Auszüge:
Viel schlimmer als ohnehin schon steht es um die Nachhaltigkeit der deutschen Fiskalpolitik, wenn die ausgabensteigernde Wirkung des medizinisch-technischen Fortschritts berücksichtigt wird. Wie aus Abbildung 1 [Abbildungen nur im Originaltext] hervorgeht, steigt die Nachhaltigkeitslücke von bisher 279,5 im (unrealistisch) optimistischen Szenario ohne Kostendruck auf 414,8 Prozent des BIP im (optimistisch) realistischen Szenario mit (leichtem) Kostendruck. Mit anderen Worten: Um den zukünftigen Generationen das gegenwärtige reale öffentliche Leistungsniveau zu gewähren, müssten alle Deutschen vier Jahre lang arbeiten und alles was sie verdienen zur Entlastung zukünftiger Generationen zur Verfügung stellen. Da dies mehr als unrealistisch ist, kommt man um umfassende und nachhaltige Reformen nicht umhin.
Auf einen ersten flüchtigen Blick mag die Erweiterung der Bemessungsgrundlage auf weitere Einkunftsarten wie Mieten und Zinsen ökonomisch sinnvoll erscheinen. Warum jedoch die Krankenkassen bei der Erhebung des Kapitaleinkommens ihrer Versicherten erfolgreicher sein sollten als die Finanzämter, deren dies seit Jahren nicht so recht gelingen mag, wird nicht beantwortet.
Um es klar auf den Punkt zu bringen: Krankheit hat originär zunächst nichts mit dem Einkommen zu tun; man wird nicht kränker, wenn man mehr verdient. Genau in diesem Kerngedanken liegt der Ausgangspunkt aller Vorschläge zur Einführung eines Gesundheitsprämienmodells.
Wie aber sieht nun die Nachhaltigkeitswirkung der beiden Reformkonzepte aus?
Wie aus Abbildung 2 ersichtlich, verfehlen es beide Konzepte nicht nur, ein Mehr an Nachhaltigkeit in das System zu tragen, sondern sie verschlimmern sogar die fiskalische Schieflage zusätzlich.
Insgesamt ist festzuhalten, dass es durch die Einführung des einen oder des anderen Konzeptes zwar gelingen mag, wie auch immer gearteten Gerechtigkeitsvorstellungen entgegenzukommen. Geht es aber um das eigentliche Ziel der Herzog- und Rürup-Kommission, nämlich einer nachhaltigen Finanzierung der GKV näher zu kommen, und damit auch ein Stück weit mehr Generationengerechtigkeit zu erreichen, versagen sowohl Bürgerversicherung als auch Gesundheitsprämie. Dies gilt vor allem dann, wenn, wie beim neuesten Vorschlag von Rürup, eine politisch opportune niedrige Gesundheitsprämie gewählt wird. Noch schlechter ist die Nachhaltigkeitswirkung einer vergleichbaren Bürgerversicherung.
Soll dennoch eine Bewertung der beiden Konzepte abgegeben werden, so muss aus arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten eindeutig ein Gesundheitsprämiensystem propagiert werden, da über die pauschalen Prämien mittel- bis langfristig eine vollständige Abkopplung der Krankenversicherungsbeiträge vom Lohn gelingt.
Derartige anreizorientierte, ausgabenseitige Reformen sind das, was die GKV wirklich wieder auf ein wirtschaftliches und nachhaltiges Fundament stellen würde. Wo immer man das Problem für den Bereich der GKV sehen mag, die Lösung ist hier nur durch ein rationales Anbieter- und Patientenverhalten zu erreichen. Daher muss sich der gesetzlich versicherte Teil der Bevölkerung auf weitere schmerzliche Strukturreformen vorbereiten, zumal das Problem selbst dann nicht in den Griff zu bekommen wäre, wenn alle Kostendämpfungsgesetze der Vergangenheit ihren Zweck vollständig erfüllt hätten. Mithin wird man nicht umhin können, die private Vorsorge bei der Absicherung des Krankheits- und Pflegerisikos wesentlich zu stärken. Kostenerstattungsprinzipien zur Erhöhung der Transparenz und hohe Selbstbehalte - etwa in der Größenordnung von 800 Euro pro Jahr - sind unumgänglich.
Ebenso werden weitere Effizienzsteigerungen unter den Anbietern von Gesundheits- und Versicherungsleistungen auf der wirtschaftspolitischen Agenda stehen, will heißen: Erforderlich ist auch im Bereich der GKV ein wirklicher Wettbewerb wo Ineffizienz mit Insolvenz bedroht wird; wo Preisabsprachen der Kartelle strikt verfolgt werden und Gebührenordnungen staatlicher Aufsichtbehörden mindestens für den stationären Bereich verschwinden Und wer das nicht glaubt, sondern gutmeinend weitersegelt wie bisher, der schaue sich das Schiff, auf dem er segelt, genau an: Es heißt Titanic und liegt nicht im Trockendock.