Das Gesundheitsministerium antwortet
2002 +++ Ministerium für Gesundheit NRW +++
Schreiben des Ministeriums für Frauen, Jugend, Familie und Gesundheit
des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25. April 2002 zur Gemeinsamen gesundheitspolitischen
Protestaktion des Hartmannbundes und des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte
sowie Unterschriftenaktion Aachener Fachärzte gegen das Hausarztsystem An die An die An die An die Gemeinsame gesundheitspolitische Protestaktion des Hartmannbundes und
des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte sowie Unterschriftenaktion Aachener
Fachärzte gegen das Hausarztsystem 1.Mein Erlass vom 14.1.2002 Az.: w.o. - Mit o.a. Erlass hatte ich Sie über die gemeinsame Aktion "Wahltag ist
Zahltag / Gesundheitstag" des Hartmannbundes und des Freien Verbandes Deutscher
Zahnärzte unterrichtet und Sie um berufsrechtliche Stellungnahme einschließlich
ggf. beabsichtigter Maßnahmen zur Berufspflichtenüberwachung gebeten.
In Ihren Bezugsberichten haben Sie sich dahingehend geäußert, dass
eine berufsrechtliche Relevanz der gesundheits-politischen Aktivitäten
einzelner Verbände derzeit nicht gesehen werde; ungeachtet dessen sei
der Aushang der Plakate auch in der Praxis durch das Grundrecht auf freie
Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 GG gedeckt, zumal die
Informationen von einem Sachanliegen geprägt seien. Ihre verfassungsrechtlich nicht näher begründeten Auffassungen
geben mir Veranlassung, zu den nach Personen, Art und Umfang zu differenzierenden
berufspolitischen Aktivitäten aus Sicht der Kammeraufsicht wie folgt
Stellung zu nehmen: 1.Rechtliche Würdigung der Aktivitäten der Verbände Die Absicht des Hartmannbundes und des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte,
im Bundestagswahlkampf 2002 "mitzumischen" und nicht nur die eigenen Mitglieder
zu mobilisieren, sondern auch das Gespräch mit den Patienten zu suchen,
"um mit ihnen Probleme und Lösungsansätze für unser Gesundheitswesen
zu diskutieren", stellt eine (noch) legitime Interessenwahrnehmung der Verbände
in Ausübung ihres berufspolitischen Mandats dar und ist auch hinsichtlich
der Teilnahme des einzelnen ärztlichen und zahnärztlichen Mitgliedes
dieser Verbände berufsrechtlich nicht von vornherein unzulässig. Pressemitteilungen und Fragebögen, gesundheitspolitische Veranstaltungen,
Diskussionsforen und "Kummerkästen für Patienten und Ärzte"
können deshalb auch wenn sie sich m.E. als zum Teil fragwürdige
Kampagnen entlarven berufsaufsichtsrechtlich nicht ohne Weiteres untersagt
werden. 2.Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in
der Arztpraxis durch das Arzt-Patienten-Verhältnis Nach § 29 Abs. 1 Heilberufsgesetz sind die Kammerangehörigen verpflichtet,
ihren Beruf gewissenhaft auszuüben und dem ihnen im Zusammenhang mit
dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Wird der Patient während seiner individuellen ärztlichen Behandlung
in der Praxis gezielt auf gesundheitspolitische Aktionen angesprochen und
der Versuch unternommen, ihn im Sinne des berufspolitischen Anliegens seines
Arztes zu "mobilisieren", nimmt der Arzt standeswidrig auf das konkrete Behandlungsverhältnis
Einfluss, da der einzelne Patient Anspruch darauf hat, dass das Behandlungsverhältnis
von berufsständischen Interessen unberührt bleibt. Mit einem solchen Verhalten verletzt der Arzt das in ihn gesetzte besondere
Vertrauen und verhält sich berufsrechtswidrig. Der Patient hat ein schutzwürdiges
Interesse daran, ärztlich versorgt und nicht unter dem direkten Einfluss
der medizinischen Behandlung in Protestaktionen seines Arztes eingebunden
zu werden (vgl. OVG NRW, Beschl. V. 15.9.99 8 B 1683/99). Bei einer berufspolitischen Betätigung in den Praxisräumen hat
der Arzt folglich diejenige Zurückhaltung zu wahren, die sich aus dem
besonderen Arzt-Patienten-Verhältnis und aus der Rücksicht auf die
besondere Situation der Patienten ergibt. Diese sich aus dem Heilberufsgesetz
und der Berufsordnung ergebende Pflicht hindert den Arzt daran, in seinen
Praxisräumen von dem Recht auf Meinungsäußerung im gleichen
Umfang wie andere Staatsbürger Gebrauch zu machen. Mithin fungieren §
29 Abs. 1 Heilberufsgesetz, die Regeln des Berufsrechts und das davon erfasste
"schutzwürdige Arzt-Patienten-Verhältnis" als meinungsfreiheitsbeschränkendes
"allgemeines Gesetz" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG. 3.Kriterien für die Beurteilung einer Plakat- oder Faltblattaktion
in der Arztpraxis Ob das Aushängen von Plakaten oder das Auslegen von Broschüren
mit (berufs-) politischen Wertungen in der Arztpraxis generell zulässig
ist oder nicht, ist in der Rechtsprechung weder eindeutig noch abschließend
geklärt. Auch für Plakataktionen u.ä. in den Praxen gilt jedoch,
dass die Meinungsäußerungsfreiheit nach den unter Nr. 2 dargelegten
Kriterien nicht schrankenlos ist. Ein berufsrechtliches Einschreiten dahingehend,
Plakate und ausgelegte Informationen zu gesundheitspolitischen Auffassungen
in der Praxis zu verbieten, wird maßgeblich von ihrer Wirkung auf das
Vertrauensverhältnis zum Patienten abhängen. Es ist deshalb erforderlich
zu prüfen, ob und ggf. in welchem Maße die getroffenen Aussagen
zu einer Störung des Arzt-Patienten-Verhältnisses führen können.
Nur so kann das Recht auf freie Meinungsäußerung eines Arztes sachgerecht
gegen die Belange des Arzt-Patienten-Verhältnisses abgewogen werden. Anhand folgender, beispielhaft aufgeführter Fragestellungen können
sowohl der Inhalt als auch die Form der Darstellung Anhaltspunkte für
eine Rechtsgüterabwägung geben: Enthält ein Plakat nur sachliche Informationen und ggf. ausgewogene,
schonende Kritik? Steht die Äußerung in einem noch vertretbaren Verhältnis
zu dem sachlichen Anliegen? Ist das Plakat geeignet, die Patienten zu verunsichern und ihr Vertrauen
in eine leistungsfähige Gesundheitsfürsorge zu erschüttern
(vgl. Beschluss des LSG Baden-Württemberg v. 21.8.1995 L 5 Ka2179/95
eA-B)? Sind die Behauptungen erwiesenermaßen unwahr? Enthält das Plakat übersteigerte, einseitige, verunglimpfende
oder diskriminierende Äußerungen? Welche emotionalen Wirkungen erzielt die optische Darstellung auf den Patienten?
Nach meiner Rechtsauffassung sind politisch wertende Aussagen, die geeignet
sind, einem Großteil der Patienten den (unzutreffenden) Eindruck zu
vermitteln, eine ausreichende medizinische Versorgung werde nicht mehr gewährleistet,
um bei ihnen Angst und Verunsicherung über die Auswirkungen der Gesundheitspolitik
der (derzeitigen) Bundesregierung zu verbreiten, als berufsrechtlich bedenklich
einzustufen. Ein Arzt, der gezielt ein auf Verunsicherung ausgerichtetes Plakat mit zum
Teil massivem agitativen und irreführenden Inhalt in seiner Praxis aufhängt,
muss sich darüber im Klaren sein, dass sein Verhalten im konkreten Einzelfall
nicht mit dem Grundsatz der gewissenhaften Berufsausübung im Einklang
steht, da er beim Umgang mit dem Patienten auf dessen Situation Rücksicht
zu nehmen hat (vgl. § 2 Abs 3 i.V.m. Abschnitt C Nr. 1 der ärztlichen
Berufsordnung). 4.Fazit in Bezug auf die Plakataktion von Hartmannbund und FVDZ Ich bitte Sie, Ihre Kammerangehörigen über meine Rechtsauffassung
alsbald zu informieren und mich über Inhalt und Zeitpunkt Ihrer Veröffentlichung
zu unterrichten. Im Auftrag (Bösche)
Ärztekammer Nordrhein
Tersteegenstraße 31
40474 Düsseldorf
Ärztekammer Westfalen-Lippe
Gartenstraße 210 - 214
48147 Münster
Zahnärztekammer Nordrhein
Emanuel-Leutze-Straße 8
40547 Düsseldorf
Zahnärztekammer Westfalen-Lippe
Auf der Horst 29
48147 Münster
2.Bericht der Ärztekammer Nordrhein vom 12.2.02 193/02 S Dr. Schu./H
-
3.Bericht der Ärztekammer Westfalen-Lippe vom 4.2.02 RA000012002POLI_IM_WARTEZ
Ko/zy
4.Bericht der Zahnärztekammer Nordrhein vom 23.1.02 Dr. D/ml30/02
5.Bericht der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe vom 7.2.2002 Dr.
N.-W. / me