Aufruf renommierter Gesundheitsökonomen zu echter Gesundheitsreform
2002 +++ Eberhard Wille, Klaus Jacobs, Gert G. Wagner, Jürgen Wasem +++ Quelle: KMA Dezember 2002, 24
Auszüge: Oberstes Reformziel der
Gesundheitspolitik müsste es sein, ein solidarisch gestaltetes Gesundheitswesen
rational zu steuern, Einsparpotenziale zu erschließen, negative Wachstums-
und Beschäftigungseffekte zu vermeiden und nicht zuletzt die Präferenzen
der Versicherten bestmöglich zur Geltung zu bringen. Eine staatlich-administrative
Lenkung eines so komplexen und bedeutenden Wirtschaftssektors wie das
Gesundheitswesen ist dazu prinzipiell nicht in der Lage und muss letztlich
scheitern. Nur eine wettbewerbliche
Reform bietet eine reelle Chance, auf Dauer eine bedarfsgerechte und
hochwertige sowie letztlich auch kostengünstige Versorgung der Bevölkerung
im Krankheitsfall unter Wahrung sozialstaatlicher Prinzipien zu gewährleisten.
Dazu muss sich der Sozialgesetzgeber Ð statt ständig in das Gesundheitswesen
zu intervenieren Ð auf seine ordnungspolitischen Aufgaben beschränken und
allen Beteiligten mehr Gestaltungsmöglichkeit im Rahmen einer von ihm ethisch,
sozial und wirtschaftlich adäquat zu gestaltenden Wettbewerbsordnung geben. Das administrativ-korporatistische
Steuerungssystem mit sektoraler Budgetierung und Bedarfsplanung hat
versagt und muss durch den konsequenten Ausbau wettbewerblicher Handlungsfreiräume
der einzelwirtschaftlichen Akteure ersetzt werden. Dies betrifft in erster
Linie die Vertragsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungsanbietern
unterhalb vorgegebener Kollektivstrukturen, die gegenwärtig jeden Preis-
und Qualitätswettbewerb im Keim ersticken. Die Finanzierung der Gesundheitsversorgung
auf der alleinigen Grundlage von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen ist
endgültig an ihre Grenzen gestoßen. Damit sprechen sowohl distributive
als auch allokative Gründe für eine Abkoppelung der Beiträge von den Arbeitseinkommen
bei gleichzeitiger Verbreiterung der Bemessungsgrundlage. Wirkliche Strukturreformen
der Steuerungs- und Finanzierungsstrukturen der gesetzlichen Krankenversicherung
können grundsätzlich nicht im Konsens der korporatistischen Akteure des
bestehenden Systems, sondern nur gegen deren Widerstände durchgesetzt werden.
Wenn die Politik im Interesse der Versicherten und Patienten handeln will,
muss sie sich jetzt für einen entschiedenen wettbewerblichen Reformkurs
entscheiden. Kommentar Prof. Brökelmann: Mit "administrativ-korporatistisches
Steuerungssystem" ist u.a. das deutsche Selbstverwaltungssystem (KVen,
Krankenkassen) sowie große Verbände wie DKG und Gewerkschaften
gemeint. Für die Vertragsärzte heißt der Aufruf der Gesundheitsökonomen,
dass sie sich aus dem sicheren Hafen der KV-Versorgung auf das freie Meer
des Wettbewerbs bewegen müssen, weil das alte System, in dem sie gut
alimentiert wurden, nicht mehr finanzierbar ist. Der Wettbewerb wird in Zukunft
auf Lokal- und Landesebene stattfinden. Auf diesen Ebenen müssen wir
ambulante Operateure und Anästhesisten unsere Interessen wahrnehmen.
Dieses bedeutet Ausbau und Stärkung von Praxisnetzen wie z.B. Brust-Ambulanzen
(www.brust-ambulanz.info) und Interessenvertretung
auf Landes- bzw. Gebietsebenen. Ein wettbewerbliches System kann man nicht
von der Bundesebene aus steuern. Wettbewerb in der Patientenversorgung ist
ein lokales Geschehen.