Organisationsreform der GKV - wozu?

Welche gesetzliche Krankenversicherung wollen wir eigentlich?

2003 +++ Frank E. Münnich +++ Quelle: Forum für Gesundheitspolitik Nov./Dez. 2003, 423-428

Auszüge:

Ohne vorherige operative Definition, welche Art von gesetzlicher Krankenversicherung in Zukunft realisiert sein soll, sind alle Reformmaßnahmen müßig. Sie führen, wie an konkreten Beispielen aufgezeigt werden kann, nur von einem Chaos in ein anderes Chaos.

Die deutsche gesetzliche Krankenversicherung dagegen ist seit allerersten Anfängen im Hochmittelalter stets schrittchenweise „historisch gewachsen“ – von einigen Wachstumsschüben einmal abgesehen. Entsprechend chaotisch, dysfunktional und voller innerer Widersprüche präsentiert sich ihre organisatorische Struktur heute.

Was Ihnen – und der Reformdebatte insgesamt – fehlt, sind konkrete Zielvorstellungen, ein ideeller Fluchtpunkt, auf den hin die angedachten Maßnahmen systematisch zu bündeln und „perspektivisch“ auszurichten wären.

Politiker leben und denken in Legislaturperioden, so wie die Manager globaler Unternehmen in tiefem Kotau vor den unbedarftesten Analysen der Rating-Agenturen oder Investment-Banken in Vierteljahreserfolgsrechnungen denken. „Fluchtüberlegungen“ sind in politischen Kreisen wenig populär. Politiker schätzen es nicht, wenn ihr Entscheidungsspielraum durch langfristige Überlegungen allzu sehr eingeschränkt wird.

Ausgangspunkt aller Überlegungen müsste sein, welchem Zweck eigentlich die Gliederung der Kassenlandschaft dient: Kassenarten wozu? Es macht also sehr viel Sinn, die noch bestehenden zwingenden Rechtsunterschiede zwischen den Kassenarten aufzuheben. Bevor man also die Organisationsreform weiter treibt, sollte man inne halten und sich offen der Entscheidung stellen, welche gesetzliche Krankenversicherung man will.

Ich denke, dass sich die korporative Ordnung immer noch retten lässt, wenn man will. Dann aber müssen die organisatorischen Regulierungen korporatismuskonform getroffen werden. Dann verbietet es sich, pseudomarktwirtschaftlichen Phantasmagorien nachzulaufen, das eine oder andere Charakteristikum einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu imitieren und isoliert auf die korporative Ordnung aufzupfropfen.

Wenn man Markt will, dann muss man auch dies mit Konsequenz verfolgen, also sich den Gesetzen des Marktes und der Marktordnung voll anvertrauen, ohne sentimental lieb gewordene Details des Kuschelkorporatismus in die raue Welt der Marktkonkurrenz hinüber retten zu wollen. Dazu gehören auch grundlegenden verfassungsrechtliche Probleme wie die demokratische Legitimation der Organe und Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung im Hinblick auf ihre Drittwirkung.