Deutschland hochverschuldet

30 magere Jahre vor uns

2003 +++ Jost Brökelmann +++ Quelle: Unveröffentlichtes Manuskript

Die öffentlichen Staatsschulden sind mittlerweile auf 1,3 Billionen Euro angewachsen, das sind 60 % des Brutto-Inland-Produktes (BIP = 2.108,2 Billionen Euro, Jahr 2002, Statistisches Bundesamt). Diese Staatsverschuldung soll bis 2010 auf 78 % des BIP anwachsen (M. Brost et al., DIE ZEIT Nr.22, 22. Mai 2003). Es sind diese öffentlichen Staatsschulden, die von der EU-Kommision in Brüssel moniert werden.

Zu den öffentlichen Schulden müssten eigentlich auch die Schulden im Sozialsystem (u.a. Renten, Pensionen), für die letztlich der Staat, d.h. die Öffentlichkeit, weitgehend einstehen muss, gezählt werden. Nach Berechnungen von Raffelhüschen (2001, 2003) betragen diese heute schon etwa ein ganzes Bruttosozialinlandprodukt (BIP), also 2,1 Billionen Euro.

Öffentliche Schulden und Schulden im Sozialsystem addieren sich folglich auf etliche Billionen Euro! Da ist es nachvollziehbar, dass M. Miegel (2002) prophezeit: „Vor uns: 30 magere Jahre“.

Es ist unfassbar, wie hoch Deutschland verschuldet ist!

Raffelhüschen verdeutlicht diese Schulden in seiner jüngsten Publikation für die Rürup-Kommission, die allen Parteien und Politkern vorgelegen hat: Für jeden Versicherten fehlen, auf den Rest seines Lebens hochgerechnet, mindestens 27.100 Euro, mit Wahrscheinlichkeit jedoch eher 84.600 Euro! Um diesen Schuldenberg abzubezahlen, müssen harte Einschnitte in das Sozialsystem vorgenommen werden und jeder Versicherte müsste im Durchschnitt   900 Euro jährlich zusätzlich zu seinem bisherigen Beitrag bezahlen. Sofort fielen die Ideologen des Sozialstaates inkl. CDU/CSU über ihn her – alles ist im Internet nachzulesen, man braucht nur mit der bekanntesten Suchmaschine den Suchbegriff „Raffelhüschen“ einzugeben und findet über 2000 Einträge aus Zeitschriften, Stellungnahmen etc. Sein Vorschlag sei sozial kalt und unrealistisch usw., heißt es immer wieder. Die von ihm vorgelegten Daten hat jedoch niemand widerlegt.

Raffelhüschens Berechnungen scheinen sogar richtig zu sein, denn sonst hätte die EU-Kommission nicht ähnlich hohe Schulden für Deutschland in ihrem jüngsten Bericht  veröffentlicht. Finanzminister Eichel hatte den anwachsenden Schuldenberg schon 1999 (Ederer 2000) bestätigt und jetzt wieder bekräftigt, wenn er eine weitaus radikalere Gesundheitsreform verlangt, als von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt bisher geplant. Selbst der Berater der Gesundheitsministerin Lauterbach prognostiziert einen Zusammenbruch des Gesundheitssystems innerhalb von 6 Jahren (Lauterbach 2003).

Fast alle Politiker schweigen! Sie wissen um den Schuldenberg und stecken den Kopf in den Sand. Beide große Parteien wollen dem Volk die Wahrheit nicht sagen, denn sie müssten gleichzeitig zugeben, dass der deutsche Sozialstaat auf Sand, genauer auf eine Lüge gebaut ist. Er ist auf der schönen, aber doch verlogenen Annahme gegründet, dass es einen Generationenvertrag gibt, in dem die Jüngeren für die Alten sorgen. In Wahrheit müssen jedoch die Jüngeren die Schulden der Alten bezahlen. Gäben die Politiker dieses zu, bräche der schöne deutsche Sozialstaat zusammen. Die Politiker wollen nicht die Totengräber dieses Sozialstaates werden, deshalb schweigen sie und lassen die Wahrheit nur portionsweise heraus.

Diese Schulden müssten von den gesetzlich Versicherten und den Beamten abgetragen werden, denn in ihrer jeweiligen Altersvorsorge sind diese Schulden entstanden. Die Selbstständigen trifft es weniger, denn sie haben in der Regel für das Alter privat vorgesorgt. Nur ist zu befürchten, dass in einer Demokratie die Mehrheit des Volkes versuchen wird, diesen Schuldenberg aus dem allgemeinen Steueraufkommen zu bezahlen, und dann sind die Selbstständigen wieder gekniffen.

Alle Funktionäre des Sozialstaates – auch die KV-Funktionäre - fürchten um ihre Stühle im System, alle Beamte um ihre Altersbezüge. Sie werden das System nicht ändern wollen. Wer sägt denn schon den Ast ab, auf dem er sitzt. Damit erweist sich der Sozialstaat als reformunfähig. Reformen werden eher von frei denkenden Bürgern kommen. Hoffentlich wird der „Bürgerkonvent“ eine solche Volksbewegung. Hier liegt auch eine Chance für kleinere Parteien, besonders wenn sie sich „liberal“ nennen.

Schuldenberg und Ambulantes Operieren

Warum sollen gerade wir Ambulanten Operateure und Anästhesisten uns mit dem Schuldenberg des Sozialstaates auseinandersetzen? Weil es uns unmittelbar angehen wird:

Über 90 % der Bevölkerung werden in Zukunft weniger Geld pro Jahr ausgeben können. Die medizinische Basisversorgung für GKV-Versicherte wird nur „ausreichend“, d.h. nach modernen Maßstäben dürftig werden. Die Vergütung für Leistungen im GKV-System wird nicht mehr, sondern weniger werden. Da werden auch die Einzelverträge nichts ändern, denn die Krankenkassen haben einfach kein Geld mehr. Alles wird von der Dringlichkeit des Wunsches der Bürger abhängen, für sich selbst eine gute medizinische Versorgung zu erhalten. Für gute Qualität werden die Bürger dann auch Geld ausgeben und an anderer Stelle einsparen. Es wird zu einer Entscheidung in jedem Bürger kommen, was er mit seinem Geld macht, ob er es für Gesundheit ausgibt  oder für Konsum.

Da schon jetzt die Praxiskosten im GKV-System nicht gedeckt sind und die entstandenen „Löcher“ durch Privatbehandlung gefüllt werden müssen (Brökelmann 2001), muss jeder Operateur sich nach anderen Verdienstquellen als denjenigen der GKV umsehen. Alle Operateure und Anästhesisten müssen ihre Praxis in dem Bewusstsein führen, dass es wegen der Umbrüche im Staat erhebliche finanzielle Einbußen geben wird. Sie müssen sich fragen, wie sie in der Praxis auskämen, hätten sie 25% weniger Einnahmen pro Jahr. Wer dann wegen zu hoher Verbindlichkeiten zahlungsunfähig ist, ist letztlich ein Opfer dieses Sozialstaates.

Da hilft uns Operateuren die Europäische Union weiter; denn sie hat erst kürzlich den ganzen europäischen Markt für ambulante ärztliche Leistungen geöffnet: Wenn Holländer oder Franzosen bei uns operiert werden, müssen ihre Krankenkassen ihnen den „heimischen“ Vergütungssatz  erstatten. Das gilt auch umgekehrt für deutsche Krankenkassen. Europa setzt auf Kostenerstattung – und freien Dienstleistungsverkehr!

Durch die Einführung der Fallpauschalen (DRG) entdecken die auf stationäre Behandlung spezialisierten Krankenhäuser das Ambulante Operieren wieder. Überall sprießen Tageskliniken, Ärztehäuser u.ä. in unmittelbarer Verbindung mit den Krankenhäusern aus dem Boden. Hier wird noch versucht, mit öffentlichen Geldern ein System aufrecht zu halten, das sich, zusammen mit dem Sozialstaat alter Prägung, überlebt hat. Zahlen müssen diese unnötigen Investitionen die Steuerzahler. Dabei wäre dieses Geld viel sinnvoller investiert in die Vergütung ambulanter Operationen, wo immer sie durchgeführt werden. Dann könnten sparsam wirtschaftende OP-Einheiten auch im GKV-System weiterexistieren. So ist vorauszusehen, dass die Ambulanten Operateure ihre Leistungen für GKV-Versicherte rationieren werden und GKV-Versicherte für teures Geld stationär behandelt werden müssen. Damit hat der Sozialstaat noch weniger Geld. Die Ideologie des Sozialstaates richtet diesen selbst zugrunde.

Es ist zu hoffen, dass die Bevölkerung schnell herausfindet, wo qualitativ gute Arbeit beim Operieren geleistet wird. Hier haben wir Ambulanten Operateure eine faire Chance, denn Ambulantes Operieren und das notwendige Management haben wir gelernt und haben  deshalb einen großen Erfahrungsvorsprung gegenüber den Klinikärzten. Wahrscheinlich werden sich auch mehr Patienten ambulant operieren lassen, weil die Krankenhausbehandlung für GKV-Patienten nur „ausreichend“ und für Privatversicherte relativ teuer ist und wir die gleichen Operationen kostengünstiger als das Krankenhaus anbieten können.

Bereiten wir uns auf unruhige Zeiten vor! Eines können wir auch sagen: Nachdem die Vertreterversammlung der KBV eindeutig für die Freiberuflichkeit votiert hat, gibt es kein Zurück mehr in den Schoß des Staates! Wir müssen frei denken und handeln.

Literatur: www.arzt-in-europa.de