Gemeinnützige Anbieter sind Unternehmen im Sinne des europäischen
Wettbewerbsrechts
Münder-Studie
zur Stellung gemeinnütziger Anbieter im Lichte des EU-Wettbewerbsrechts
2003 +++ EU-Kommission +++ Quelle: DKG-Brüssel-Info
März 2003 Rundschreiben
Nr. 77/03Am
26. Februar 2003 wurde in Brüssel eine im Auftrag des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von Prof. Dr. Johannes Münder
und Dr. Arne von Boettcher erstellte Studie mit dem Titel "Europäischer
Wettbewerb und die Privilegierung gemeinnütziger Anbieter sozialer Dienstleistungen
in Deutschland" vorgestellt. Die Studie geht der Frage nach, inwieweit
die besondere Stellung der gemeinnützigen Anbieter sozialer Dienste in
Deutschland mit dem EU-Recht vereinbar ist. Sie kommt zu folgenden Ergebnissen:
- Gemeinnützige Anbieter sozialer Dienste seien durch die bestehenden
direkten und indirekten Vergünstigungen (Zuwendungen, öffentliche Auftragsvergabe,
Steuervergünstigungen) gegenüber gewerblichen Anbietern privilegiert.
- Gemeinnützige Anbieter seien Unternehmen im Sinne des europäischen
Wettbewerbsrechts, da sie a) keine funktional hoheitlichen Aufgaben
und b) keine Aufgaben mit ausschließlich sozialem Charakter wahrnähmen. Aufgaben
von ausschließlich sozialem Charakter wären nur Aufgaben, die nicht von anderen
als den gemeinnützigen Anbietern betrieben werden könnten. Da aber auch Zweckbetriebe
(wie Jugendheime, Krankenhäuser o.a.) von gewerblichen Trägern betrieben werden
könnten, könnten diese Aufgaben nicht als ausschließlich sozial bezeichnet
werden. Als Unternehmen unterlägen die gemeinnützigen Anbieter der Wettbewerbsordnung
der EU.
- Die Privilegien, die die gemeinnützigen Anbieter genießen, könnten
prinzipiell als Beihilfen betrachtet werden. Unzulässig seien nur solche Beihilfen,
die den Wettbewerb verfälschten und den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigten.
Dies sei der Fall, wenn gemeinnützige Einrichtungen und Unternehmen über das
rein Karitative hinaus tätig würden und wenn sie auf dem jeweiligen Gebiet
in Wettbewerb mit gewerblichen Anbietern aus dem EU-Ausland treten könnten.
Obwohl es sich bei sozialen Dienstleistungen oft um lokale oder regionale
Angebote handelt, fänden sich jedoch in letzter Zeit auch einige Beispiele
für grenzüberschreitende Tätigkeiten, so dass damit der Binnenmarkt betroffen
sei.
Daraus schließt die Studie, dass
"die Privilegierungsinstrumente zugunsten gemeinnütziger Anbieter
sozialer Dienstleistungen jedenfalls in weiten Bereichen ihres Tätigkeitsspektrums
unzulässige Beihilfen im Sinne des Art. 87 Abs. 1 EGV darstellen."
Ausnahmen könnten sich jedoch über folgende Ansatzpunkte ergeben:
- Nicht wettbewerbsverfälschend seien Beihilfen, die der de-minimis-Regelung
(Bagatellgrenze für Beihilfen: 100.000 Euro in drei Jahren) unterlägen. Diese
Ausnahme könne jedoch Gefahrenpotential bergen, da z.B. noch nicht bekannt
sei, wie Beihilfen in Form von Steuervergünstigungen in Zukunft erfasst würden.
- Beihilfen, die nur dem Nachteilsausgleich dienten, würden nicht als
wettbewerbsverfälschend angesehen. Hierbei sei jedoch zu beachten, dass die
Beihilfen jeweils nur eine bestimmte Maßnahme und nicht den Träger als solchen
begünstigen dürften. Die Ermessensentscheidung liege bei der EU-Kommission.
- Sofern bestimmte Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen
Interesse (also die Dienstleistungen der Daseinsvorsorge) nicht erbracht werden
könnten, wenn sie unter Wettbewerbsbedingungen ausgeführt würden, könnten
sie von den Wettbewerbsregeln befreit werden. Eine Gruppenfreistellungsverordnung
könne die gemeinnützigen Anbieter von der Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts
befreien. Allerdings werde eine solche Freistellung durch die Politik bestimmt
und müsse unter den EU-Mitgliedstaaten ausgehandelt werden. Ob alle Länder
dabei die gleichen Vorstellungen hätten, sei zweifelhaft. Für das politische
Handeln sei die Gruppenfreistellungsverordnung jedoch ein Ansatzpunkt.
Nach Überprüfung der möglichen
Ausnahmen kommt die Münder-Studie zu dem Ergebnis, dass die Privilegierung
der gemeinnützigen Anbieter nicht mit dem europäischen Wettbewerbsrecht
- wie es in Art. 87 Abs. 2 festgelegt ist - vereinbar ist und dass die möglichen
Ausnahmen nicht greifen. Die Studie (60 Seiten) ist beim BBJ Verlag Vertrieb,
Hildburghauser Str. 19 B, 12279 Berlin, Tel.: 030/721.42.48, Fax: 030/721.81.18,
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