Bundesverfassungsgericht lockert das Werbeverbot für Ärzte

Niedergelassene Ärzte dürfen sachliche Werbung treiben

2003 +++ Bundesverfassungsgericht +++ Quelle: BVerfG, 1 BvR 1608/02 vom 26.9.2003, Absatz-Nr. (1-34)

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Auszüge:
Berufswidrig ist Werbung, die keine interessengerechte und sachangemessene Information darstellt (vgl. BVerfGE 82, 18 -S. 28-). Aus dem Werbeträger allein kann nicht auf eine Gefährdung eines Gemeinwohlbelangs wie der Gesundheit der Bevölkerung oder mittelbar auf einen Schwund des Vertrauens der Öffentlichkeit in die berufliche Integrität der Ärzte geschlossen werden, solange sich die Werbemittel im Rahmen des †blichen bewegen (vgl. BVerfGE 94, 372 -S. 393-).

Weiter ist geklärt, dass für Kliniken nicht dieselben Werbebeschränkungen gelten wie für niedergelassene Ärzte. Auch wenn Ärzte oder Zahnärzte Kliniken betreiben, gelten diese Besonderheiten. Sie tragen dem höheren sachlichen und personellen Aufwand und den laufenden Betriebskosten Rechnung. Alle Betreiber werden durch Werbebeschränkungen typischerweise stärker belastet als die Gruppe der niedergelassenen Ärzte (vgl. BVerfGE 71, 183 -S. 194 ff., insbesondere 196, 199-).

Nicht berufswidrig sind interessengerechte und sachangemessene Informationen (vgl. BVerfGE 82, -S. 28-)

Einrichtung und Ausstattung des Betriebs der Beschwerdeführerin gehen über das übliche Angebot eines niedergelassenen Zahnarztes hinaus. Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, sämtliche für einen Klinikbetrieb erforderlichen Einrichtungen zu unterhalten und zu nutzen, insbesondere einen OP-Saal, eine vollständige Anästhesieeinrichtung sowie Krankenzimmer und entsprechendes Personal. Dass in diesen Räumlichkeiten möglicherweise auch ambulante Eingriffe stattfinden, kann der Beschwerdeführerin nicht entgegengehalten werden. Kliniken stehen den niedergelassenen Ärzten auch bei Vornahme ambulanter Eingriffe grundsätzlich nicht gleich. Sofern die Eingriffe in der Klinik stattfinden und als klinische Leistungen abgerechnet werden, werden hiermit gewerbliche Umsätze erzielt (vgl. BVerfG, NJW 2000, S. 2734 -S. 2735-). Im Übrigen kann bei einer bundesweiten Werbung kaum angenommen werden, dass für ambulante Dienste geworben wird. Wenn Patienten aus dem ganzen Bundesgebiet akquiriert werden sollen, kann dies ernsthaft nur für stationäre und teilstationäre Leistungen in Betracht gezogen werden.

Sofern Kliniken nach außen handelnd in Erscheinung treten, führt die Tatsache, dass in diesen Kliniken neben dem sonstigen Personal auch Ärzte beschäftigt werden, nicht dazu, die Kliniken den Standesregeln für Ärzte zu unterwerfen.

Mit dieser Wertung haben die Gerichte § 20 BO nicht verfassungskonform ausgelegt und angewendet. Sie berücksichtigen schon im Ansatz nicht, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Werbeeffekt als solcher nicht zu einem Verbot führen kann, weil dem Zahnarzt von Verfassung wegen die berufsbezogene und sachangemessene Werbung erlaubt ist (vgl. BVerfGE 82, 18 -S. 28-; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001, S. 2788 ff.). Konkurrenzschutz und Schutz vor Umsatzverlagerungen sind keine legitimen Zwecke, die Einschränkungen der Berufsausübung rechtfertigen können. Der eigentliche Zweck der Werbung liegt darin, Kunden, oder hier Patienten, zu Lasten der Konkurrenz zu gewinnen (vgl. BVerfGE 94, 372 -S. 399-). Akquisition als solche ist nicht berufswidrig.

Die Patienten haben ein legitimes Interesse daran zu erfahren, dass der Klinik ein Ärzteteam zur Verfügung steht, das über vertiefte Erfahrungen auf dem Gebiet der Implantatbehandlungen verfügt (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2002, S. 1331 ff. zur Bedeutung der Bezeichnung "Spezialist" für das Informationsbedürfnis des Patienten); dies entspricht im Übrigen auch dem europäischen Standard zum ärztlichen Werberecht (vgl. EGMR, EuGRZ 2002, S. 589 ff.)