tabelle 1

Aufgliederung der Leistungen für eine Tubensterilisation nach TARMED (www.tarmed.org)

Ziffer 22.0360 Gynäkologische Laparoskopie/Pelviskopie, therapeutisch

          AL 210.98               TL 292.60               Raumbelegung 30 min

Ziffer 22.0410 +Zuschlag für Sterilisation bei gynäkologischer Laparoskopie/Pelviskopie.

          AL 46.88                 TL 97.53                 Raumbelegung 10 min

Ziffer 28.0040 „Perioperative Betreuung durch den Facharzt für Anästhesie, Risikoklasse II“

          AL 77.21 TP           TL 70.00 TP           Leistung i.e. Sinne  35 min

Ziffer 28.0090 „Einleitung und Ausleitung durch den Facharzt für Anästhesie, Risikoklasse II“ 

          AL 114.03 TP         TL 92.69 TP           Raumbelegung 45 min

Ziffer  28.0140 „ Tätigkeit des Anästhesisten während operativer Versorgung (Anästhesiezeit), Risikoklasse II, pro Min.“

          AL 2.53 TP             TL 1.57 TP             Raumbelegung 1 min

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Die „Basis“-Laparoskopie hat eine Raumbelegungszeit von 30 min, der Zuschlag eine von 10 min (s. Tabelle 1). Die laparoskopische Tubensterilisation wird also mit einer durchschnittlichen Raumbelegung von 40 min angesetzt. Addiert man Arztleistung (AL) und Technische Leistung (TL), kommt man auf eine „Punktzahl“ von 647.99 SFr oder etwa 414,- EURVergütung für den Operateur.

Vergütung Anästhesist
Die Anästhesieleistungen setzen sich wie folgt zusammen (Tab. 1):

Die Vergütung für 40 min Tätigkeit beträgt 464.93 SFr oder 297,- EUR.

Komplexgebühr
Operateur und Anästhesist bekämen zusammen  711,- EUR bei einem Punktwert von 1.00 SFr.

Modular über Einzelkosten aufgebauter Preis („bottom-up“-Methode)

Diese Methode versucht, durch Addition einzelner Leistungskomponenten wie Raum-, Personal- und Sachkosten zu einer Kostenermittlung und damit Preisfindung zu gelangen. Dabei fragt es sich, ob alle „versteckten“ Kosten wie z.B. Botengänge, Fotokopieren etc. berücksichtigt wurden. Letzten Endes entscheidet das gesamtwirtschaftliche Ergebnis, ob die „bottom-up“-Methode brauchbare Ergebnisse bringt.

EBM

Der bestehende EBM ist nicht betriebswirtschaftlich berechnet und fällt deswegen für eine wirtschaftliche Berechnung aus.

EBM2000plus-Komplexgebühren

Diese Komplexgebühren sind noch nicht veröffentlicht. Als Komplexgebühr wird eine medizinisch indizierte Tubensterilisation wie eine diagnostische Laparoskopie in den gynäkologisch-operativen Leistungskomplex II  Nr. 3242 (65 min) fallen.

Ambulante Fallpauschalen (DRGs)

Bislang gibt es in Deutschland noch keine Vergütung über ambulante DRG´s. Eine Umfrage bei verschiedenen nationalen Gesellschaften für ambulantes Operieren der International Association for Ambulatory Surgery (IAAS) hat Folgendes ergeben:

Portugal –      648,44 EUR als als ambulante DRG (ca. 50% der stationären DRG)

Italien –        1077,03 EUR als ambulante DRG (75% des stationären Preises)

Australien –   965,00 EUR für Praxiskliniken (100% der stationären DRG)

Über Nutzungsstunden kalkulierter Preis („top-down“-Methode)

Der ausschließlich operativ tätige Arzt ebenso wie der Anästhesist müssen ihre Einkommen innerhalb derjenigen Zeit, die im OP-Raum zur Verfügung steht, erwirtschaften. Dieses gilt besonders für Pauschalen (Komplexgebühren, Fallpauschalen, DRG´s). Die Höhe der Pauschalen sollte  sich also an den Betriebskosten für die durchschnittliche, eingriffsspezifische OP-Belegungszeit (Synonyma sind: OP-Blockierungszeit, Raumbelegung, Nutzungszeit im OP) bemessen. Schon 1994 hat der Bundesverband für Ambulantes Operieren (BAO) solche OP-Pauschalen auf der Basis von OP-Nutzungsstunden gefordert [4]. Sie wurden im TARMED verwirklicht (s. oben). Jetzt sollen sie in abgewandelter Form auch im EBM2000plus eingeführt werden.

Betriebskosten pro OP-Blockierungszeit

Die Gesamtbetriebskosten sind die  Betriebskosten (BK) plus die Sonderbetriebskosten (SBK). In Praxen mit mehreren Partnern, die steuerlich getrennt veranlagt werden, müssen die Sonderbetriebskosten der einzelnen Partner, z.B. die Kfz.-Kosten, zu den Betriebskosten der Praxis addiert werden, weil man die Betriebskosten sonst nicht mit Praxen vergleichen kann, in denen eine gemeinsame Steuerveranlagung vorgenommen wird.

Für eine umfassende Kostenermittlung müsste auch der Sprechstundenbedarf eingerechnet werden.

Nutzungsstunden im OP-Raum

Die für die Betriebskosten relevanten Daten  sind die vorgehaltenen Nutzungsstunden pro OP-Raum pro Jahr, d.h. die vorgehaltenen OP-Nutzungsstunden. Wir ermitteln diese Zahl über die Zahl der OP-Tage aus der AODT-Statistik (Praxis-EDV von DATA-VITAL) multipliziert mit den Nutzungsstunden pro OP-Tag (6 Std.) pro OP-Raum.

Die Gesamtbetriebskosten, d.h. BK + SBK, der OP-Abteilung unserer Praxisklinik (1 OP-Raum) betrugen im Jahre 2003 383.859,- EUR für für 1164 vorgehaltene OP-Blockierungsstunden. Daraus errechnen sich Betriebskosten von 330,- EUR/ Nutzungsstunde oder 5,50 EUR/min.

Für jede Operation wird außerdem die Raumbelegungszeit (= OP-Blockierungszeit = OBZ) in Minuten handschriftlich festgehalten und der Jahresmittelwert gebildet. Dieser Mittelwert der OP-Blockierungszeiten wird auch für die OP-Planung benutzt. Für die Tubensterilisation ergab sich im Jahre 2003 eine durchschnittliche OP-Blockierungszeit von 47 min, wobei Narkose-Ein- und Ausleitung im gleichen OP stattfinden.

Kosten der Tubensterilisation (Operateur)

Die Kosten eines operative Eingriffs setzen sich aus den Betriebskosten/min und dem kalkulatorischen Arztlohn/min zusammen. Der kalkulatorische Arztlohn wurde von Billstein [2] für das Jahr 2004 mit 129,- EUR/Nutzungsstunde berechnet. Dieses ergibt 2.15 EUR/min.

Bei durchschnittlicher OP-Blockierungszeit von 47 min errechnen sich für die Tubensterilisation Praxiskosten (Betriebskosten + kalkulatorischer Arztlohn) von (47 x 5,50 EUR) + (47 x 2,15 EUR) = 360,- EUR.

Diese Kalkulation geht davon aus, dass der technische Aufwand sowie der „Stress“ für den Operateur für die einzelne Operationsart  für alle Operationen gleich sind. Das ist aber nicht der Fall. Eine laparoskopische Tubensterilisation erfordert mehr technischen Aufwand (u.a. Endoskop, Insufflationsgerät, Videokamera) als eine Mamma-Probeexzision. Der technische Aufwand ist in der TARMED-Gebührenordnung berücksichtigt. Aus den TARMED-Daten für technische Leistungen (TL)/min bei den verschiedenen gynäkologischen Operationen errechnet sich eine durchschnittliche Leistung/min von 6,09; für die Tubensterilisation ist die Leistung laut TARMED 7,67, also um den Faktor 1,26 erhöht. Unsere Betriebskosten für die Tubensterilisation müssten also mit dem Faktor 1,26 multipliziert werden, um den höheren technischen Aufwand zu kompensieren. Dann ergeben sich Gesamtkosten von (47 x 5,50 EUR x 1,26) + (47 x 2,15 EUR) = 427,- EUR.  Diese Summe korreliert mit der Operateursvergütung von 414,- EUR nach TARMED (s. oben).

Die relativ einfache Berechnung der Praxiskosten für jede Praxis mit der Formel „Betriebskosten/Nutzungszeit plus kalkulatorischer Arztlohn/Nutzungszeit“ - ggf. adjustiert bezüglich des technischen Aufwandes und eines Stress- und Erfahrungsfaktors des Arztes - erlaubt eine Berechnung des Preises einer Leistung unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten.

Kosten der Narkose für eine Tubensterilisation

Für Anästhesie-Praxen sind Berechnungen der  Betriebskosten pro Nutzungsstunde nicht bekannt. Sie dürften auch sehr unterschiedlich sein je nachdem, ob eine Anästhesieschwester für die Narkose zugegen ist oder nicht, welcher apparative Aufwand für notwendig erachtet wird und ob die Narkose in eigener Praxis oder in der Praxis eines Operateurs durchgeführt wird. Aus Ermangelung genauer Daten aus Deutschland wird der Betrag nach TARMED, d.h. 297,- EUR pro Tubensterilisation in Ansatz gebracht.

Pauschale für Tubensterilisation

Die Vergütung des Operateurs (427,- EUR) plus diejenige des Anästhesisten (laut TARMED 297,- EUR) ergeben zusammen 724,- EUR.

Ermittlung des Marktpreises

Die betriebswirtschaftlich erforderliche Vergütung von 724,00EUR/Tubensterilisation mag am Markt, besonders bei GKV-Versicherten, nicht immer durchsetzbar sein. Es wurden auch schon „Angebote“ von 350,- EUR pro Tubensterilisation genannt.

Diskussion

Zunächst muss gesagt werden, dass es leider nur wenige veröffentlichte Daten über die Betriebswirtschaft in Praxen mit Schwerpunkt ambulantes Operieren gibt. Noch weniger Daten gibt es über anästhesiologische Praxen.

Über eine Umfrage bei Praxen und Tageskliniken des Bundesverband für Ambulantes Operieren (BAO) hatte Billstein [1] die Betriebskosten von 18 chirurgischen und gynäkologischen Tageskliniken zusammengestellt. Diese betrugen im Jahre 1997 durchschnittlich 811,- DM oder 430,00 EUR pro OP-Blockierungsstunde. Dabei wurden Sonderbetriebskosten und Sprechstundenbedarf nicht speziell abgefragt bzw. berücksichtigt.

Die gegenüber 1997 verminderten Betriebskosten von 2003 könnten dafür sprechen, dass im Laufe der Jahre – bei gleicher Leistung – die Betriebskosten durch geeignetes Praxismanagement gesenkt werden konnten.

Vergleiche von Betriebskosten pro Nutzungsstunde in Tageskliniken mit einem bzw. mehreren OP-Räumen ergaben, dass die Betriebskosten offenbar unabhängig von der Anzahl der OP-Räume und damit der „Größe“ der Tageskliniken waren, sondern abhängig vom Auslastungsgrad eines jeden OP-Raumes und des dazugehörigen OP-Teams [3]. Die Betriebskosten einer Praxis-Nutzungsstunde, d.h. einer Nutzungsstunde einer konventionellen gynäkologischen Praxis, betrugen damals 32 % der OP-Betriebskosten.

Ob der Preis für eine Tubensterilisation von 711,- EUR für die Schweiz den wirtschaftlichen Gegebenheiten entspricht, wird sich herausstellen. Er könnte mit der „bottom-up-Methode“ von TARMED auch zu niedrig kalkuliert sein, denn einige Kliniken haben angekündigt, dass sie wegen der zu niedrigen Preise nicht mehr ambulant operieren wollen [5].

Die Diskussion um die Höhe eines „angemessenen“ Preises für die Tubensterilisation weist auf ein besonders gespaltenes Verhältnis deutscher Ärzte zum Preis von Gesundheitsleistungen hin. In Bezug auf die vermeintlich „armen“ GKV-Patientinnen erscheint manchen Ärzten ein Preis von 724,00 EUR zu hoch; für Privatpatientinnen erscheint der Preis dagegen zu niedrig, da diese schon für eine diagnostische Laparoskopie ohne Tubensterilisation mehr bezahlen müssen. Hier kommen alte Klischees zum Vorschein, dass GKV-Patientinnen aus sozialen Erwägungen Gesundheitsleistungen billiger erhalten sollten als Privatpatientinnen, die zu den „Reichen“ zählen und „von denen man es ja nehmen kann“. Die Situation ist neu, dass ein Preis unabhängig vom Versichertenstatus gefunden werden muss.

Bei anderen Operationen hat sich dieses Verhältnis zu Preisen schon „normalisiert“, z.B. bei der Brustvergrößerung aus kosmetischen Gründen. Hier entscheidet weitgehend der Markt über den Preis. Ähnlich sollte es auch bei den Tubensterilisationen werden.

Da immer mehr Leistungen aus der GKV ausgegliedert werden und als „Selbstzahlerleistung“ (IGeL) bezahlt werden, sollten wir Ärzte genaue betriebswirtschaftliche Daten über Betriebskosten und Nutzungsstunden unserer Praxen haben, um zu möglichst „gerechten“ Preisen zu gelangen.

Welche Preise letzten Endes sich am Markt durchsetzen lassen, entscheidet der Wettbewerb und die kaufmännische Geschicklichkeit der Ärzte.

Zusammenfassung

Ein Pauschalpreis von 724,00 EUR scheint für eine qualitätsgesicherte Tubensterilisation durch Fachärzte in mittelgroßen Städten angemessen zu sein. Diese Vergütung muss durch Rechnung nach GOÄ ausgewiesen sein.

Dieses ist das erste Mal, dass niedergelassene Ärzte einen praxisindividuellen, betriebswirtschaftlich berechneten  Preis für eine relativ häufige Leistung, die aus der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert wurde, berechnen und seine Durchsetzung am Markt versuchen können.

Literatur

[1] Billstein G, Umfrage zur Ermittlung von praxiskostendeckenden Fallpauschalen. BAO-Info IV/1997,18-28

[2] Billstein G, Kalkulatorischer Unternehmerlohn eines ambulanten Operateurs 2004. Ambulant operieren (im Druck)

[3] Brökelmann J, Betriebswirtschaft der OP-Einheit. Ambulant operieren 1/2001,14-17

[4] Brökelmann J, BAO fordert OP-Pauschalen in D-Mark. BAO-Info II/1994, 10-11

[5] Tages-Anzeiger (Zürich) 19. Dezember 2003