Konkurrenzschutz der Vertragsärzte vor ermächtigten Ärzten

Bundesverfassungsgericht revidiert Entscheidung des Bundessozialgerichts

2004 +++ Bundesverfassungsgericht +++ Quelle: BVerfG, 1 BvR 378/00 vom 17.8.2004, Absatz-Nr. (1-34) im Internet

Auszüge:

Entgegen seiner früheren Rechtsprechung verneint das Bundessozialgericht seit der Entscheidung vom 15. Mai 1991 (BSGE 68, 291 ff.) die Klagebefugnis eines niedergelassenen Kassenarztes gegen die einem Dritten erteilte Ermächtigung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind Eingriffe in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit nur zulässig, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist.

Die Vertragsärzte und sonstigen Leistungserbringer werden aber durch jede Öffnung ihres gesetzlich regulierten Marktes für Dritte belastet. Das gilt für das "besser geeignete" Krankenhaus im Rahmen der Krankenhausbedarfsplanung genauso wie für den "vorrangig berechtigten" ambulant tätigen Arzt.

Die Ermächtigung eines Krankenhausarztes derselben Fachrichtung und Qualifizierung greift in die Berufsausübungsfreiheit eines Vertragsarztes ein, der in demselben räumlichen Bereich die gleichen Leistungen anbietet, indem sie die Erwerbsmöglichkeiten über das dem Vertragsarztrecht immanente Maß hinaus einschränkt. Ein solcher Vertragsarzt konkurriert nicht mehr nur mit anderen niedergelassenen Vertragsärzten, die ebenso wie er in eine Praxisausstattung investieren, sich niederlassen und - abgesehen von den vertragsärztlichen Bindungen - im freien Wettbewerb untereinander stehen, weil die Patienten die freie Arztwahl haben. Er konkurriert infolge der Ermächtigung zusätzlich mit Krankenhausärzten, denen die Krankenhäuser die sächlichen Mittel zur Verfügung stellen. Diese Ärzte - im vorliegenden Fall sind es Chefärzte - bestreiten ihren Lebensunterhalt aus einer abhängigen Beschäftigung und erwerben infolge der Ermächtigung Zusatzeinkünfte aus einem Zweitberuf.

Zwar gewährt Art. 12 Abs. 1 GG keinen Schutz vor Konkurrenz. Die Vertragsärzte haben aufgrund ihres Zulassungsstatus auch keinen Rechtsanspruch auf die Sicherung einer wirtschaftlich ungefährdeten Tätigkeit. Die Wettbewerbsposition und die Erträge unterliegen grundsätzlich dem Risiko laufender Veränderung.

Eine Wettbewerbsveränderung durch Einzelakt, die erhebliche Konkurrenznachteile zur Folge hat, kann aber das Grundrecht der Berufsfreiheit beeinträchtigen, wenn sie im Zusammenhang mit staatlicher Planung und der Verteilung staatlicher Mittel steht.

Die Berufsausübung des Vertragsarztes findet in einem staatlich regulierten Markt statt (vgl. BVerfGE 103, 172 <185 f.>).

Das Grundrecht des Vertragsarztes aus Art. 12 Abs. 1 GG wird im Interesse der Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung in vielfältiger Weise eingeschränkt. Zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit muss er Einschränkungen seines Behandlungsspektrums ebenso hinnehmen wie Regelungen, die seine Niederlassungsfreiheit, seine Fallzahlen und seine Vergütung begrenzen. Diese Eingriffe können im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung durch den Gemeinwohlbelang der Sicherstellung der Versorgung der gesetzlich Versicherten gerechtfertigt werden.

Die Kassenärztliche Vereinigung ist primär auf den Ausgleich der unterschiedlichen Interessen der in ihr zusammengeschlossenen Ärztegruppen angelegt. Je nach Einfluss und Gewicht einzelner Arztgruppen und den Konstellationen im Binnenraum können die Interessen einzelner Ärzte von denen der Mehrheit in den Organen der Körperschaft abweichen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hat aber das einzelne Mitglied nicht die Möglichkeit, seine Kassenärztliche Vereinigung zur Einlegung von Rechtsbehelfen zu verpflichten.