Verantwortung braucht Mut

Leitlinien für eine wirkliche Gesundheitsreform

2003 +++ Norbert Klusen +++ Quelle: Techniker Krankenkasse

Auszüge:

Das Gesundheitssystem in Deutschland ist ein Akut-Patient.

Die Strategie der Kostendämpfung im Gesundheitswesen ist an ihr Ende gelangt.

Das deutsche Gesundheitssystem präsentiert sich verkrustet und vermachtet wie kaum ein anderer Bereich der Gesellschaft. In der "großen Politik" ist der Versuch, komplexe Gebilde dauerhaft staatlich zu lenken, mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Staaten eindrucksvoll gescheitert. Im real-existierenden Gesundheitswesen erinnert das beständig wachsende Ausmaß von Dirigismus und zentraler Feinsteuerung vielfach noch an diese überholten Rezepturen.

Es ist fünf vor Zwölf für einen wirklichen Neustart im Gesundheitswesen.

"Eine schmerzliche Wahrheit ist besser als eine Lüge", schrieb Thomas Mann - als habe er den Satz für die anstehende Diskussion geprägt.

Eine durchgreifende Gesundheitsreform muss jedoch mit dem Eingeständnis beginnen, dass der Interventionismus und die Regulierungswut der vergangenen 25 Jahre falsche Rezepte waren und in die Sackgasse geführt haben. Oberstes Ziel für die Zukunft muss ein sich selbst steuerndes System sein, das Anreize schafft für Qualitätsbewusstsein und für ein kostenbewussteres Verhalten von Ärzten und Patienten, Krankenkassen und Kliniken. Die Leitgedanken ergeben sich daraus beinahe natürlich: mehr Flexibilität um Wettbewerb und Unternehmergeist auf allen Ebenen, bessere Wahlmöglichkeiten für Versicherte, Verzicht auf zentrale Detailregelungen und Feinsteuerung, Abschied von Monopolen und Abbau von Verkrustungen.

Fast 300 Milliarden EUR - davon ein 150 Milliarden EUR in der GKV - haben die Deutschen im Jahr 2002 für ihre Gesundheit aufgewendet.

Solidarität ist ein Grundprinzip moderner, sozialer Gesellschaften.

Aber Solidarität hat dort Grenzen, wo die Verantwortung jedes einzelnen beginnen muss. Wer dies ausblendet, bringt das ganze System in Gefahr.

Sozialer Ausgleich beinhaltet nicht nur Rechte, sondern auch die Pflicht des einzelnen, einem individuell zumutbaren Teil selbst zu tragen.

Wettbewerb muss auch im Gesundheitswesen Einzug halten.

Der starre Grundsatz des "gemeinsamen und einheitlichem Handelns" hat sich überlebt. Wir plädieren dafür, das Vertragsmonopol der Kassenärztlichen Vereinigungen endlich abzuschaffen. Der Sicherstellungsauftrag sollte nach einer Übergangsphase zum 1. 1. 200 Helfer 8 von den Krankenkassen übernommen werden. In der Übergangsphase sollen in drei Schritten zunächst die hochspezialisierten fachärztlichen Leistungen und dann alle fachärztlichen Leistungen aus dem bisherigen Regelkreis herausgelöst werden. Die Krankenkassen müssen die Möglichkeiten bekommen, mit einzelnen Anbietern Verträge abschließen zu dürfen.

Fast 10.000 Menschen beschäftigt die kollektive Selbstverwaltung der Ärzte und Zahnärzte , die die Honorare aus der gesetzlichen Krankenversicherung unter ihren Mitgliedern aufgeteilt.

Auch in die Krankenhäuser muss mehr Wettbewerb und Unternehmergeist einziehen. Die Planwirtschaft in diesem Sektor kostet die Versichertengemeinschaft Milliardenbeträge, die sinnvoller für bessere medizinische Qualität eingesetzt werden könnten.

Ausdrücklich unterstützen viele den Wettbewerb der Kassen um mehr Eigenverantwortung der Patienten.

Wer Verantwortung für sich selbst übernimmt, soll auch belohnt werden .

Jeder Anbieter sollte verpflichtet sein, kontinuierlich eine interne Qualitätssicherung durchzuführen, d.h. die Qualität zu hinterfragen und zu verbessern. Das erstreckt sich ausdrücklich auch auf die Kosten-Nutzen-Relation für Behandlungsmethoden.

Aus dem Modellbild des mündigen Patienten leiten sich weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten im Gesundheitswesen ab.

Der mündige Patient muss endlich wissen, welche Behandlung ein Arzt an ihm vornimmt und was diese Behandlung kostet. Mit ziemlicher Sicherheit ist die gesetzliche Krankenversicherung der einzige Lebensbereich in Deutschland, in dem es für die Kunden keine Transparenz über Kosten und Leistungen gibt.

Bei der Gestaltung des Europäischen Gesundheitsmarkts drängen wir die politisch Verantwortlichen zu mehr Dynamik und Einsatzfreude. Es liegt nicht im deutschen Interesse, dem Europäischen Gerichtshof bei dieser Aufgabe die Rolle des Motors zu überlassen. Eine wachsende Zahl von Versicherten drängt darauf, mit der Chipkarte ärztliche Leistungen auch im europäischen Ausland in Anspruch nehmen zu können. Deshalb sollten Verträge zwischen Krankenkassen und ausländischen Leistungsanbietern kein Tabu sein. Bislang dürfen die Kassen nur freiwillig Versicherten die Kosten für Leistungen im europäischen Ausland erstatten.

Der "europäische Einkauf" von Leistungen wird es den Krankenkassen mittelfristig erlauben, erhebliche Einsparungen zu Gunsten ihrer Patienten zu erzielen. Wir rufen den Gesetzgeber auf, uns dabei nach Kräften zu unterstützen, sei es bei der Erlaubnis zum Einkaufen und der Kostenerstattung von Arzneimitteln oder von ärztlichen Leistungen.

J.B.

(Hervorhebungen durch Redaktion)