Pragmatischen Reformweg einschlagen

Die gesetzliche Krankenversicherung zwischen Versicherung und gesamtgesellschaftlichem Auftrag

2003 +++ Dieter Thomae +++ Quelle: Form fŸr Gesundheitspolitik: Nov./Dez. 2003 S. 394-397

Auszüge:

Ausgangslage

Der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel führt zunehmend auch zu einer Diskussion darüber, was die sozialen Sicherungssysteme leisten sollen bzw. müssen und wie sie dies am ehesten bewerkstelligen können.

Das heutige Umlageverfahren offenbart in einer Gesellschaft mit einer niedrigen Geburtenrate seine große Schwäche. Die implizite Schuldenlast, die auf die nachwachsenden Generationen verschoben wird, wird immer größer.

Bürgerversicherung kontra Prämiensystem

Die Bürgerversicherung ist ein kollektivistischer Ansatz, der getragen ist von der Idee eines paternalistischen Staates. Vater Staat, der weiß, was die Menschen für den Krankheitsfall brauchen, sorgt dafür, dass das Geld der Bürger in die von ihm für gut befundenen Verwendungen fließt.

Mit einem Hereinzwängen der gesamten Bevölkerung in ein gesetzliches Krankenversicherungssystem findet eine deutliche Abkehr von Prinzip Bismarckscher Prägung der sozialen Sicherung für Schutzbedürftige hin zu einem kollektiven Zwangssystem für alle Bürger statt.

Der Gegenpol bildet die Vorstellung, dass jeder Bürger zunächst einmal für sich und seine Familie selbst verantwortlich ist – auch was die Absicherung des Krankheitsrisikos anbelangt.

Lösungsansatz

Reformansätze finden nicht auf der grünen Wiese statt, sondern müssen an den heutigen Strukturen ansetzen. Notwendig ist deshalb ein pragmatischer Ansatz mit möglichst viel Kapitaldeckung, denn die Erkenntnis ist nicht zu leugnen, dass um so mehr Sachkapital gebildet werden muss, je weniger Humankapital zur Verfügung steht. Ein Übergang auf die Kapitaldeckung in abgrenzbaren und vermittelbaren Bereichen wie z.B. beim Krankengeld, privaten Unfällen und der zahnmedizinischen Behandlung sowie über eine Absenkung der Versicherungspflichtgrenze eine Erweiterung des Kreises derjenigen, die sich privat über risikoäquivalente Prämien mit Altersrückstellungen versichern können, durch eine Absenkung der Versicherungspflichtgrenze ist deshalb als erster Schritt notwendig. An der Bildung von Rücklagen für die höhere Leistungsinanspruchnahme älterer Menschen führt bei einer sinkenden Geburtenrate kein Weg vorbei.

Der Staat muss seinen Wirkungskreis zudem ebenfalls auf die Aufgaben beschränken, die nur er oder die er besser erfüllen kann als der Markt.