Wie der Gesetzgeber die KVen entmachtete

Der Gesetzgeber will den Sicherstellungsauftrag der KVen auf eine Basisversorgung reduzieren

2003 +++ Jost Brökelmann +++

Das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG) beschneidet die Aufgaben und damit die Macht der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Integrierte Versorgung
Dieses wird besonders am Beispiel der integrierten Versorgung deutlich. Die einzelnen Entwürfe für das GMG spiegeln den Kampf hinter den Kulissen wieder, der mit der Ausbootung der KVen endet.

Im Konsensuspapier von SPD/Grünen/CDU/CSU vom 26. August 2003 hieß es zur integrierten Versorgung:
"Die vertragsärztlichen Leistungsverpflichtungen werden in diesen Fällen außerhalb des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigungen erfüllt. Krankenkassen können entsprechende Verträge auch mit medizinischen Versorgungszentren abschließen."

Wenige Tage später steht im Arbeitsentwurf des GMG vom 29. August 2003:
"Die vertragsärztlichen Leistungsverpflichtungen werden außerhalb des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigungen erfüllt. Krankenkassen können entsprechende Verträge auch mit Trägern von medizinischen Versorgungszentren und mit Trägern, die eine Versorgung durch dazu berechtigte Leistungserbringer anbieten, selbst aber nicht Versorger sind (z.B. Managementgesellschaften), abschließen."
Hier tauchen zum ersten Mal Managementgesellschaften als Vertragspartner auf.

In der Arbeitsfassung vom 5. September 2003 sind die Managementgesellschaften wieder rausgeflogen:
"Die vertragsärztlichen Leistungsverpflichtungen werden in diesen Fällen außerhalb des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigungen erfüllt. Krankenkassen können entsprechende Verträge auch mit medizinischen Versorgungszentren abschließen."

Aufgaben der KVen
In der Endfassung des GMG vom 8.09.2003 werden die Aufgaben der KVen näher beschrieben - zu Nr. 114 (§ 140 b) Buchstaben a) und b) -

"Der Kreis der potenziellen Vertragspartner der Krankenkassen wird erweitert. Ärzte werden nicht mehr nur als Mitglieder einer Gemeinschaft als Vertragspartner zur integrierten Versorgung zugelassen. Die Krankenkassen können auch mit Trägern von Medizinischen Versorgungszentren und mit Trägern, die nicht selbst Versorger sind, sondern eine Versorgung durch dazu berechtigte Leistungserbringer anbieten (Managementgesellschaften), Verträge zur integrierten Versorgung abschließen. Die Ausdehnung des Kreises der Vertragspartner der Krankenkassen dient dazu, in Berücksichtigung der vielfältigen Interessen der Beteiligten die Möglichkeiten für eine spezifizierte integrierte Versorgung zu erweitern."

"Sämtliche Rechts- und Gesellschaftsformen stehen zur Verfügung, insbesondere also die Personengesellschaften und die juristischen Personen des Privatrechts, einschließ
lich Kapitalgesellschaften und Vereine."

"Auf die Anbindung an Rahmenvereinbarungen Dritter wird verzichtet. Dies ist bedingt durch die klarstellende Ablösung vom Sicherstellungsauftrag an die Kassenärztlichen Vereinigungen. Aus diesem Grund wird auch davon abgegangen, dass sich Vertragsärzte von ihrer Kassenärztlichen Vereinigung beraten lassen können oder ihre Kassenärztliche Vereinigung mit der Verteilung der Vergütung oder Vergütungsanteile in der integrierten Versorgung beauftragen können... Die Kassenärztlichen Vereinigungen sollten sich auf die Erfüllung des verbleibenden Sicherstellungsauftrages konzentrieren und sich nicht mit Hilfsfunktionen zugunsten einzelner Mitglieder bei der Erledigung von deren Aufgaben außerhalb des Sicherstellungsauftrags belasten."

"Des Weiteren sieht die Regelung nicht mehr die Kassenärztlichen Vereinigungen als potenzielle Vertragspartner einer integrierten Versorgung vor. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind in das System einer einzelvertraglichen Vereinbarung über die Durchführung der Versorgung ohne Veränderung ihrer eigentlichen Aufgabe, der Erfüllung des Sicherstellungsauftrags, nicht einzupassen. Sie sind als solche nicht Versorger und managen die Versorgung auch nicht im Rahmen von Einzelverträgen... Auch sind die Beiträge ihrer Mitglieder ausschließlich dazu gedacht, die gesetzlichen Aufgaben nach dem Sicherstellungsauftrag wahrzunehmen und nicht für das Aushandeln, die Überwachung und die Durchführung der Verträge zur integrierten Versorgung und damit nur für einzelne Mitglieder einzusetzen."

Fazit
Die Kassenärztlichen Vereinigungen, die als Selbstverwaltungsorgan mittelbare Staatsverwaltung sind, werden durch das GMG vom Gesetzgeber nur noch mit der Erfüllung des Sicherstellungsauftrags für die Grundversorgung beauftragt. Es wird ihnen explizit untersagt, au§erhalb der Grundversorgung für die Mitglieder der KVen zu verhandeln oder Geld zu verwalten. Im Klartext heißt dieses, dass sie nicht die Interessen der Kassenärzte wahrnehmen dürfen, sondern nur die Interessen des Staates auf dem Gebiet der Grundversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Der Traum von der Interessenvertretung der KVen für die niedergelassenen Ärzte ist ausgeträumt.

Die niedergelassenen Ärzte müssen sich deshalb überlegen, welche Organisation ihre Interessen gegenüber dem Staat vertreten soll. Es gibt zwar viele staatsunabhängige Verbände, Gesellschaften und Bünde, diese sind aber in sich häufig zerstritten. Man denke nur an den Streit zwischen Hausärzten und Internisten. Die jetzige Situation, die durch eine weitgehende Einschränkung der Aktivitäten von Selbstverwaltungsorganen wie Kassenärztliche Vereinigung und Ärztekammern gekennzeichnet ist, erfordert einen Zusammenschluss aller Ärzteverbände, die für den Erhalt der Freiberuflichkeit niedergelassener Ärzte kämpfen. Die bisherigen Reaktionen der KBV und der KVen machen es leider wenig wahrscheinlich, dass deren Ärztefunktionäre ihre gesicherten Einkommenspositionen verlassen und für die Freiberuflichkeit der niedergelassenen Ärzte eintreten werden. Der Staat wiederum wird ihre Funktionärssitze erhalten, damit die Grundversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten werden kann.