Anhebung der Versicherungspflichtgrenze fehlt europarechtliche Legitimation

Stellungnahme des Europarechtlers Prof. Dr. Meinhard Heinze

2003 +++ Meinhard Heinze +++ Quelle: PKV Publik 4/2003

Auszüge:

Die Ausweitung der Versicherungspflicht vergrößert den Markt der GKV zu Lasten der PKV und verstößt gegen die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs. Zudem begründet sie den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung.

Auch wenn der Zusammenhang sich erst bei genauer Betrachtung erschließt, stellt die Anhebung der Versicherungspflichtgrenze nach Auffassung von Prof. Dr. Heinze einen Verstoß gegen das europäische Wettbewerbsrecht und die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs dar.

Die Ausweitung der Versicherungspflicht stellt eine Markterweiterung für staatliche Monopolunternehmen, nämlich die Träger der GKV, zu Lasten der PKV dar. Die ausschließliche Zuständigkeit der Kassen für die Erfüllung der Versicherungspflicht begründet sowohl einen Verstoß gegen die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs wie auch den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, die unvereinbar mit den Artikeln 81 ff. des Vertrages über die Europäische Union (EGV) ist.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) vertritt jedoch in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass auch die staatliche Bildung oder Erweiterung von Monopolen an den kartellrechtlichen Maßstäben des EGV zu messen ist. Soweit die Kassen mit privaten Krankenversicherungen konkurrieren, nämlich im Bereich der freiwilligen Mitgliedschaft, fallen sie auch unter den vom EuGH entwickelten funktionalen Unternehmensbegriff, so dass alle Voraussetzungen für die Anwendung der Wettbewerbsregeln erfüllt sind.

Zu rechtfertigen ist die Monopolisierung nur dann, wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses die alleinige Zuständigkeit der Krankenkassen erfordern.

Zugleich stellt die Ausdehnung des Kassenmonopols auch eine Verletzung der von jedem Mitgliedstaat der EU zu beachtenden Pflicht zur Gemeinschaftstreue dar, weil europarechtliche Vorschriften in unverhältnismäßiger Weise verletzt werden, um dadurch nationale Vorteile zu erreichen. Der Anhebung der Versicherungspflichtgrenze fehlt damit eine europarechtliche Legimitation.