"Weiterbildung ist ein dramatisches Thema"

Leibniz-Präsident Henkel über das duale Bildungssystem in Deutschland

2003 +++ Hans-Olaf Henkel +++ Quelle: Das Hochschulmagazin 1/2003, 8-11 (Internet)

Auszüge:

Roman Herzog ging es in dieser (Berliner) Rede darum, den Bildungspolitikern klar zu machen: Alle Versuche, das System durch weitere staatliche Eingriffe, mehr Bürokratie oder Vorgaben zu verändern, sind zum Scheitern verurteilt.

Wir bekommen jetzt die Quittung dafür, dass die Achtundsechziger das Wettbewerbsprinzip aus dem Bildungssystem herausgeholt haben, um es den Schülern, Studierenden, Lehrern und Professoren schön gemütlich zu machen. Man kann sich diese Quittung von zwei Seiten angucken: Die eine ist die überlange Studienzeit mit jetzt 14,4 Semestern - das deutsche Bildungssystem produziert die ältesten Absolventen. Und die zweite Seite der Quittung ist PISA.

Sehr wichtig ist, dass man den Wettbewerb als Schlüssel zur Gesundung des Bildungssystems anerkennt.

Was bei der OECD-Statistik unterschlagen wird: Wir haben hier in Deutschland ein ausgefeiltes duales System. Das ist immer noch der große Vorteil unseres Bildungssystems. Wenn Sie mal hören, was deutsche Firmenchefs Ihnen über die Qualifikation von britischen oder französischen Arbeitern erzählen, dann wird man immer wieder feststellen: Die klassischen technischen Berufe sind in Deutschland besser. Wenn wir ein PISA für Facharbeiter hätten, dann wären die Deutschen die besten der Welt.

Diese jungen Leute sind heute 16, 17 Jahre alt. Bald gehen sie in die Berufe, sie gehen an die Universitäten, an die Forschungseinrichtungen, in die Wirtschaft, in die Politik. Diese im Vergleich zu ihren ausländischen Konkurrenten schlechter ausgebildeten jungen Leute wachsen jetzt in die Verantwortung hinein. Das heißt, wir bekommen bestenfalls Mittelmaß an allen Schaltstellen der deutschen Gesellschaft. Was immer sich Frau Bulmahn, die Kultusministerkonferenz oder einzelne Schuldirektoren jetzt ausdenken - diese Generation wird davon nichts mehr haben.

Die einzigen, die sich mit dem Thema befassen, sitzen im Deutschen Institut für Erwachsenenbildung in Bonn, einem Leibniz-Institut.

Ich möchte erwähnen, dass das Pfund des deutschen Bildungssystems, das duale System, vor allen Dingen von der Wirtschaft finanziert wird und nicht durch den Staat.

Die deutsche Wirtschaft - die Nettoumsatzrendite liegt bei uns unter zwei Prozent - verdient viel zu wenig. Wenn Sie in dieser Situation stecken und sich auch nicht von Mitarbeitern trennen können, dann bleibt Ihnen oft nichts anderes übrig, als an der Zukunft zu sparen.

Nach meiner Meinung (hat) die Fachhochschule einen riesigen Vorteil gegenüber dem Universitätsbetrieb: Man ist schneller fertig.

Allein die Tatsache, dass wir zur Zeit 4,7 Millionen arbeitslose Menschen haben, die sich nicht im Beruf weiterbilden können, ist ebenso dramatisch für das gesamte Niveau unserer Gesellschaft wie die Langzeitfolgen der PISA-Studie.