Staatsrechtler Prof. Dr. Josef Isensee kritisiert Regierungsprogramm
2002 +++ Josef Isensee +++ Quelle: PKV . Publik 8/02, 87-88Dem Regierungsprogramm zufolge soll die Pflichtgrenze
in der Gesetzlichen Krankenversicherung auf 5.100 Euro erhöht werden. Staatsrechtler
Prof. Dr. Josef Isensee, Universität Bonn, erklärte, dass eine Zustimmung zu
dieser Regelung durch den Bundesrat wohl unerlässlich sei. Die Kassenorganisation ist
Landessache. Daher liegt es nahe, dass auch Organisation und Verfahren der
Kassen betroffen werden ... und damit ein Eingriff in die Verwaltungshoheit
der Länder ergibt. Die Wahlfreiheit der Bürger
unter dem vorhandenen System der sozialen Sicherheit gehört zu ihrer grundrechtlichen
Freiheit. Die Ausweitung der Pflichtversicherung ist ein Eingriff in diese
Freiheit, der als solcher einer Rechtfertigung bedarf. Das Schutzbedürftigkeitsprinzip
hat in mehrfacher Hinsicht grundrechtliche Bedeutung. Zum einen rechtfertigt
es die Versicherungspflicht. Dort, wo Schutzbedürftigkeit überhaupt keine
Rolle mehr spielt, lässt sich der Versicherungszwang nicht rechtfertigen.
Allein der Finanzbedarf der Kassen ist kein Grund, die Wahlfreiheit der
Versicherten hier einzuschränken. Das Europarecht ist ausgesprochen
marktwirtschaftsfreundlich. Es dient dazu, die Dienstleistungsfreiheit im
ganzen Bereich der europäischen Gemeinschaft zu gewährleisten, damit auch
die Freizügigkeit der Dienstleistungen sicherzustellen und das Prinzip des
Wettbewerbs aufrecht zu erhalten. Die Monopole der gesetzlichen
Krankenversicherung lassen sich nicht beliebig ausdehnen, sondern sie bedürfen
ihrerseits europarechtlich einer noch strengeren Rechtfertigung, als man
sie bisher im nationalen Grundrechtsbereich angenommen hat. Sie müssen sich
europarechtlich daraufhin prüfen lassen, ob sie unerlässlich sind, ob hier
das Solidarprinzip tatsächlich die Monopolposition erfordert. Im Europarecht wird man eben
prüfen müssen, inwieweit die Ausweitung der bestehenden öffentlich-rechtlichen
Monopolversicherer auf Kosten eines funktionstüchtigen marktwirtschaftlichen
Segments zwingend ist.
Prof. Isensee, Auszüge: