Die Anwendung der offenen Methode der Koordinierung in der Gesundheitspolitik
2003 +++ Hans Stein +++ Quelle: gpk 4. April 2002, S. 20 - 25
Auszüge: Von den Medien
weitgehend unbeachtet hat der europäische Frühjahrsgipfel am 21. März 2003
in Brüssel einen gemeinsamen Bericht des Rates und der Kommission zur "Gesundheitsversorgung
und Altenpflege: Unterstützung nationale Strategien zur Sicherung eines hohen
Sozialschutzniveaus" nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern auch gebilligt
und weitere Arbeitsaufträge erteilt. Auch wenn die
Begriffe "Offene Methode der Koordinierung (OMK)" weder in dem Beschluss
noch in dem Bericht vorkommen, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass
damit der endgültige Startschuss zur Anwendung dieses neuen EU-Instruments
in der Gesundheitspolitik abgegeben wird, zum Entsetzen der EU-Skeptiker,
zur Freude denjenigen, die nicht Anhänger der Fiktion sind, dass die Organisation
des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung in der alleinigen Zuständigkeit
den EU-Mitgliedstaaten liegen. In dem Bericht
wurde das Fazit gezogen, dass sie Systeme der Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege
überall vor der Herausforderung stehen, folgende drei Ziele gleichzeitig zu
verwirklichen: 1. Sicherung
des allgemeinen Zugangs zu medizinischen Leistungen, 2. Sicherung
eine qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung, 3. Sicherung
der langfristigen Finanzierbarkeit. Zur Qualität
wird festgestellt, dass diese ein Thema höchster Priorität sei und
dass fast überall vorrangig im stationären Sektor Kriterien für
die Strukturqualität eingeführt worden sind. Bei der Ergebnisqualität
werden in vielen Mitgliedstaaten noch Mängel festgestellt, nur wenige
Länder verfügten wie Großbritannien über ein funktionierendes
System der systematischen Ergebnisbewertung. Fast überall sollen die
Rechte der Patienten gestärkt werden. Neu und für
die zukünftige Gestaltung der Europäischen Gesundheitspolitik entscheidend
ist die vorgeschlagene Einbeziehung der Europäischen Patientenmobilität und
die Entwicklung der Gesundheitsversorgung in der Union, die gegenwärtig in
einem anderen Gremium auf EU-Ebene, der "High Level Reflection Group"
behandelt werden. Diese Gruppe soll ihre Arbeit Ende 2003 abschließen. Die Weichen
sind in Richtung Europa gestellt. Auch ohne die Erwähnung des Begriffs "Offene
Methode der Koordinierung" ist klar und wohl auch allen bewusst, dass
es auf europäischer Ebene kein anderes praktikables und Erfolg versprechendes
Instrument gibt. Ziel ist vielmehr
eine Form von Zusammenlebenarbeit auf europäischer Ebene zu schaffen, die
den Austausch von Informationen und Erfahrungen zwischen den Mitgliedstaaten,
die Verbreitung bewährter Praktiken ermöglicht und die Herstellung einer größeren
Konvergenz in bezug auf die wichtigsten Ziele der EU bewirkt. Die OMK stellt
somit ein eigenständiges, nicht rechtliches Einwirkungsverfahren zur
mittelbaren Gestaltung der nationalen (auch Sozialschutz-)Systeme dar, welches
unabhängig von den grundsätzlich bei der Europäischen Union
angesiedelten Initiativbefugnissen praktiziert wird, indem es die einzelstaatlich
verantwortlichen Akteure einem transnationalen Steuerungsprozess nach Art
des " management by objectives" unterwirft. Die wachsende
Bedeutung, in deren OMK wird dadurch unter Beweis gestellt, dass sie aller
Wahrscheinlichkeit nach im neuen Verfassungsvertrag enthalten sein wird, der
gegenwärtig vom Konvent vorbereitet und ab 2004 Gegenstand einer Regierungskonferenz
sein wird. Damit erhält sie gleichberechtigt neben den klassischen Instrumenten
der Gemeinschaft Verfassungsrang. Gesundheitspolitik ist ein fester
Bestandteil der europäischen Integration. Sie kann sich nicht darauf beschränken,
ungewollte europäische Einflüsse abzuwehren, sondern muss aktiv mitgestalten.
Die OMK gibt ihr dazu eine Möglichkeit. Gesundheitspolitik
ist vorwiegend Querschnittsaufgabe und damit Einflüssen anderer Politikbereiche,
wie Binnenmarkt mit seinen Grundfreiheiten, Wirtschafts- und Wettbewerbspolitik
ausgesetzt, ohne dass sie bisher ausreichende Möglichkeiten gehabt hätte,
auf diese Bereiche Einfluss zu nehmen. Die OMK ist von ihrem Wesen her schon jetzt bereichsübergreifend
angelegt und ermöglicht diese Einflussnahme. Durch die Festlegung
von Zielen und von Indikatoren im Rahmen der OMK werden die maßgeblichen Weichen
für diesen Koordinierungsprozess gestellt; dabei ist von Anfang an darauf
zu achten, dass sich diese nicht alleine an den Märkten, sondern auch an den
sozialen Komponenten orientieren. Die Gesundheitssysteme
der Mitgliedstaaten befinden sich heute verstärkt in der Situation, sich auch
europäisch bewähren zu müssen, d.h. Vergleiche der Systeme im Bezug auf Qualität,
Effizienz, Kapazitäten, Kosten werden unvermeidbar. Die OMK bietet dazu eine
Möglichkeit. Die Entwicklung
der "offenen Methode der Koordinierung" erfolgt in einem schrittweisen
Prozess, dessen Inhalte und Formen noch nicht festgeschrieben sind und die
sich auch ständig ändern. Dieser Prozess ist daher auch beeinflussbar. Wenn
Deutschland sich aktiv in die gegenwärtig langsam anlaufende Diskussion einbringt,
wird es möglich sein, sie mit zu prägen.