Ärztekammer beruft sich auf Grundrecht auf freie Meinungsäußerung
2002 +++ MFJFG +++ Schreiben vom 25. April 2002 an Ärztekammer NordrheinDas
Ministerium für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen äußert sich zur Gemeinsamen
gesundheitspolitischen Protestaktion des Hartmannbundes und des Freien
Verbandes Deutscher Zahnärzte sowie Unterschriftenaktion Aachener Fachärzte
gegen das Hausarztsystem: Auszüge: Mit o.a. Erlass hatte ich Sie über die gemeinsame
Aktion "Wahltag ist Zahltag
/ Gesundheitstag" des Hartmannbundes und des Freien Verbandes
Deutscher Zahnärzte unterrichtet und Sie um berufsrechtliche
Stellungnahme einschließlich ggf. beabsichtigter Maßnahmen
zur Berufspflichtenüberwachung gebeten. In Ihren Bezugsberichten haben Sie sich dahingehend geäußert,
dass eine berufsrechtliche Relevanz der gesundheitspolitischen Aktivitäten
einzelner Verbände derzeit nicht gesehen werde; ungeachtet dessen sei der
Aushang der Plakate auch in der Praxis durch das Grundrecht Ihre verfassungsrechtlich nicht näher begründeten
Auffassungen geben mir Veranlassung,
zu den nach Personen, Art und Umfang zu differenzierenden
berufspolitischen Aktivitäten aus Sicht der Kammeraufsicht
wie folgt Stellung zu nehmen: 1.Rechtliche Würdigung der Aktivitäten der Verbände
Die Absicht des Hartmannbundes und des Freien Verbandes
Deutscher Zahnärzte, im Bundestagswahlkampf 2002 "mitzumischen"
und nicht nur die eigenen Mitglieder zu mobilisieren, sondern auch das Gespräch
mit den Patienten zu suchen, "um mit ihnen Probleme und Lösungsansätze
für unser Gesundheitswesen zu diskutieren", stellt eine (noch) legitime
Interessenwahrnehmung der Verbände in Ausübung ihres berufspolitischen
Mandats dar und ist auch hinsichtlich der Teilnahme des einzelnen ärztlichen
und zahnärztlichen Mitgliedes dieser Verbände berufsrechtlich nicht von
vornherein unzulässig. Pressemitteilungen und Fragebögen, gesundheitspolitische
Veranstaltungen, Diskussionsforen und "Kummerkästen für Patienten und
Ärzte" können deshalb auch wenn sie sich m.E. als zum Teil fragwürdige
Kampagnen entlarven berufsaufsichtsrechtlich nicht ohne Weiteres
untersagt werden. 2.Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung
in Nach § 29 Abs. 1 Heilberufsgesetz sind die Kammerangehörigen
verpflichtet, ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen
im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten
Vertrauen zu entsprechen. Wird der Patient während seiner individuellen
ärztlichen Mit einem solchen Verhalten verletzt der Arzt das
in ihn gesetzte besondere Vertrauen und verhält sich berufsrechtswidrig.
Der Patient hat ein schutzwürdiges
Interesse daran, ärztlich versorgt und
nicht unter dem direkten Einfluss der medizinischen
Behandlung in Protestaktionen seines Arztes eingebunden zu werden
(vgl. OVG NRW, Beschl. V. 15.9.99 8 B 1683/99). Bei einer berufspolitischen Betätigung in den Praxisräumen
hat der Arzt folglich diejenige Zurückhaltung zu wahren, die sich aus dem
besonderen Arzt-Patienten-Verhältnis und aus der
Rücksicht auf die besondere Situation der Patienten ergibt. Diese
sich aus dem Heilberufsgesetz und der Berufsordnung
ergebende Pflicht hindert den Arzt daran, in seinen Praxisräumen
von dem Recht auf Meinungsäußerung im gleichen Umfang wie
andere Staatsbürger Gebrauch zu machen. Mithin fungieren § 29 Abs.
1 Heilberufsgesetz, die Regeln des Berufsrechts und das
davon erfasste "schutzwürdige Arzt-Patienten-Verhältnis"
als meinungsfreiheitsbeschränkendes "allgemeines Gesetz" im Sinne
des Art. 5 Abs. 2 GG. 3.Kriterien für die Beurteilung einer Plakat- oder
Faltblattaktion in der Arztpraxis Ob das Aushängen von Plakaten oder das Auslegen
von Broschüren mit (berufs-) politischen Wertungen in der
Arztpraxis generell zulässig ist oder nicht, ist in der
Rechtsprechung weder eindeutig noch abschließend
geklärt. Auch für
Plakataktionen u.ä. in den Praxen gilt jedoch, dass
die Meinungsäußerungsfreiheit nach den unter Nr. 2
dargelegten Kriterien nicht schrankenlos ist. Ein berufsrechtliches Einschreiten dahingehend, Plakate
und ausgelegte Informationen zu gesundheitspolitischen
Auffassungen in der Praxis zu verbieten, wird maßgeblich
von ihrer Wirkung auf das Vertrauensverhältnis zum
Patienten abhängen. Es ist deshalb erforderlich zu prüfen,
ob und ggf. in welchem Maße die getroffenen Aussagen zu
einer Störung des Arzt-Patienten-Verhältnisses führen
können. Nur so kann das Recht auf freie
Meinungsäußerung eines Arztes sachgerecht gegen die
Belange des Arzt-Patienten-Verhältnisses abgewogen
werden. Nach meiner Rechtsauffassung sind politisch wertende
Aussagen, die geeignet sind, einem Großteil der Patienten den (unzutreffenden)
Eindruck zu vermitteln, eine ausreichende medizinische Versorgung werde
nicht mehr gewährleistet, um bei
ihnen Angst und Verunsicherung über
die Auswirkungen der Gesundheitspolitik der
(derzeitigen) Bundesregierung zu verbreiten, als
berufsrechtlich bedenklich einzustufen. Ein Arzt, der gezielt ein auf Verunsicherung ausgerichtetes
Plakat mit zum Teil massivem agitativen und irreführenden
Inhalt in seiner Praxis aufhängt, muss sich darüber im
Klaren sein, dass sein Verhalten im konkreten Einzelfall nicht mit
dem Grundsatz der gewissenhaften Berufsausübung
im Einklang steht, da er beim Umgang mit
dem Patienten auf dessen Situation Rücksicht zu nehmen
hat (vgl. § 2 Abs 3 i.V.m. Abschnitt C Nr. 1 der ärztlichen
Berufsordnung). J.B.