Die Wiedererlangung der Freiberuflichkeit scheitert vorerst an den Sozialgerichten

Kostenerstattungsbeträge im Rahmen der Aktion Phoenix müssen zurückgezahlt werden

2004 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: privat

In 2004 urteilte das Sozialgericht Düsseldorf: Die Kostenerstattungsbeträge, die 1997/1998 im Rahmen der Aktion Phoenix von den Krankenkassen bezahlt wurden, stellen einen „sonstigen Schaden“ dar - unabhängig davon, ob die Krankenkasse in den nachfolgenden Jahren diese Beträge von der Gesamtvergütung abgezogen hat und unabhängig davon, dass sie die Erstattungsbeträge nach Ansicht des Gerichts gar nicht hätte zahlen dürfen.

Auszüge

Im Einzelnen urteilte das Gericht (Az.: S 17 KA 25/01):

„Dem Kläger (Prof. Dr. Jost Brökelmann) ist durch rechtskräftiges Urteil des LSG vom 30.10.2002 – L 11 KA 94/02 – die Zulassung entzogen worden, aufgrund seines Verhaltens im Zusammenhang mit der Operation Phoenix und der Verweigerung ambulanter Operationen über die Versichertenkarte und das Drängen von Patienten zur Wahl der Kostenerstattung oder Privatvereinbarung. ...

Die Beigeladenen (Verband der Angestellten Krankenkassen e.V. VdAK, Arbeiter-Ersatzkassenverband) … trugen vor, dass durch die Kläger ein Schaden entstanden sei, weil ambulante Operationen über die Versichertenkarte verweigert worden seien. ...

Die Beigeladenen (VdAK, Arbeiter-Ersatzkassenverband) haben vorgetragen, … der Stichtag sei der 15.02.1998 gewesen. Nach diesem Stichtag habe es eine kollektive Behandlungsverweigerung nach der Operation Phoenix gegeben und seien Beträge von der Gesamtvergütung abgesetzt worden. ...

Zu Recht hat der Beklagte Regresse wegen sonstigen Schadens festgesetzt. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 5 der in den Quartalen IV/97 und I/98 geltenden Prüfvereinbarung prüfen die Prüfgremien auf Antrag, ob der Vertragsarzt durch eine schuldhafte Verletzung vertragsärztlicher Pflichten einen sonstigen Schaden verursacht hat. Dies ist hier der Fall. Eine Verletzung vertragsärztlicher Pflichten liegt vor. Die Kläger haben ihre vertragsärztlichen Pflichten in erheblichem Maße verletzt, insbesondere die Pflicht, an der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Abs. 3 SGB V teilzunehmen. Die Verpflichtung der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung beinhaltet insbesondere, die gesetzlich Krankenversicherten im gesetzlich vorgeschriebenen Maß und mit den gesetzlich vorgeschriebenen Mitteln zu behandeln. ...

Die Kläger haben durch die schuldhafte Verletzung ihrer vertragsärztlichen Pflichten der Barmer Ersatzkasse Schaden verursacht nach dem normativen Schadensbegriff durch Veranlassung zur Zahlung der regressierten Beträge. ...

Die Barmer Ersatzkasse hat hier die regressierten Beträge nicht unmittelbar von der Gesamtvergütung abgesetzt, sondern nach der entsprechenden Vereinbarung über die Gesamtvergütung konnten die Kostenerstattungsbeträge in den Vereinbarungen der Folgejahre berücksichtigt werden. Die Tatsache, dass ein Teil der regressierten Beträge in späteren Jahren in die Gesamtvergütung eingerechnet wurde, kann die Kläger nicht entlasten. Zweck des Schadensersatzes aufgrund der Verursachung eines sonstigen Schadens ist auch, die Vertragsärzte zu pflichtgemäßem Verhalten anzuhalten. Die Kläger haben ihre Vertragsärztlichen Pflichten in sehr erheblichem Maße verletzt und Versicherte in verwerflicher Weise unter Druck gesetzt. Dem Zweck des Schadensersatzes würde es nicht entsprechen, wenn eine Anrechnung in späteren Jahren auf die Gesamtvergütung den Klägern zur Entlastung dienen könnte. ...

Die Kammer verkennt nicht, dass die Barmer Ersatzkasse nach § 13 Abs. 1 SGB V nicht berechtigt war, den Klägern die Sachleistungsbeträge zu zahlen. ...

Da der Kläger (Prof. Dr. Jost Brökelmann) sozusagen als Speerspitze der Operation Phoenix seine vertragsärztlichen Pflichten in erheblichem Maße verletzt hat, dass es letztendlich … zur Zulassungsentziehung gekommen ist, tritt das Fehlverhalten der Krankenkasse dem gegenüber in den Hintergrund. Nach Auffassung der Kammer tritt das Mitverschulden der Barmer Ersatzkasse soweit in den Hintergrund, dass es nicht erforderlich gewesen ist, aufgrund des Mitverschuldens einen Abzug des regressierten Betrages vorzunehmen.“

Zwischen-Fazit

Wie schon in dem Zulassungsentzugsverfahren so auch hier machen die Sozialgerichte deutlich, dass nur derjenige im Vertragsarztsystem verbleiben darf, der sich in das SGBV-System einordnet und der die meist ungeschriebenen Pflichten des Vertragsarztes im System erfüllt. Diese vom „System“ auferlegten Pflichten sind:

·      Die ärztliche Versorgung der Kassenpatienten soll derjenigen von Privatpatienten gleich sein (Trennung von Behandlung und Versicherungsstatus).

·      Die ärztliche Behandlung soll unabhängig sein von der Vergütung, die nach Verteilung durch die KV für den einzelnen Arzt herauskommt (Trennung von Behandlung und Vergütung).

·      Gesetzlich erlaubte Maßnahmen wie z. B. die Kostenerstattung dürfen nicht praktiziert werden, wenn sie gegen den „Geist“ des SGB V-Systems gerichtet sind (Trennung von Grundrechten und dem ideologischen System).

Im Endeffekt fordern die Sozialgerichte von den Kassenärzten bzw. Vertragsärzten eine völlige Unterwerfung unter das herrschende System des deutschen Sozialstaates. Diese Forderung basiert im wesentlichen auf dem Kassenarztgesetz von 1955, in dem die Ärzte auf das Streikrecht verzichteten, um eine Gesamtvergütung von den Kassen zu erlangen.

Einschränkung der Grundrechte

Damit verlangen die Sozialgerichte von den freiberuflich tätigen, niedergelassenen Ärzten, dass sie einen Großteil ihrer im Grundgesetz festgelegten Freiheiten beim Eintritt in das SGB V-System aufgeben müssen. Die Sozialgerichte bis hin zum Bundesverfassungsgericht setzen das Gemeinwohl der in der gesetzlichen Krankenversicherung zwangsweise versicherten Staatsbürger höher ein als die Grundrechte der Bürger, die das Verfassungsgericht eigentlich gegenüber dem Staat verteidigen sollte. Diese Diskriminierung von freiberuflich tätigen Ärzten geht soweit,

Die Sozialgerichte und das Bundesverfassungsgericht halten an der Unterstützung des SGB V-Systems fest, obwohl juristische Experten veröffentlicht haben,

-             dass die Altergrenzen von 55. bzw. 68 Jahren verfassungswidrig sind,

-             dass die Verneinung einer angemessenen Vergütung für Vertragsärzte verfassungswidrig ist und

-             dass das ganze SGB V-System der gesetzlichen Krankenversicherung verfassungswidrig ist, weil es einen zu großen Teil der Bevölkerung, nämlich 90 %  betrifft (Sodan 1997 [1] ).

Wie absurd die pauschalierte Vergütung eines ganzen Freiberuflerstandes ist, hat Schottdorf et al. (2004 [2] ) an einem Beispiel verdeutlicht: „Wir haben uns alle an dieses System irgendwie gewöhnt. Um es aber besser zu verstehen, muss man sich vorstellen, die Gewerkschaften würden in eine öffentlich-rechtliche Position gehoben und die Arbeitgeber würden verpflichtet, Löhne und Gehälter den Gewerkschaften en bloc zu überweisen, damit diese für gerechte Verteilung unter den Arbeitnehmern sorgen. Dies klingt absurd, genauso funktioniert aber die Kassenärztliche Vereinigung“.

Seit wann ist das System so stark, dass es 90 Prozent der Bevölkerung umfasst und damit eine determinierende Rolle im Sozialstaat und seinen Gerichten spielt? Anfänglich war nur ein geringer Teil der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung. 1895 betrug dieser Anteil 14,4 Prozent, 1938 stand er bei 34 Prozent, 1948 lag er in der Bundesrepublik Deutschland bei 48 Prozent, 1958 erreichte er 53,1 Prozent, 1960 kletterte er (unter Hinzurechnung der mitversicherten Angehörigen) auf 80 Prozent und in der Gegenwart beträgt er knapp 90 Prozent. Am 1.10.1998 waren dort 71,6 Mio. Personen zwangsversichert (Schottdorf et al. 2004 [3] ).

Wie erst kürzlich von Steingart (2004 [4] ) aufgedeckt wurde, erhielt das System der gesetzlichen Krankenversicherung und der Renten einen wesentlichen Machtzuwachs, als Adenauer vor der Bundestagswahl 1957 die Sozialsysteme auf Kosten der nachfolgenden Generationen ausbaute, um im Wahlkampf die SPD links zu überholen. Dieses hatte zur Folge, dass vorübergehend ein Boom des Sozialstaates einsetzte, seit Jahren aber die Schuldenlast dieses Sozialstaates enorm wächst und 2003 die unvorstellbare Summe von 5 Billionen Euro, das sind 2,36 Bruttoinlandprodukte (BIP) Deutschlands erreicht hat (Fetzer und Raffelhüschen 2003 [5] ). Der Sozialstaat hat sich völlig übernommen, wird aber gerade im Bereich des SGB V von den Sozialgerichten und vom Bundesverfassungsgericht verteidigt. Die Bundesverfassungsrichterin Jaeger glaubt, „das Bundesverfassungsgericht sei, in dem es für Kontinuität in der Sozialversicherung steht, offenbar die letzte Institution, die dem Gedanken der Solidarität noch anhängt (Gerst 2003 [6] ).

Fazit

Der Versuch der ambulanten Operateure und Anästhesisten, über die Kostenerstattung wieder Freiheit im Beruf zu erlangen, ist m. E. fehlgeschlagen. Dieser Kampf um die Freiberuflichkeit der Ärzte kann offenbar in Deutschland nicht über die Gerichte gewonnen werden. Dieser Kampf muss politisch geführt werden. Auf juristischem Gebiet müssen wir unsere Hoffnung auf Europa setzen, das z. B. mit seinem Antidiskriminierungsverbot die Bundesregierung zwingen wird, ab 2006 die 68er-Jahresgrenze fallen zu lassen.

Ziele

Ziel der ambulanten Operateure und Anästhesisten muss sein, die Freiberuflichkeit wieder zurückzugewinnen, d. h. ein freies Arzt-Unternehmertum anzustreben, wie es die neue europäische Verfassung vorsieht. Dieses Ziel muss m. E. durch vier berufspolitische Maßnahmen angestrebt werden:

1.    Der BAO ist die alleinige Interessenvertretung der ambulanten Operateure und Anästhesisten und muss deshalb alles tun, um die Leistungskraft seiner Mitglieder zu stärken. Er muss das Arzt-Unternehmertum z.B. durch Beratungshilfen fördern.

2.    Wir brauchen in Deutschland eine staatsunabhängige Interessenvertretung der gesamten Ärzteschaft. Diese Interessenvertretung darf kein staatliches Erfüllungsorgan (Selbstverwaltungsorgan, Institution des öffentlichen Rechtes) sein.

3.    Die Leistungen des Ambulanten Operierens müssen sukzessive aus der GKV ausgegliedert und z.B. im Rahmen von Integrierten Versorgungsverträgen erbracht werden.

4.    Wir müssen die Ärzte und die Bevölkerung auf den notwendigen Wechsel vom SGB V-System in ein freieres, europäisches System durch entsprechende Öffentlichkeitsarbeit vorbereiten. Dieses europäische System wird durch eine sozial abgefederte Basisversorgung und eine freies Arzt-Unternehmertum der niedergelassenen Ärzte gekennzeichnet sein.

Prof. Dr. J. Brökelmann


Literatur:

[1] Sodan, H.: Freie Berufe als Leistungserbringer im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, Mohr Siebeck 1997

[2] Schottdorf, B.: Vortrag am 3.6.2004, Hauptstadtkongress „Gesundheitswirtschaft“ in Berlin Quelle: Gesellschaftspolitische Kommentare 6-7 –Juni/Juli 2004, 11

[3] Schottdorf, B., F. Haft und W. Fikentscher: Gesundheit. Wissenschaftsverlag 2004

[4] Steingart, G.: Deutschland - Der Abstieg eines Superstars. Pieper 2004

[5] Fetzer, St., Raffelhüschen, B: Eine Nachhaltigkeitslücke von vier Billionen Euro bleibt, SZ - 27.08.2003, B: Eine Nachhaltigkeitslücke von vier Billionen Euro bleibt, SZ - 27.08.2003

[6] Gerst, Th.: Deutsches Ärzteblatt 4. April 2003 S. A887