Deutsche Sozialsysteme langfristig nicht überlebensfähig

Leitbild des engagierten Bürgers gefordert

2002 +++ Roland Berger +++ Quelle: facharzt.de/ Handelsblatt vom 11.10.02

Die Finanzierbarkeit von Gesundheit, Rente und Arbeitslosigkeit sei nicht das eigentliche Problem, schreibt der Unternehmensberater Roland Berger in einer Kolumne des „Handelsblatt“. Der Kern der sozialstaatlichen Krise liege im Missverhältnis von Solidarität und Subsidiarität, Eigenvorsorge und gesellschaftlicher Fürsorge, individueller und kollektiver Verantwortlichkeit.

In Deutschland fließe jeder dritte Euro in die sozialen Sicherungssysteme. Mit 32,1 Prozent Sozialquote in 2001 belege die Bundesrepublik damit international einen traurigen   Spitzenplatz, deutlich über dem europäischen Durchschnitt (26,6 Prozent) und dem der USA   (19,9 Prozent). Seit den sechziger Jahren hätten die demographische Entwicklung, ein falsch verstandenes sozialstaatliches Fürsorgeprinzip, Arbeitslosigkeit und politische Sünden wie die Frühverrentung oder überzogene Arbeitnehmerrechte die Sozialhaushalte kontinuierlich in die Höhe geschraubt. „Pro Einwohner geben wir heute durchschnittlich knapp 8.000 Euro im Jahr aus, um uns gegen Wagnisse aller Art abzusichern“, kritisierte Berger.

Grundsätzlich müsse aber das Subsidiaritätsprinzip gelten: Was der Einzelne selber leisten kann, sollte er auch selber leisten. Die solidarische Hilfe durch den Staat oder Solidargemeinschaften habe letztlich ergänzenden Charakter. Damit der Staat in Zukunft handlungsfähig bleibe und seine Bürger in angemessenem Umfang behüten könne, gelte es vor allem, die Anreizstrukturen grundlegend zu ändern.

Das deutsche Gesundheitswesen etwa sei durch institutionelle Fehlanreize und Intransparenz gekennzeichnet, kritisierte Berger, „Wenn Patienten nicht zwischen Verträgen mit unterschiedlichem Versicherungsschutz und entsprechend differenzierten Prämien wählen können, wenn sie auf Grund des Sachleistungsprinzips nie die Kosten ihres Arztbesuchs kennen, liegen die Konsequenzen auf der Hand: Den Patienten erscheint es rational, möglichst viele Leistungen für ihren Versicherungsbeitrag in Anspruch zu nehmen – auch wenn der persönliche Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten steht.“

Bergers Fazit: „Wir brauchen hierzulande ein neues gesellschaftliches Muster, das den Einzelnen in den Mittelpunkt rückt – das Leitbild eines Bürgers, der engagiert und eigenverantwortlich handelt und nicht gleich hilflos und in blindem Vertrauen nach dem Staat ruft.“