Beske entwickelt GMG-Szenario: Freiberuflern droht das Aus

Der freiberuflich tätige Facharzt steht in einer unzumutbaren Konkurrenz zu fremdfinanzierten Gesundheitszentren und staatlich subventionierten Krankenhäusern

2003 +++ Fritz Beske +++ Quelle: facharzt.de 11.07.2003

1. Einführung
Statement von Prof. Fritz Beske, Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel

Die Situations- und Zukunftsanalyse der ambulanten, wohnortnahen fachärztlichen Versorgung erfolgt ausschließlich aus gesundheitspolitischer und versorgungspolitischer Sicht. Um ein komplexes Thema im Rahmen einer Pressemitteilung einigermaßen erschöpfend abzuhandeln, wird eine im wesentlichen stichwortartige Darstellung gewählt. Der Anhang enthält einen themenbezogenen Auszug aus dem Entwurf des Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes (GMG).

2. Gesetzesvorschlag
Der Gesetzentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zur Modernisierung des Gesundheitssystems (Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz GMG), Stand 27.05.2003, enthält folgende Aussagen:
- Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen nur noch für die hausärztliche Versorgung einschlie§lich Kinderärzte sowie Frauenärzte und Augenärzte. Damit Teilung des Sicherstellungsauftrags auf Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen.
- Bereits zugelassene Fachärzte bleiben im kollektivvertraglichen System, können aber auch Einzelverträge mit Krankenkassen abschließen.
- Neuzugang zur fachärztlichen Versorgung nur noch durch Einzelverträge mit Krankenkassen. Ausnahme: Frauenärzte und Augenärzte.
- Es gibt für zugelassene Fachärzte keinen Anspruch auf Vertragsabschluss. Die Verträge werden ausgeschrieben und für fünf Jahre abgeschlossen. Eine Vertragsverlängerung ist an die Erfüllung von Vorschriften zu Qualitätsanforderungen und zur Fortbildung gebunden.
- Krankenhäuser werden für bestimmte Leistungen für die ambulante Versorgung geöffnet.
- Krankenkassen müssen ihren Versicherten ein Hausarztsystem anbieten.
- Der Zugang zum Facharzt soll nur noch über den Hausarzt erfolgen. Wer einen Facharzt ohne Überweisung durch einen Hausarzt aufsucht, zahlt eine Praxisgebühr von 15 Euro je Kalendervierteljahr.
- Es können Gesundheitszentren mit angestellten Ärzten gegründet werden. Die Gesundheitszentren werden zur vertragsärztlichen Leistungserbringung zugelassen.
- Die Krankenkassen können unselbstständige Eigeneinrichtungen zur Durchführung einer integrierten Versorgung ihrer Versicherten gründen.

3. Gegenwärtiger Stand der ambulanten fachärztlichen Versorgung
Der Vertragsarzt wird für sein Fachgebiet für alle Krankenkassen zugelassen. Jeder Versicherte hat Zugang zu jedem niedergelassenen Vertragsarzt: Freie Arztwahl. Damit ist mit rund 58 000 zugelassenen Vertragsärzten eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung im gesamten Bundesgebiet und auch in ländlichen Gebieten sichergestellt. Es gibt praktisch keine Wartezeiten. Die Fachärzte stehen im Wettbewerb zueinander. Sie sind in der Regel bemüht, dem aktuellen Stand der Medizintechnik zu entsprechen. Die neuere Medizintechnik ist fast durchgängig patientenschonender und von besserer Qualität.

4. Auswirkungen des Gesetzes auf den Facharzt und die fachärztliche Versorgung
Unsicherheit, ob ein Vertrag abgeschlossen oder verlängert wird, führt zur Planungsunsicherheit und damit Rückgang von Bewerbungen um einen Vertrag. Zurückhaltung bei Investitionen in neue Medizintechnik.
Der freiberuflich tätige Facharzt steht in einer unzumutbaren Konkurrenz zu fremdfinanzierten Gesundheitszentren und staatlich subventionierten Krankenhäusern.
Unmöglichkeit eines einzelnen Facharztes oder einer Facharztgemeinschaft, mit heute 350 Krankenkassen oder auch einer geringeren Zahl von Krankenkassenverbänden Vertragsverhandlungen zu führen. Ein Facharzt versorgt Patienten von bis zu 100 Krankenkassen.
Bei jedem neuen Patienten muss eine Prüfung erfolgen, ob mit der Krankenkasse dieses Patienten ein Vertrag besteht. Wenn nicht, Ablehnung der Behandlung oder Behandlung als Privatpatient mit Kostenerstattung durch die Krankenkasse des Patienten.
Ein Facharzt oder eine Facharztgemeinschaft muss unterschiedliche Verträge mit einer Vielzahl von Krankenkassen managen. Die Facharztpraxis wird von einer Vielzahl von Krankenkassen mit jeweils unterschiedlichen Verträgen kontrolliert. Sie muss mit einer Vielzahl von Krankenkassen abrechnen. Der Verwaltungsaufwand steigt.
Der Verkauf einer Facharztpraxis ist eine kalkulierte Alterssicherung. Mit der Verwirklichung des Gesetzentwurfs sinkt der Wert einer Facharztpraxis, die Altersicherung ist gefährdet.
Die Freiberuflichkeit nimmt ab in einem nicht zu übersehenden Ausmaß, eine fachärztliche Tätigkeit im Angestelltenverhältnis im Krankenhaus, in Gesundheitszentren und in Eigeneinrichtungen der Krankenkassen nimmt zu.
Im Zeitablauf tritt eine Verdünnung der fachärztlichen Versorgung ein, die zu einem Ende der freiberuflichen vertragsärztlichen Facharztversorgung führen kann.

5. Auswirkung auf den Patienten
Einschränkung bis Aufhebung der freien Arztwahl.
Bei jedem neuen Arztkontakt muss der Patient prüfen, ob dieser Arzt einen Vertrag mit seiner Krankenkasse hat. Ggf. Anfrage bei seiner Krankenkasse, wo im Einzugsbereich ein Vertragsarzt ist.
Rückgang und letztlich Ende der wohnortnahen ambulanten fachärztlichen Versorgung, damit Aufgabe der Versorgungssicherheit.
Im Zeitablauf zunehmend Wartezeiten in den institutionellen Einrichtungen wie Krankenhaus, Gesundheitszentrum, Eigeneinrichtung der Krankenkassen. Dies entspricht den Erfahrungen in allen Ländern ohne niedergelassene Fachärzte.

6. Auswirkungen auf Krankenkassen
Notwendigkeit für jede Krankenkasse oder für Krankenkassenverbände, mit jedem Facharzt einen Vertrag auszuhandeln, abzuschließen und die Erfüllung des Vertrages zu kontrollieren. Bei anstehender Vertragsverlängerung †berprüfung der Erfüllung der Voraussetzungen für eine Vertragsverlängerung. Wachsender Verwaltungsaufwand.
Kontinuierliche Information der Versicherten über Vertragsärzte und Vertragsbedingungen.
Problem für kleinere Krankenkassen mit zum Teil nur wenigen Mitgliedern in bestimmten Regionen eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen.
Voraussichtliche Konsequenz: Das Aus kleinerer Krankenkassen.

7. Auswirkungen auf Krankenhäuser
Notwendigkeit zu Investitionen, um die ambulante Versorgung aufbauen zu können. Bei einem ständigen Rückgang von Landesmitteln für Krankenhausinvestitionen dürften öffentliche Mittel nicht zur Verfügung stehen.
Problem der Gewinnung von Ärzten und Pflegepersonen bei einer schon heute erkennbaren Personalenge.
In vielen Krankenhäusern räumliche Begrenzung, die den Aufbau einer ambulanten Versorgung erschwert oder unmöglich macht.
Vertragsabschluss mit einer großen Zahl von Krankenkassen.

8. Alternativen
Fortsetzung und Verstärkung der Ansiedlung von eigenständigen Facharztpraxen im Krankenhaus oder auf dem Krankenhausgelände zur Versorgung von ambulanten und stationären Patienten.
Kooperation zwischen niedergelassenen Fachärzten und Krankenhäusern in räumlicher Nähe.
Ausbau von Praxisnetzen, Gemeinschaftspraxen und freiwilligen Kooperationen jeder Art.
Bedarfsplanung der gemeinsamen Selbstverwaltung für hochspezialisierte Facharztbereiche mit einem hohen technischen Aufwand mit dem Ziel, bei Auslaufen bestehender Praxen neue Praxen nur noch in Verbindung mit einem Krankenhaus zuzulassen.

9. Schlussbemerkung
Ein durch ein Gesetz einmal eingeleiteter Prozess der Umstrukturierung der fachärztlichen Versorgung ist von einem schnell erreichten Zeitpunkt an nicht mehr rückgängig zu machen.