Unbezahlbar aber ist inzwischen das gesamte niederländische Gesundheitssystem. Obwohl schon kräftige Einschnitte vorgenommen wurden, wie das Beispiel Zahnbehandlung zeigt, sind die Kosten für die ärztliche Versorgung der 16 Mio. Niederländer in fünf Jahren um 50 Prozent auf heute 45 Mrd. Euro jährlich gestiegen. "Um aus dieser Kostenspirale herauszukommen, brauchen wir eine radikale Kehrtwende", meint der liberale Haager Gesundheitsminister Hans Hoogervorst. Jetzt hat er sie eingeleitet.
Ab 2006 wird das Gesundheitswesen privatisiert und umgekrempelt. Es wird dann keine getrennte gesetzliche Krankenkassenversicherung auf der einen und eine Privatversicherung auf der anderen Seite, sondern nur noch eine Volksversicherung für jeden Einwohner geben, die jede Versicherung anbieten kann. Diese Basisversicherung muss jeder Bürger abschließen. Für Zusatzleistungen, wie eben Zahnarzt oder bestimmte Spezialbehandlungen, muss sich jeder zusätzlich versichern.
Die Bürger müssen für holländische Verhältnisse dann tief in die Tasche greifen. Die Jahresprämien werden sich nach ersten Berechnungen auf 1067 Euro für jeden Erwachsenen pro Jahr, knapp 90 Euro im Monat, rund verdreifachen. Zu den Prämien kommen die Zusatzversicherungen, für die sich jeder individuell entscheiden muss. Kinder unter 18 Jahren sind gratis mitversichert, aber nicht für den Zahnarzt. Zum Vergleich: Die deutsche Gesundheitsprämie, wie sie etwa Professor Bert Rürup propagiert, würde 150 bis 200 Euro pro Person kosten.
Gleichzeitig will die christlich-liberale Haager Regierung, die den Reformvorschlag des Gesundheitsministers schon gebilligt hat, den Wettbewerb der Versicherer untereinander zulassen und stimulieren. Jeder Versicherungskonzern soll Versicherungspakete schnüren können, die die Volksversicherung und bestimmte selektiv wählbare Zusatzversicherungen beinhalten. Viele Versicherungsvarianten und -Pakete werden für den Bürger dann maßgeschneidert wählbar. Allerdings soll eine Regulierungsbehörde (Zorgautoriteit) den Wettbewerb der Versicherer untereinander kontrollieren, damit Marktführer keinen Missbrauch betreiben können, indem sie etwa zeitweise mit Dumpingtarifen die Konkurrenz aus dem Weg räumen, um anschließend die Prämien nach belieben zu erhöhen.
Das Gesundheitswesen wird damit nach dem Vorbild des Telekomsektors neu gestaltet, in dem ebenfalls eine Regulierungsbehörde (Opta) darüber wacht, dass marktführende Parteien, wie etwa die KPN Telecom, ihre Machtposition nicht zum Nachteil der Verbraucher durch zu hohe Tarife ausnutzt. Zudem sollen die Versicherer künftig das Recht erhalten, beispielsweise mit Krankenhäusern und Ärzten über Preise und Kosten für bestimmte medizinische Leistungen frei verhandeln zu können. Damit will der Gesundheitsminister den bisher nicht existierenden Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern stimulieren.
Die Praxis wird zeigen müssen, wie das neue System funktioniert, ob es kostengünstiger ist und ob nicht nur der Staat, sondern auch die Patienten davon profitieren können, etwa durch eine bessere Versorgung.
Manche haben da ihre Zweifel, voran der größte Krankenversicherer des Landes, die VGZ-IZA-Gruppe. "Wenn wir alles in Form eines Big Bang verändern, sind Probleme programmiert", warnt VGZ-IZA-Chef Boudewijn Dessing. Er plädiert für eine schrittweise Reform des Gesundheitssystems, findet damit bisher in der Politik aber nur wenig Gehör. Prinzipiell aber unterstützt auch Dessing die Einführung des neuen Systems einer pauschalen gesundheitlichen Volksversicherung für die Basisvorsorge mit individuell zu wählenden zusätzlichen Versicherungsmöglichkeiten.